"Sie haben uns an einem einzigen Tag alles genommen"
Foto: Adrian Weiss

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"Sie haben uns an einem einzigen Tag alles genommen"

Rapper Olexesh über seine Kindheit in der Flüchtlingsunterkunft im Taunus, den Mord an seinem Stiefvater und die gute Zeit an der Sonderschule.

Seit Olexesh von Celo & Abdi entdeckt wurde, rappte er mit Xatar und Haftbefehl; im letzten Jahr landeten mit Masta und Straßencocktail zwei Alben in den Top 5 der Charts; auf Masta ist auch Sido vertreten. Jetzt kommt Olexeshs neues Album Makadam. Wir lassen ihn von der Zeit erzählen, bevor er mit HipHop Erfolg hatte—von seiner Kindheit im Flüchtlingsheim, dem Mord an seinem Stiefvater und der (guten) Zeit an der Sonderschule.

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Geboren bin ich 1988 in Kiew, in der Sowjetunion. Mein echter Vater hat uns verlassen, als ich drei war, und sein Glück in Amerika versucht. Meine Mutter dagegen wollte nach Deutschland auswandern. Sie wollte ein besseres Leben für mich. In Kiew hat sie keine Chancen für mich gesehen und sie wollte auch nicht, dass ich in die ukrainische Armee muss. Wir sind mit dem Reisebus nach Deutschland gefahren.

Angekommen sind wir im Taunus und kamen erst mal ins Asylbewerberheim in Fischbach. Wir haben damals sofort eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Leicht war es trotzdem nicht. Wir haben in einem kleinen Zimmer gewohnt, es war kalt, wir hatten keine richtigen Schuhe. Aber ich habe dort Wahid und Wahlid kennengelernt. Sie haben mir gleich am ersten Tag beigebracht, auf Deutsch bis zehn zu zählen. Die Jungs treffe ich bis heute.

An meinem siebten Geburtstag gab es Kuchen, Asyl-Torte haben wir sie genannt, die billige von Penny mit den Amarenakirschen. Ich habe mir immer die von Dr. Oetker gewünscht, die war damals voll in. Die gab es aber nie—wir waren im Asylantenheim.

Meine Mutter hat dort ihren Freund kennengelernt, einen Afghanen. Kurz nach dem Geburtstag sind meine Mutter, ihr Freund und ich nach Ruppertshain in eine eigene Wohnung gezogen. Das Dorf liegt auch bei Frankfurt im Taunus, mit Wald rundherum. Wir machten unsere eigene Pizzeria auf. Auf den ersten Blick eine schöne Familie.

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Was soll ich euch sagen, am Anfang war der Freund meiner Mutter ein super Mensch. Aber dann stellte sich raus, dass er abends oft spielt. Er und seine Leute haben Scheiß gebaut, Menschen entführt, richtig übel. Wir dachten uns manchmal: Wer ist dieser Mann überhaupt?

Er flüsterte: "Ich wünschte, du wärst tot." Sie hat geschlafen, ich habe es gehört.

Er war nicht gut zu meiner Mutter. Eines Nachts flüsterte er ihr ins Ohr: "Ich wünschte, du wärst tot." Sie hat geschlafen, aber ich habe es gehört. Manchmal habe ich mir gewünscht, er wäre einfach nach Afghanistan abgeschoben worden. Aber Gott wollte ihn ganz zu sich holen.

Es passierte, als ich 13 war. Ein Mann und eine Frau, beide Punks, kamen in die Pizzeria und raubten ihn aus. Der Mann stach meinen Stiefvater ab. Als er nicht nach Hause kam, dachten wir erst, er wäre spielen. Aber vor der Pizzeria waren Polizei und Krankenwagen. Ich habe es einfach nicht verstanden. Sie haben uns an diesem Tag alles genommen: Geld, Auto und unsere Familie, auch wenn er nicht der beste Mann war. Wir standen in einer Blutlache. Wir sind hergekommen, um ein besseres Leben zu führen, und werden mit Mord konfrontiert. Manchmal läuft das Leben eben nicht so, wie man es sich wünscht. Man kann es nicht stoppen, man kann es nicht lenken.

Meine Mutter war schwanger von meinem Stiefvater.

Mein Stiefbruder Ivan kam zur Welt, als sein Vater schon im Himmel war. Jetzt, wo ihr Freund weg war, kamen viele Leute zu meiner Mutter und wollten Schulden, die er angehäuft hatte, zurückgezahlt haben. Jeder wollte auf einmal Geld von uns. Meine Mutter hat geheult, sie war eine Frau mit zwei Kindern, ihr Mann war gestorben und auf einmal kommen Verwandte und Bekannte und wollen Geld. Und die Polizisten haben uns auch noch verdächtigt, etwas mit seinem Tod zu tun zu haben. Wir haben uns selbst wie tot gefühlt.

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Es war seltsam, weiter in der Wohnung zu leben, nachdem er gestorben war. Jemand war vorher da und plötzlich ist er nicht mehr da. Manchmal hatte ich Angst, dass es spukt. Ich war noch ein Kind, da guckt man Horrorfilme und kriegt Paranoia. Es war auch ein abgefucktes Scheißdorf. Nur Berge. Und Neonazis. Viermal klebte an unserer Haustür ein Zettel, auf dem "Scheiß Russen" stand. Es war herzlos dort.

Das einzig Gute, was in diesen Wochen passierte: Neben unserer Wohnung hatten Griechen einen Kiosk und die haben meiner Mutter dann ein Auto geschenkt. Die hatten drei oder vier und haben ihr einfach eines gegeben, weil sie gesagt haben: "Es tut uns leid, was passiert ist." Das war eine Riesenhilfe.

Die Lehrer sind immer zu mir gekommen, alle haben gesagt "mein Beileid". Ich war einfach klein, es hat mich alles völlig überrollt. In die Schule musste ich gehen, aber ich wollte da nie hin, vor allem nicht in dieser Zeit. Ich konnte mich auch nicht richtig konzentrieren. Anstatt abends die Hausaufgaben zu machen, habe ich irgendwas ins Heft gekritzelt. Und heimlich Musik gemacht. Beziehungsweise Worte aus Eminem-Songs, die ich verstanden habe, nachgesungen und viele deutsche Schimpfworten benutzt. Manche Texte hat meine Mutter weggeschmissen, weil sie zu asozial waren. Sie hat gesagt: "Sowas will ich nie wieder sehen." Nach dem Mord hatte ich einfach viel Hass in mir.

Irgendwann kam ein Brief der beiden Mörder, sie haben sich entschuldigt und gesagt, dass es ihnen leid tut, und dass sie nicht wussten, dass mein Stiefvater ein Kind hatte. Meine Mutter hat den Brief weggeschmissen und gesagt: "Lächerlich." Was denken die sich denn, einen Brief zu schreiben? Wahrscheinlich gehörte es zu ihrer Therapie im Knast oder so, aber was bringt das uns? Das war absurd.

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Alles wurde besser, als wir weg aus dem kleinen Dorf nach Darmstadt gezogen sind, da war ich 16 Jahre alt. Unser Viertel Kranichstein wirkte auf mich wie eine Metropole. Im Asylheim lebten wir zwar auch mit verschiedenen Nationalitäten zusammen, aber das war noch mal viel krasser, aufregend und neu.

Wir fuhren mit dem Roller zur Schule, ohne Führerschein, ohne Helm.

Erst mal musste ich den Idiotentest machen, um auf die Realschule zu kommen—und habe verkackt. Schule, Lernerei, das war nie mein Ding. Also bin ich auf die Sonderschule gegangen. Das war eine lustige Zeit. Die Jungs haben mich morgens immer mit dem Roller abgeholt, ohne Führerschein, ohne Helm. Ich hab mich draufgesetzt und wir sind zur Schule gefahren. Respekt vor den Lehrern hatte keiner, wir haben auch alle gespickt. Ein Typ war einfach ein, zwei Jahre im Urlaub. Dann kam er zurück und der Lehrer hat gefragt: "Wo warst du?" – "Krank." – "OK, kein Problem, setz dich einfach hin."

Es war bunt gemischt: Marokkanerinnen, die sich die ganze Zeit im Unterricht geschminkt haben. Italiener, denen alles egal war. Aber auch richtige Maschinen, die eigentlich auf dem Gymnasium sein müssten, aber in der Sonderschulklasse sitzen, solche Roboter mit Brille.

Eine verrückte Schule. Aber alles gute Leute, aus den meisten ist bestimmt was geworden. Auch ich habe dort meine Chance bekommen—ich wäre ja auf gar keine andere Schule gekommen. Ein paar gute Noten hatte ich auch, in Kunst hatte ich immer eine eins. Meine Großmutter und meine Mutter sind beide Künstlerinnen.

Dann habe ich meinen erweiterten Hauptschulabschluss gemacht. Meine neuen Freunde und ich haben viel Musik gemacht, in Räumen, die vor lauterkiffenden und rauchenden Leuten so stickig waren, dass man kaum Luft bekam. Total bescheuert eigentlich, aber auch gut.

In Kiew hätten wir nicht so gut gelebt wie in Deutschland. Wenn du einen Flüchtling fragst, wird er sicher auch sagen: Du bekommst einen Raum, Essen, Hilfe, eine Chance. Bei mir hat es mit der Musik geklappt. Ich kann gut davon leben, meiner Familie alles kaufen, was sie braucht: ein Auto für meine Mutter, den Führerschein für meinen kleinen Bruder.

Wenn ich so zurückblicke: Der Mord an meinem Stiefvater hat mich nicht verändert, das hat mich nur traurig gemacht. Aber durch die Musik bekomme ich Respekt von Leuten, die sonst nie Respekt vor mir gehabt hätten. Das hat mich verändert.

Nacherzählt von Sofia Faltenbacher, du findest sie auf Twitter.