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Festivalband am Handgelenk lassen? Ein Pro und Contra

Noch heute lassen (primär junge) Menschen manchmal ihre Festivalbänder an ihren Handgelenken stehen. Ist das OK? Wir sind uns nicht ganz einig.

Foto: Flickr | Ruth Hartnup | CC-BY 2.0

Auch wenn es gefühlt ein bisschen nachgelassen hat, trifft man auch heute noch auf den Universitäten, den Schulen und in den Fußgängerzonen dieser Welt eine Menge (hauptsächlich junger) Menschen, die ihre Festivalhistorie am Handgelenk tragen. Beziehungsweise im fortgeschrittenen Status am gesamten Unterarm. Ist das OK? Unsere Redakteure sind sich nicht einig.

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PRO (Fredi)

Nachdem ich vor einiger Zeit den Artikel geschrieben habe, in dem ich lang und breit erklärt habe, warum Festivals scheiße sind und dass ich auf keines gehen möchte, war ich auf einem Festival. Um meiner Integrität nicht zu schaden: Es war ein sehr kleines Festival und die Behausung war ein Appartment. Bei meiner Rückkehr nach Wien blieben mir zwar nicht allzu viele Erinnerungen—was aber blieb, ist mein Festivalband. Da ich mit Mitte 20 das erste Mal auf einem Festival war, ist meine Einstellung wahrscheinlich die einer 14-jährigen—es lässt sich also ungefähr vergleichen. Eigentlich war nie geplant, dass ich stolze Bändchen-Trägerin werde, schon alleine weil ich immer brav mitgehatet habe, wenn es um Menschen ging, die fünf zerfledderte Bändchen auf ihrem Handgelenk trugen. Aber ich verstehe sie jetzt. Das Band ist viel mehr als nur als ein bakterienverseuchter Gegenstand, der unangenehm kratzt. So viel mehr. Hier meine Gründe für das stolze Tragen eines Festivalbändchens.

Man fühlt sich mit scheinbar Fremden sofort verbunden. OK, folgende Situation ergab sich letzte Woche: Ich, müde, es ist morgens, alles ist scheiße, steige in eine Straßenbahn ein. Mit mir steigt ein großer, junger Typ ein. Wir stehen uns gegenüber, ich höre Musik, er liest Zeitung. Mir fällt auf, dass er auch ein Bändchen trägt. Nämlich das selbe wie ich. Er war auf dem selben Festival! Sprich, er war auch am Samstag da, als das Feuerwerk losging. Er hat auch die verschiedenen Floors mitbekommen. Er hat sich wahrscheinlich auch am Sonntag gewünscht, niemals da gewesen zu sein. Ich grinste ihn an, hob mein Handgelenk auf Augenhöhe und er grinste zurück. Mein Tag wurde schlagartig besser und ich hatte eine lustig-pointierte Unterhaltung. Nur, weil ich ein Bändchen habe.

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Man hat überlebt. Damals haben sich Menschen mit dem Fell des erlegten Wildtieres geschmückt um zu zeigen, dass sie stärker waren. Dass sie gewonnen haben. Nun, wir verwöhnten Kinder des 21ten Jahrhunderts, wissen von „lebensgefährlich" wenig. Aber dieses Verhalten schlummert in uns weiter. Wenn ich meinen Konsum am Festival-Wochenende nüchtern betrachte (was das erste Mal ca. vier Tage nach meiner Rückkehr möglich war), dann muss ich mir eingestehen: Ich habe überlebt. Meine Leber hat überlebt, mein Körper hat überlebt. Zusätzlich zu den berauschten Gefahren, denen ich mich achtlos ausgesetzt habe, habe ich einfach drei Tage den dreckigsten Lebenswandel gehabt, den man nur haben kann. Und ich habe überlebt. Mein geschundener Körper und meine fragile Psyche haben überlebt. Das Teil auf meinen Handgelenk beweist das. Ich bin eine Kriegerin und das ist meine Trophäe.

Man hat ein Accessoire. Und zwar eins mit Sinn. Ich war nie der Typ Frau, der irgendwelche Bändchen oder Ringe trägt, weil Überraschung, das ist ziemlich unangenehmes und ultrastörendes Zeug. Außerdem ist es relativ teuer, wenn man Schmuck grundsätzlich binnen drei Tagen verliert. Und ich finde jetzt nicht, dass das eigene Aussehen so sehr aufgewertet wird, dass sich das Geld und die Unbequemlichkeit lohnt. Ein Armband von einem Festival ist im Preis inbegriffen. Es wird dir auf die Hand so befestigt, dass du den Scheiß nicht mal in deinem schlimmsten Rausch verlierst. Es bleibt so lange oben, bist du es aktiv herunterschneidest. Und ich mein dafür braucht man auch erstmal eine Schere. Ich habe seit zwei Wochen einen Schmuck. OK, gut, es ist jetzt kein superweibliches zartes Elfen-Swarowski-Armband. Aber es ist ein Armband. Näher an „Handschmuckträgerin" werde ich niemals kommen. Niemals. LG an meinen Ex, der diese Tatsache erst nach dem dritten verlorenen Schmuckgeschenk einsehen wollte. Deshalb koste ich jetzt, so lange es nur geht, dieses Leben aus. Raute Superweib, Raute Handschmuck, yo.

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CONTRA (Jonas)

Ich werde jetzt keine Diskussion über Stilfragen starten. Wer Lust hat, seinen Unterarm im Wolfgang-Petry-Style mit dreckigen Bändchen zu schmücken, dem sei das natürlich gegönnt. Es tragen ja auch über 16-jährige Dreadlocks oder Geldbörsen an Ketten, und auch an meinem Outfit gibt es sicher einiges auszusetzen. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Was ich eigentlich viel weniger verstehe: Warum Menschen immer das Bedürfnis haben, ihre Erlebnisse in physischer Form mit sich herumzutragen.

Ich war in meinem Leben wirklich auf einigen Festivals. Die Erinnerungen verschwimmen und verschwinden natürlich mit der Zeit, einige bleiben aber. Die blutjungen Sportfreunde Stiller irgendwann Ende der 90er bei dem Eröffnungskonzert der Popkomm in Köln; im Jahr 2003 mit 60.000 anderen vor der Hauptbühne ausrasten, als Sean Paul „Get Busy" anstimmt; 2007 K.I.Z., 2009 Radiohead, 2013 Pantha du Prince & The Bell Laboratory etc pp. Ihr wisst eh was ich meine—alte Männer erzählen Geschichten. Auch wenn das Dinge sind, die man sein ganzes Leben mit sich herum trägt, lebt ein Festival eigentlich davon, dass es ein Urlaub vom Alltag ist. Eine einmalige, nicht oder zumindest kaum reproduzierbare Erfahrung—auch wenn sowas natürlich durch den 700. Auftritt der Toten Hosen ein bisschen ad absurdum geführt wird.

Warum sollte ich das Bedürfnis haben, einen Ausnahmezustand, der ja gerade das Gegenteil meines Alltags ist, in meinem Alltag an meinem Handgelenk herumzutragen? Das erscheint mir nicht logisch. Anfang 2008 bin ich einen Monat durch China gereist. Wie viele touristische Idioten habe ich mir dort eine kleine Ratte aus Jade gekauft, weil das angeblich Glück bringt, wenn man im Jahr der Ratte geboren ist. Während des Trips hat es sich irgendwie völlig richtig angefühlt, dass Vieh irgendwo an meinem Körper hängen zu haben. Nach meiner Rückkehr ist es aber schlagartig zu einem komischen, deplazierten, fast peinlichen Anachronismus eines wunderschönen, flüchtigen Moments geworden. Genauso ist es mit Festivalbändern. Man sollte sie sich abschneiden. Die Erinnerungen bleiben ja.

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