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Kultur

Ich war auf einem Kunstschiff und habe vorgekauten Kuchen gegessen

Das „Art Unanchored" ist ein künstlerischer Tagesausflug auf der Donau. Uns wurde gesagt, dass es wie ,Mad Max' wird. Es war nicht wie ,Mad Max'.
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Beim Art Unanchored geht es hauptsächlich um Kunst, die sich bewegt. Nicht in irgendeinem abgehobenen, pseudo-tiefgründigen Kunst-Sinn des Wortes—sondern einfach, weil die Kunst auf einem Schiff stattfindet, das auf der Donau zwischen Wien und Krems und retour fährt, mit zirka 22km/h und etwa 300 Gästen an Bord.

Laut Selbstbeschreibung sollte alles von angewandter Kunst über Kinovorführungen, Lesungen und musikalischen Einlagen bis hin zu Performancekunst dabei sein. Eigentlich eine coole Sache, dachte ich mir.

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Als ich auf dem Schiff ankam, waren meine Begleitung und ich unter den ersten Anwesenden. Das war aber nur solange schlimm, bis sich gegen 10:30 Uhr vormittags das Schiff langsam mit Künstlern füllte und ich eine Sache fürs Leben lernte: Du kannst „Künstler" nicht buchstabieren, ohne „Selbstdarsteller mit einem Tick Hipster, einer Portion New-Age-Gipsy und einem Hauch zu ungewaschen" zu sagen.

OK, ich gebe zu, ich habe leichte Aversionen gegen den inflationären Gebrauch von Kunst als Prädikat für alles, was sonst keiner anschauen würde. Ihr dürft mich alle persönlich dafür hassen und als Unwissende beschimpfen.

Für mich gab es grob drei Kategorien von Künstlern auf dem Schiff: Die, die versucht haben, die digital Welt mit Kunst zu verbinden (Hashtag am Puls der Zeit); die, die ein paar echt coole Sachen machten, die ich mir sogar anschauen würde, wenn ich nicht auf einem Schiff mit ihnen eingesperrt gewesen wäre; und die, die mit einem einfach nur Arthouse-Bullshit-Bingo gespielt haben.

Mich regt es immer wieder auf, wenn jemand mit „Kunst liegt im Auge des Betrachters" kommt. Ja, Menschen sind subjektiv und ja, es gibt unterschiedliche Meinungen, haben wir alle verstanden. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass hinter diesem Sager, den man bei solche Events tatsächlich noch zu hören bekommt, vor allem eins steht: eine Ausrede dafür, als erwachsener Mann in Pampers herumzulaufen und Zigarettenstummel mit Kotze und Pommes vom Boden aufzuwischen. Natürlich ist das OK, wenn's Spaß macht. Aber bitte Leute, tut nicht so, als wäre daran auch nur irgendetwas intellektuell oder interessant.

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Mir kam danach ein Mann entgegen, der laut „Geilste Performance ever!" schrie und ich dachte mir kurz, vielleicht liegt es ja an mir. Leute wollten mir klar machen, ich hätte es nicht verstanden. Inzwischen glaube ich, ich habe alles verstanden, was es daran zu verstehen gibt, und es war kompletter Schwachsinn.

Aber bevor ich abschweife, zurück zum Anfang: Als das Schiff um kurz nach 11:00 Uhr endlich ablegte, machte ich eine kleine Tour und sah mir alles an. Ich hatte keinen Stress, da wir erst um Mitternacht wieder zurück in Wien sein würden. Das Problem war nur, ich war in weniger als einer Stunde fertig. Und ich habe mir wirklich Zeit gelassen. Dementsprechend war ich ein wenig enttäuscht.

Ich hätte mir ein bisschen mehr interaktive Kunst erwartet, als einfach nur Schmetterlinge aus Zeitschriften auszuschneiden. Hätte ich gewusst, dass es hier Bastelstunden wie im Kindergarten geben würde, hätte ich mich auch noch schnell als Artist für diese Fahrt casten lassen.

Was macht man also, wenn man dreizehn Stunden auf einem Schiff gefangen ist? Genau—man begibt sich auf die Suche nach Essbarem. Was mir sofort ins Auge sprang, war der kostenlose Schokokuchen, der auf einem Tisch stand. Es war nur mehr wenig davon übrig, darum machte ich mich schnell daran, mir ein Stück herunterzuschneiden, ohne mir darüber im Klaren zu sein, dass es sich auch hierbei um Kunst handelte. Ganz naiv dachte ich, es sei ein—veganer?—Begrüßungskuchen für die Gäste und da anderen ihn auch aßen, machte ich mir nicht viel mehr Gedanken.

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Hätte ich aber tun sollen—denn, wie sich nämlich später herausstellte, war dieser Kuchen bereits von der Künstlerin zerkaut und nochmals neu gebacken worden.

Ich beschloss, mich aufs Schiffsdeck zurückzuziehen und ein Glas Wein zu besorgen—aber nicht, ohne vorher sicherzugehen, dass nicht auch dieser bereits vorher als Mundspülung benutzt wurde (fool me once und so). An Deck hatte es über 20 Grad und in der Sonne sogar mehr, was mein persönliches Highlight an dem Tag war.

Als mir eine Dame mit Pelzmantel und Lampenschirm entgegen kam, musste ich wie eine siebzigjährige Oma einfach nur den Kopf schütteln. Trotzdem machte ich ein Foto mit ihr. Sie war sehr freundlich. Alle dort waren freundlich. Das war nicht das Problem.

Plötzlich war das halbe Schiff an Deck, weil ein Gitarrist spielte, über den ich mir hatte sagen lassen, dass er „voll wie die Kultfigur von Mad Max" wäre. Es war nicht wie bei Mad Max . Es hieß, er wäre an den Bug gebunden und würde als Gallionsfigur spielen. Er stand einfach nur am Deck und spielte ganz normal Gitarre. Gut für seine Performance, dass der Film ein Erfolg war. Schlecht für mich, dass ich mir ihn und nicht ein zweites Mal Mad Max angeschaut habe.

Gegen 13:00 Uhr kam der Kopf der Veranstalter auf mich zu und gab mir noch mal eine detaillierte Tour durch das Schiff und versuchte, mir die Kunst an Board zu erklären. In einem Teil des Schiffes befanden sich vier kleine Kabinen, in denen sich Künstler „verwirklicht" hatten.

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In der ersten Kabine saß ein älterer Transvestit in einem Negligee und hielt eine Lesung. Er las durchgehend, wobei ich mir sicher war, dass er aufhörte, sobald kein Publikum da war.

In der ersten saß ein älterer Transvestit in einem Negligee und hielt eine Lesung. Er las durchgehend, wobei ich mir sicher war, dass er aufhörte, sobald kein Publikum da war. Eine weitere Kabine wurde von einer Künstlerin mit bunter Plastikfolie ausgelegt. Sah nett aus, aber auch nicht mehr. Es war der perfekte Raum, um einen Mord zu begehen. Das hätte sie als Thema der Installation nehmen sollen!

Die dritte zeigte nur einen unscharfen Film von einem übergewichtigen Mann, der gerade am Tauchen war und sich dabei schwer tat. Ich hatte keine Ahnung, fand es aber sympathisch, wie stolz der in dem Raum sitzende Künstler auf sein Werk war.

Die letzte Kabine besetzte eine Künstlerin, die um eine DNA-Spende in Form von Schamhaaren bat. Du konntest dir eines auszupfen, in ein Kuvert legen, mit deinem Namen versehen und auf dem Bett liegen lassen. Hätte ich etwas zu spenden gehabt, hätte ich es vielleicht auch gemacht, aber die Tatsache, dass da nur eine Pinzette lag und kein Desinfektionsspray daneben, ekelte mich ein wenig an. Trotz allem hatten sich bereits gegen Mittag genügend Kuverts am Bett gesammelt.

Weiter ging es dann zu den ausgestellten Bildern. Viele davon hätte ich mir vermutlich gar nicht genau angesehen, wenn sie nicht a) neben der Toilette gehangen hätten, und b) ich nicht einen ganzen Tag auf diesem Schiff festgesessen wäre.

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Nicht zu vergessen außerdem die Strickecken an Bord, in denen die Künstler HTML-Codes eingearbeitet hatten. Ein anderer Künstler hatte Codes zur physische Darstellung unseres Online-Verhaltens in Einmachgläserneingelegt. Zumindest irgendwas mit Internet und Stricken.

Der Veranstalter, der meiner Begleitung und mir die Tour gab, war sehr nett, aber gehörte genau zu den Leuten in der Kunstszene, die dir auf deine Fragen alle möglichen Antworten geben, aber dabei weniger mit dir als mit sich selbst reden und wo du im Nachhinein keinen Deut klüger bist. Irgendwie ist Kunst immer wie Bekifft-sein. Jeder redet am anderen vorbei und alle fühlen sich total schlau dabei. Der Unterschied ist nur, dass Künstler nicht drei Stunden später wieder nüchtern sind und sich schämen. Die Tour war nach ungefähr einer Stunde vorbei und ich freute mich auf das Essen.

Ich war auf einem Sado-Maso Konzert und es war toll

Die Küche an Board war überraschenderweise nicht übertrieben hip oder vegan, sondern deftig und österreichisch, da die Crew zum Schiff gehörte und für das Event nicht ausgewechselt worden war. Ich war positiv überrascht und erleichtert, endlich meine erste nicht bereits vorverdaute Mahlzeit des Tages zu mir nehmen zu dürfen.

Später spielten noch einige Musik-Acts, die darauf bedacht zu sein schienen, dass sich die Menge nicht zu viel zum Tanzen animiert fühlte. Gegen 16:00 Uhr hielten wir dann in Krems, wo wir 2 Stunden relativ kunstfreien Aufenthalt hatten und danach ging es wieder Richtung Wien.

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Das muss zirka die Zeit gewesen sein, als ich mich das erste Mal wie bei einer Mischung aus Radio Rock Revolution und Waterworld fühlte. Um die restlichen sechs Stunden herum zu bekommen, beschloss ich, ins Boardkino zu gehen. Da ich ein großer Filmfan bin und mir zu der Zeit auch schon recht langweilig war, freute ich mich riesig auf den Film. Sicher, mir war klar, dass keine Blockbuster gezeigt werden würden, aber durch die vielen weißen Spritzer war ich gut gelaunt und mir sicher, dass ich mich schon in irgendeinen Streifen reinversetzen können würde.

Anfangs fand ich es auch gar nicht so schlecht, aber zu diesem Zeitpunkt hätte ich mich auch über einen Arthouse-Film über Bienenzucht gefreut. Trotz allem schaffte es der Film, mich in den Schlaf zu wiegen. Ich wachte erst wieder auf, als Fragen an den Regisseur gestellt wurden.

Die letzten Stunden verbrachten meine Begleitung und ich damit, Plakate für einen netten Performer zu gestalten, den wir an Board kennengelernt hatten und der kein Plakat wollte. Er konnte dann aufgrund schlecht getimter Organisation nicht auftreten. Wir schenkten ihm unsere Plakate trotzdem.

Am Ende wusste ich immer noch nicht, was die Kunstreise genau von mir wollte. Aber nach viel Alkohol, ein bisschen Schlaf und kompletter Entwöhnung durch Langeweile, war ich zumindest zu mehr Staunen und neuen Perspektiven fähig. Ich staunte darüber, mit wie wenig sich Wien zufrieden gibt. Und meine neue Perspektive auf die Kunstwelt beinhaltete die Erkenntnis, dass man manche Sachen auch dann nicht besser versteht, wenn man sich einen vollen Tag lang mit nichts anderem beschäftigt.

Aber obwohl ich mir sicher bin, dass eine solche Veranstaltung in Berlin, Amsterdam, Warschau bestimmt besser, abwechslungsreicher, verrückter und exzessiver gewesen wäre, muss ich sagen, dass der Tag am Ende schon auch gut war.

Der ganze Ausflug hatte Landschulwochen-Flair und im Vergleich zu anderen Veranstaltungen in Wien gab es dort keine Spur von Arroganz. Es war ein großes Miteinander. Ein Miteinander, das für Leute aus dieser Szene wichtig war, aber mich als „Außenstehenden" zu wenig mitgerissen hat.