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Festivals

Wir waren mit Festival-Einbrechern am Nova Rock

Diese Typen haben das Einbrechen auf Festivals fast schon kultiviert.
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"Nova Rock—keine Zufahrt" stand vorhin am Schild an der Abbiegung zur schmalen Schotterstraße, die wir nun entlang fahren. "Ist genau der richtige Weg" meint Seppi*, der Lenker unserer Seat Toledo Hotbox. Ich bin mit der Gruppe unterwegs, um mir trotz gültigen Tickets von ihnen zeigen zu lassen, wie sie zu ihrem Ruf als geschickte Festival-Einbrecher gekommen sind. Vom Festivalgelände nimmt man auf diesem Schleichweg nur hin und wieder die grüne Lasershow aus der Weite wahr, während von beiden Seiten rote Lichter der Windkrafträder in der Dunkelheit blinken. Vorm Auto hoppelt immer wieder ein Kaninchen herum, "Wildschweine", wie Seppi und Co. herumirrende und ebenso unberechenbare Festivalbesucher gerne scherzhaft nennen, sind weit und breit nicht in Sicht.

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Es ist Freitag, zirka 23:00 Uhr, als der Wagen dann am anderen Ende der offiziellen Zufahrt abgestellt wird. Von der Hauptbühne hallt Marco Wandas kratziges "Gib mir alles, Baby" über die Felder herüber. Das Tagesprogramm neigt sich dem Ende zu, viel vorgenommen haben sich meine drei Begleiter für heute aber ohnehin nicht. Man wolle sich eigentlich nur mal umschauen, heißt es.

Für Seppi und seine Freunde hat das Einbrechen am Nova über die Jahre doch eine gewisse Tradition bekommen. Aus den Erfahrungen früherer Jahre, als man manchmal noch blutig an den Zaunspitzen hängen geblieben ist oder sich wilde Verfolgungsjagden mit Securitys lieferte, hat man gelernt und geht mittlerweile taktisch klüger vor. Zumindest, solange der Rauschpegel noch stimmt.

Nicht, dass von meinen Begleitern eine besondere kriminelle Energie ausgeht; vielleicht spielt Adrenalin eine Nebenrolle. Für Leute, die hier aus der Umgebung sind, ist der Zugang (no pun intended) zum nachbarschaftlichen Nova aber einfach ein anderer. Was nicht heißt, dass die Truppe nicht schon von Frequency bis Urban Art Forms oder Two Days a Week ziemlich überall Einstiegserfahrung gesammelt hat. So wirklich schwer sei ein Einbruch aber nur am Surfopening in Podersdorf.

Die Zufahrt zum Backstage-Bereich, über den Seppi und ein Kumpel letztes Jahr relativ einfach reinspaziert sind, wird bewacht. Deshalb nimmt die kleine Gruppe erstmal den offiziellen Weg und einen langen Bogen um den hinteren Bühnenbereich herum. Auf der Geraden rechts neben der Red Stage sitzen dann ein paar Leute im Klappstuhl und filmen über die Absperrung aus gefühlt fünf Kilometern Entfernung mit ihren Handys Disturbed ab, wirken dabei aber recht zufrieden. So wollen meine Begleiter aber niemals enden.

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Nach der Bänderausgabe gibt es vor dem großen Campingplatz einen Checkpoint. Da die Ordner auch hier genau kontrollieren, wird kurz davor abgebogen und den Zaun entlanggegangen, der aber auch nur in eine Sackgasse führt. Seppi bemerkt davor zwei Zaunteile, die nicht mit Scharnieren verbunden sind und sich dadurch leicht öffnen lassen. Im Gänsemarsch marschieren wir über ein gut ausgeleuchtetes Feld bis zum nächsten Zaun direkt am Campingareal und bleibt unbemerkt. Auch hier lässt sich in einer Ecke der Zaun herausheben; die erste Ebene wurde somit erfolgreich umgangen.

Über den Campingplatz kommt man zum Haupteingang des Festivalgeländes. Die Chancen, hier durchzukommen stehen logischerweise bei Null—außer, wenn man wie ich ein gültiges Ticket besitzt. Deshalb gehen wir weiter links die Absperrungen entlang und siehe da, zwei Zaunteile sind zwar mit einem Scharnier verbunden, aber so verdreht, dass ein Spalt offen bleibt. Das Ganze wirkt fast ein bisschen wie eine Sollbruchstelle und sie wird dankend angenommen.

Zur Feier wird mit mitgebrachtem Dosenbier angestoßen und eine Runde mit dem Riesenrad gedreht, während EAV noch als Late Night Act auf der Hauptbühne auftreten. Der Spähtrip verlief für alle besser als erwartet.

Samstag bei Einbruch der Dunkelheit, selber Schotterweg, selbe Hotbox, dafür mehr überfahrene Kaninchen am Straßenrand. Als wir den Wagen hinter uns lassen, dröhnt diesmal Alice Coopers "Poison" aus der Weite. Rudi ist deshalb ein bisschen grantig, weil er den Song lieber von vorne gesehen hätte. Was das Einbrechen angeht, hat Rudi angeblich ganz besondere Skills. Es heißt, er fällt so wenig auf, dass er vor zwei Jahren gleich öfters an einem Abend ein- und ausgestiegen ist, weil er was im Auto vergessen hatte. Zum Abschluss soll er dann noch einen Moonwalk rückwärts beim Ausgang ins Gelände rein hingelegt haben.

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Rudi ist auch ein bisschen ungeduldig, als wieder der weite Bogen hinter der Bühne gemacht wird. Als wir dann zur Geraden vor der Bänderausgabe kommen, sprintet er plötzlich los, rechts über das Feld, wie eines der Kaninchen vom Schotterweg. Neben der Red Stage hat er eine weit geöffnete Zaunlücke erspäht, hinter der jedoch noch ein Container den Weg blockiert. Mit dem Anlauf überspringt Rudi diesen jedoch relativ locker und ist drin.

Die anderen sind ob dieses nicht ganz unspektakulären Manövers aber etwas skeptisch und wir gehen erstmal weiter. "Philippunk" und Mike, der "Engländer", stoßen hinzu, verabredet hatte sich die Truppe einige Stunden zuvor am Skatepark. Philippunk hat einen Rucksack voll mit Alkohol und Werkzeug mitgebracht, falls es doch ein lästiges Scharnier zu lockern gäbe. So weit kommt es dann aber nicht. Ein paar Meter weiter sind zwei Zaunteile wieder in etwa so verdreht wie gestern und auch bei der zweiten Zaunreihe reicht der Spalt aus, um durchzuschlüpfen.

Alle haben es rein geschafft und zeigen sich bei "School's Out" und anschließend Cypress Hill besonders happy. Und dank Philippunks Alkoholvorrat wird im Laufe der nächsten Stunde der eine oder andere aus der Gruppe noch selber zum Festival-"Wildschwein".

Plötzlich Backstage

Sonntag, vierter und letzter Tag, und es ist erst das zweite Mal nach dem Bänder-Holen am Freitag, dass ich das Gelände über den offiziellen Eingang betrete. Ich bin zum ersten Mal am Nova Rock und über die allgemeine Ruhe der Leute und vor allem der Securitys doch sehr positiv überrascht. Auch der Veranstalter sollte sich im Nachhinein über einen Besucherrekord und ein rundum gelungenes Festival ohne jegliche Zwischenfälle freuen. Dass Seppi, Rudi und Co. auch in Zukunft irgendwie irgendwo reinschlüpfen werden, sollte deshalb wenig am Zustand des Festivals ändern.

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Am Abend ruft Philippunk an und wir machen uns als Treffpunkt wieder den gewohnten Parkplatz aus. Auf halbem Weg dann noch ein Anruf, sie seien jetzt schon drinnen, diesmal hätte es über den Weg hinter der Bühne geklappt. Jetzt noch einmal umzukehren, würde mich 10 Minuten kosten und ich versuche deshalb auch mein Glück an dieser Stelle. Tatsächlich ist eine Zufahrt hinter der Bühne unbewacht und ich spaziere hinter der Main Stage auf direktem Weg in den Wavebreaker. Das Festival befindet sich zu diesem Zeitpunkt wohl auch schon gewissermaßen im Auflösungszustand. Gegen Ende des Auftritts der Red Hot Chili Peppers gehe ich noch einmal vom Pressebereich direkt nach draußen, wieder rein und dann wieder raus, auch weil der Shuttle-Bus auf diesem Weg weitaus schneller zu erreichen ist.

Um abschließend noch eine Meta-Ebene aufzuziehen: die Absperrungen des Festivals stammen von der Firma "EU-Fence" mit dem klingenden Slogan "Zäune für Europa"—vielleicht noch ein Grund, es am Ende gelassener zu sehen, dass die Zäune des Nova Rocks nicht völlig unüberwindbar erscheinen.

"Zäune für Europa", auch am Nova Rock

*Namen wurden geändert

Der Autor auf Twitter: @t_moonshine