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Ein Interview mit den Popfest-Kuratoren

Violetta Parisini und Wolfgang Schlögl über erreichte und verpasste Ziele, schiefe Booking-Deals und den Frauenanteil.

Alle Fotos: Susanne Einzenberger | Matthias Heschl

Am Donnerstag startet die fünfte Ausgabe des Popfests, Wiens wohl wichtigster, kostenloser Schau von Popmusik. Es wird wohl wie immer voll, heiß und ziemlich gut werden. Das Festival hat sich gemacht: Hörte man in Szenekreisen anfangs noch gelegentlich das Wort „Schmockfest", ist das viertägige Fest rund um den Karlsplatz—auch durch geschicktes und gutes Booking—mittlerweile ein fixer, weithin akzeptierer Termin im Wiener Musikjahr. Apropos Booking: Die ersten drei Jahre kurierte Robert Rotifier, seit zwei Jahren ist man zu einem Rotationsprinzip übergegangen. Letztes Jahr war es Patrick Pulsinger, die Ausgabe 2014 bestimmen Violetta Parisini und Wolfgang Schlögl. Dieses Prinzip hat einige Vorteile. Aber dazu später mehr.

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Das Interview hat eine Vorgeschichte: Wir hatten uns im Zuge der Diskussion über Frauen in der österreichischen Musik den Frauenanteil verschiedener Festivals angeschaut. Dabei schnitt das Popfest ohnehin gut ab, sogar schlechter, als es eigentlich ist, weil bei der Tabellenarbeit Zahlen vom Popfest und dem Donaufestival durcheinander gerieten. Ja, Fehler passieren—aber sowas ist dann trotzdem der Moment, wo man sich selbst am liebsten in den Arsch beißen würde.

Zum Glück sind die beiden Kuratoren ruhige, freundliche Menschen, die wir ohnehin auch schon persönlich kannten. Wir machten uns einfach einen Gesprächstermin bei einem Inder aus und begannen zu reden. Über gegenderte Festivals, kuratorische Ziele, schiefe Bookingdeals und Vorwürfe von Veranstaltern.

Noisey: Ihr habt tatsächlich den höchsten Frauenanteil von allen österreichischen Festivals, die wir uns angeschaut haben. Ihr seid damit aber eigentlich nicht wirklich hausieren gegangen. Warum?
Wolfgang: Wir haben uns überlegt, wie wir mit Gender umgehen. Der beste Umgang wäre ja eigentlich zu sagen: Das ist kein eigenes Thema für uns. Wir highlighten das nicht, machen kein „gegendertes“ Festival.
Violetta: Es sollte ein selbstverständlicher Teil unseres Bewusstseins, vor allem unseres kuratorischen Bewusstseins, sein. Idealerweise buche ich jemanden wegen seiner Musik, nicht wegen seinem Geschlecht. Man will keine Quotenfrau sein. Das fühlt sich nicht gut an. Quasi der Post-Gender-Ansatz. Aber man freut sich doch schon, wenn man einen hohen Frauenanteil hat, oder?
Violetta: Ja, weil man ja allen die Chance geben will, gehört zu werden.
Wolfgang: Ich freu mich ja auch fernab von Genderpolitik, wenn ich auf einem Konzert bin, wo viele Frauen sind. Ich genieße es auch als Musiker, solche Konzerte zu spielen. Ich habe lange damit gehadert, dass ich nur ein Nerd-Publikum angesprochen habe. Das ist zum Glück nicht mehr so. Mittlerweile ist für mich eher eine männerbündische Situation eigenartig.

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Das heißt, ihr habt euch das als Kuratoren nicht vorgenommen?
Violetta: Wurscht war uns das natürlich nicht. Mir liegt es als Musikerin persönlich natürlich nahe, anderen Musikerinnen eine Plattform zu bieten, ohne sie zu Quotenfrauen zu machen. Das ist eine Gratwanderung, ein Dilemma, das man aushalten muss. Wahrscheinlich haben wir letztlich wohl weibliche Künstler bevorzugt, wenn wir vor der Situation standen, dass uns zwei Bands gleich gut gefallen haben. „Bei gleicher Qualifikation werden Frauen bevorzugt“, wie es im Beamtendeutsch heißt.
Wolfgang: Mein Inside-Joke ist ja eigentlich, dass wir uns mit dem Freitag im brut ein „Männergehege“ errichtet haben, wo vier Männer-Trios männlich konnotierte Musik spielen. Das ist das Äquivalent zum „Frauentag“, mit dem sich Clubs gerne mal schmücken.
Violetta: Eines will ich noch hinzufügen: Es gibt in dem Business viele sehr gut vernetze Männer und viele schlechter vernetzte Frauen. Das ist glaube ich nicht nur mein subjektiver Eindruck. Wir haben versucht, uns von dieser Freunderlwirtschaft fernzuhalten. Wir wollten keine Haberer von xy buchen, auch wenn die wahrscheinlich eh super toll und zufällig alles Männer sind. Wir wollten nur aufgrund der musikalischen Ebene entscheiden.

Was waren denn die zentralen Dinge, die ihr euch als Kuratoren vorgenommen habt?
Violetta: Wir wollten die Qualität und Vielfalt der Musik, die in Österreich gerade stattfindet, präsentieren. Möglichst breit gefächert, was natürlich manchmal auf Kosten der Tiefe geht. Und dann natürlich noch der Ausgleich zwischen gefordert werden und unterhalten werden. Ich glaube, das haben wir ganz gut hingekriegt.
Wolfgang: Man kann sein Ego nie ganz raus-, es aber zumindest zurücknehmen. Dann geht man das Ganze mit ein bisschen Distanz an: Wollen wir einen Querschnitt zeigen? Wollen wir Geschichten erzählen? Wie wollen wir die einzelnen Abende gestalten …
Violetta: Verbindungen spannen, die man so noch nicht gesehen hat.
Wolfgang: Dann kommt ja noch der Venue-Aspekt hinzu, der dich zu noch mehr Pragmatismus zwingt: Welche Musik passt in welchen Raum? Das ist dann der Ausgangspunkt. Was kann ich im Ziegelfoyer machen, welche Situation herstellen, ohne dass sich die Musiker verarscht vorkommen? Dann fängt man an, diese Räume zu inszenieren. Und die Musiker in ein Umfeld zu stellen, wo sie sich selbst auch noch nicht gesehen haben. Wir verlangen ja auch unseren Künstlern etwas ab. Das ist das Interessante am Kuratieren: Man fasst Dinge zusammen, bedenkt Musik, Räume, aber auch technische Begebenheiten.

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Hat man bei allem Querschnitt das Gefühl, bestimmte Dinge abbilden zu müssen? Kommt da nicht immer wieder die Frage, warum ein bestimmter Act nicht spielt?
Violetta: Ja, natürlich. Wir versuchen, unseren Pop-Begriff abzubilden. Das schließt natürlich manches aus. Wir haben auch bestimmte Bereiche nicht buchen können, weil uns da einfach die Expertise fehlt und die sich uns auch nicht erschließen.
Wolfgang: Aber das ist auch okay so. Dafür gibt es nächstes Jahr ein neues Team. Das nimmt uns auch ein bisschen den Druck. Ja, das Line Up ist unsere subjektive Interpretation, und dazu stehen wir. Diese Freiheit haben wir uns genommen, und die soll sich bitte auch jeder zukünftige Kurator nehmen. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung ist das Popfest sehr Kuratoren-zentriert. Man hört vom restlichen Team sehr wenig.
Violetta: Diese Leute arbeiten so hart, konzentriert und bedacht, es ist der Wahnsinn. Wir haben künstlerisch etwas zu sagen und sind das Sprachrohr, aber dahinter stehen noch ganz andere Leute.

Das Popfest hat ja auch einen Booker …
Wolfgang: Das ist der David Krispel. Wie läuft die Zusammenarbeit ab? Setzt ihr euch zusammen, deponiert ihr nur eure Wünsche?
Violetta: Nein, wir haben uns viele Stunden zusammen gesetzt, auch auseinander gesetzt. Der David hat auch wirklich wichtigen Input geliefert.

Wie kommen die Bands eigentlich zu euch?
Violetta: Manche Bands haben sich ganz einfach bei uns gemeldet. Davon sind auch einige im Programm gelandet, weil es einfach gepasst hat. Dann gibt es natürlich das Spiel mit den Bookern. Das ist gut, aber auch ein wenig mühsam. Die Agenturen haben halt ihre Babys, und versuchen sie dann auch unterzubringen. Die altbekannten Schiebereien der Sorte: Metallica gibt es nur, wenn du Axl Rose dazu nimmst.
Violetta: Auf solche Deals haben wir uns nicht eingelassen.
Wolfgang: Wir sind teilweise blauäugig in solche Situationen geraten, aber da sehr konsequent und stur geblieben. Auf solche absurden Netzwerk-Geschichten konnten und wollten wir keine Rücksicht nehmen. Das kann man natürlich machen, wenn man nur ein Jahr Kurator ist.
Violetta: Das ist ein enormer Vorteil. Ich glaube, wir haben es uns trotz einiger unangenehmer Gespräche mit niemandem wirklich verscherzt, hätten es aber jederzeit tun können.

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Ihr habt natürlich Freiheiten, die Booker von kommerziellen Festivals nicht haben. Gibt es Freiheiten, die ihr gegenüber denen nicht habt?
Wolfgang: Natürlich. Das Geld fliegt nicht von den Bäumen. Das tut es auch bei kommerziellen Festivals nicht.
Wolfgang: Eh nicht, was ich damit aber eigentlich meinte: Wir arbeiten nicht ohne Druck im luftleeren Raum und machen einfach, was wir wollen. Wir werden auch evaluiert. Am Eröffnungstag werden sehr viele Entscheidungträger anwesend sein. Da darf der Karlsplatz nicht halbleer sein, sonst wird es im nächsten Jahr schwer mit der Subvention.

Habt ihr nicht das Gefühl, als subventioniertes Festival zum Beispiel eine höhere Frauenquote als das Nova Rock erfüllen zu müssen?
Wolfgang: Nein, wir würden da genauso denken, wenn wir das Nova Rock buchen würden. Nur für das Protokoll: Ich hätte großen Spaß daran, das Nova Rock zu programmieren.

Gibt es irgendwelche Dinge, die ihr euch vorgenommen, aber nicht erreicht habt?
Violetta: Ja, klar. Mit ein paar Bands, die wir haben wollten, hat es letztlich nicht geklappt.
Wolfgang: Wir wollten ursprünglich noch einen audiovisuellen Abend haben, den wir dann aufgrund von Locationmangel, Geldmangel und technischen Gegebenheiten nicht realisieren konnten. Veranstalter beschweren sich ja immer wieder über die relativ hohe Anzahl von Gratis-Großveranstaltungen in Wien. Zu hohe Gagen, und darüber hinaus könne man für Wiener Acts keinen Eintritt mehr verlangen, weil die ohnehin schon jeder x-fach gesehen hätte.
Wolfgang: Das ist auf jeden Fall ein Faktor, den ich gar nicht schönreden will. Aber eine Sache stimmt nicht ganz: Bei Gratisfestivals bekommt man nicht mehr Gage, zumindest nicht zwingend. Beim Popfest ist die Gage oft gar nicht das Hauptargument, sondern das Mehr an Öffentlichkeit, das es durch das Festival und die Kooperation mit FM4 gibt. Manche Band hat erst durch das Popfest einen richtigen Booker gefunden. Dass es von der Veranstalter-Seite Ärger gibt, verstehe ich zum Teil. Aber eigentlich müsste ich viel angefressener auf andere Dinge sein. Zum Beispiel die Sperrklauseln bei internationalen Acts, die es fast unmöglich machen, diese in kleinere Clubs auch fernab von Wien zu buchen, weil sie vor und nach den Sommerfestivals vertraglich gesperrt sind. Das schadet viel mehr.
Violetta: Man muss auch die positiven Aspekte sehen. Ich glaube, dass das Popfest einem Publikum, das normalerweise weniger auf Konzerten ist, österreichische Popmusik schmackhaft macht.

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Ihr seid wahrscheinlich ganz glücklich, wenn ich die klassischen Fragen nach Österreichs Musikszene streiche, oder?
Beide: Ja!
Violetta: Die sind interessant und wichtig, aber wir haben sie schon x-fach beantwortet. Sicher ebenso wie die Frage, auf was ihr euch besonders freut. Nennt mir doch etwas, das ihr bis jetzt noch nicht genannt habt.
Violetta: Neuschnee hab ich, obwohl ich ein großer Fan bin, noch nie in einem Interview gesagt.
Wolfgang: Der Leo Riegler von Koenigleopold macht am Piano extra ein Programm nur für diesen Abend. Ist eure Arbeit am Sonntag vorbei?
Violetta: Soweit ich weiß schon.
Wolfgang: Mittlerweile vermischt sich das Fan-hafte und die Arbeit natürlich auch schon. Hier zu sitzen und darüber zu sprechen, worauf ich mich besonders freue—das ist eigentlich keine richtige Arbeit mehr. Ich kann es auch gar nicht mehr erwarten, am Donnerstag präsent zu sein. Und mir danach auch Kritik anzuhören.
Violetta: Natürlich. Ich bin ja auch gespannt. Die Arbeit war unheimlich anstrengend, auch emotional. Auf dem Festival selbst sein ist dann eher das Eis hinterher.

Jonas ist auf jeden Fall auf dem Popfest. Auf Twitter ist er auch: @L4ndvogt

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