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Interviews

Swiss von Swiss & Die Andern erklärt, ob und wie die Welt noch zu retten ist

Trump, Terror und Rechtspopulismus in ganz Europa. Wie soll das weitergehen? Wir haben den in Hamburg lebenden Schweizer gefragt.
Foto: Facebook | Swiss & Die Andern

Am Wochenende fand zum dritten Mal das Antiracup-Festival im Berner Dachstock statt – die Abschlussparty des einzigen antirassistischen Fussballturniers der Schweiz. Passend zu diesem Anlass sollte am Tag noch eine antifaschistische Demo in Bern stattfinden, welche von der Polizei verhindert wurde. Dies zeigte Wirkung, das Festival war gut besucht und es wurden fleissig Parolen zu den Texten von Swiss & Die Andern, Johnny Mauser und Captain Gips geschrien – Hamburg Finest war am Start.

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Swiss & Die Andern positionieren sich mit ihren Texten und Videos politisch ganz klar im linken Spektrum und teilen ihre Meinung in ihren Songs und auf der Bühne. Doch die wenigsten wissen, dass Swiss eigentlich in der Schweiz geboren wurde und seine Eltern in der hiesigen Unterhaltungsbranche tätig sind. Du wirst überrascht sein, aber daher kommt auch sein Künstlername. Ich habe Swiss am Antiracup-Festival getroffen, um ihm ein paar sehr wichtige Fragen zu stellen.

Noisey: Hey Swiss, ist die Welt überhaupt noch zu retten?
Swiss: Also das glaube ich nicht. Wir sagen ja auch, die Welt ist missglückt, verloren und am Arsch. Wir können dem Planeten Erde nur wünschen, dass sich der Mensch bald von alleine verpisst. Ich glaube, das wäre das Beste. Das sieht man bei allen Imperien in der Geschichte, sei das jetzt Rom oder Konstantinopel: Die haben sich immer von innen selbst zerstört. Ich glaube, dass das der Mensch auch macht. Die Dekadenz und die Systeme, welche vorherrschen, zerstören sich an einem gewissen Punkt selbst. Der Kapitalismus ist das beste Beispiel dafür. Unsere Ansicht ist: Die Welt geht unter, aber das ist auch voll geil, wir sind dabei und es ist gut, dass es passiert.

Möchtest du nicht etwas ändern, damit die Welt nicht untergeht?
Ich möchte schon etwas ändern, aber die Leute wollen immer sofort so grosse Änderungen: Wir müssen das Klima retten oder wir müssen den Hunger der Welt bekämpfen. Der Meinung bin ich auch, aber fangt doch erst einmal an, im menschlichen Miteinander korrekte Menschen zu sein. Halt doch mal einer alten Dame die Tür auf, sag danke, wenn dir jemand etwas gibt, oder bitte, wenn du etwas haben möchtest. Die Menschen untereinander sind sehr verrucht. Kapitalismus ist immer so ein riesiges Wort in dieser Diskussion, aber ich glaube, das hängt schon mit der Attitüde, die der Kapitalismus mit sich bringt, zusammen.
Dieses Gegeneinander und immer mehr wollen, so dass die Leute das Gefühl haben, als Arschloch weiter zu kommen. Insofern würde ich das schon gerne ändern und ich glaube auch, dass man mit der Musik vielleicht einen kleinen Beitrag dazu leisten kann.

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Wie kannst du das mit eurer Musik erreichen?
Es geht mir darum, meine Einstellung im Leben und in der Musik auszuleben – weniger darum, den Leuten zu erzählen, wie sie leben sollen. Ich bin nämlich selber so ein Typ, der direkt abschaltet, sobald er merkt, dass er belehrt wird. Deshalb versuche ich, bei unserer Musik die Leute nicht zu belehren. Ich möchte den Leuten keine Botschaft mitgeben, ich will versuchen, das Publikum so mitzunehmen, dass sie selber für sich eine Botschaft finden. Sokrates zum Beispiel – ich will mich jetzt nicht mit Sokrates vergleichen – hat den Leuten nicht gesagt, was sie falsch machen, sondern immer nachgefragt, bis die Leute selber gemerkt haben, dass sie eigentlich ganz schönen Schwachsinn reden. Ich sage nicht, dass wir das schaffen, aber für mich muss genau so gute Kunst aussehen.

Trotzdem provozierst du mit deinen Texten und Videos ziemlich die bürgerliche Norm.
Ich finde Provokation wichtig. Ich glaube, das ist der beste Weg, um zu erreichen, dass sich Leute mit etwas auseinandersetzen. Es löst einen Prozess und auch Diskussionen aus und das ist gut. Ob du das jetzt cool findest, ist deine Sache. Ich weiss, da draussen gibt es unzählige Leute, die finden, dass wir eine Drecksband sind, die viel zu fest auf die Kacke haut und viel zu fest polarisiert. Ich glaube aber, dass das gute Kunst auszeichnet.

Heute war ja eigentlich eine Antifa-Demo geplant, die von der Polizei aber unterbunden wurde. Was denkst du darüber, dass die freie Meinungsäusserung so unterdrückt wird?
Ich kenne das von dieser legendären "Welcome to Hell"-Demo am G20-Gipfel. Es ist immer so, dass gewisse Leute ein Interesse daran haben, dass andere Leute ihre Meinung nicht zu laut kundtun. Dann wird irgendeine fadenscheinige Begründung gefunden, wieso die Demo nicht starten darf. Beim G20 war es genau das Gleiche. Dort wurde auch mitgeteilt, dass die Demo erst starten kann, wenn sich die Leute demaskieren. Dann hatten sich bis auf 20/30 Leute alle entmummt. Dann hast du auf der einen Seite das Vermummungsverbot und auf der anderen Seite das Demonstrationsrecht – also das Recht auf freie Meinungsäusserung. Die Polizei hätte in diesem Fall auch mal den Demonstranten die Hand geben und sagen können: "Lasst eure 20/30 Leute vermummt sein und geht mal los, weil das Recht der freien Meinungsäusserung im Moment wichtiger ist." Aber das haben sie nicht gemacht und dann ist genau das passiert, vor was sie eigentlich Angst hatten: Sie haben es eskalieren lassen.

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Hast du das Gefühl, dass man heutzutage eher etwas mit geradliniger Politik erreicht oder mit revolutionärer Politik?
Wir müssen laut und wütend sein und den Politikern zeigen, dass sie nicht alles machen können, was sie wollen. Es ist immer schön, zu sagen, dass man parlamentarische Wege gehen muss, aber da änderst du nur systeminterne Sachen. Das beste Beispiel dafür ist die AfD-Quote. Die Leute merken, dass da das erste Mal eine Partei ist, die nicht für etablierte Politik steht und viel Zuspruch erhält. Und was ist das Resultat? Ein klarer Rutsch nach rechts. Es ist also wichtig, dass 100.000 Leute auf der Strasse sind und gegen etwas protestieren. Wenn dann etwas läuft, kriegt die Polizei mehr Panzer und mehr Wasserwerfer und es wird diskutiert, ob die Flora geschlossen wird. Die Sachen, die schlussendlich in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden, sind einfach völlig die Falschen. Vielleicht sollte man sich auch mal Gedanken machen, wieso die Leute keinen Bock haben, dass die 20 reichsten Nationen bestimmen, was in dieser Welt passiert und ihre Waffendeals hin und her schieben.

Ist für dich in gewissen Fällen Gewalt ein legitimes Mittel, um Probleme zu lösen?
Also wenn Gewalt Selbstverteidigung ist, dann ja. Zeig mir eine Revolution, mal abgesehen von Gandhi, bei der keine Leute gestorben sind und es nicht blutig wurde. OK, höchstens noch die Revolution, bei welcher wir unseren Mischer ausgetauscht haben.

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Wieso, denkst du, kommt es gerade zu so einem extremen Rechtsrutsch?
Weil die Leute heutzutage so unfassbar unzufrieden sind. Aber anstatt auf die Strasse zu gehen und dagegen zu demonstrieren, dass irgendwelche Banken für hunderte Millionen Franken Steuergelder gerettet werden oder die Rüstungsindustrie für Forschungszwecke subventioniert wird, regen sich die Leute über das Flüchtlingsheim an der Ecke auf, welches eine Million Franken kostet. Die Rechten spielen mit so ganz billigen Existenzängsten: "Der Schwarze nimmt mir meine Frau weg und befummelt meine Tochter." Die Leute steigen so leicht auf diese Wahrheit ein, aber die Wahrheit ist nie so einfach, die ist immer komplex. In diesem Kontext ist ein riesiges Problem, dass viele Menschen sehr reduziert zu Bildung gelangen oder darauf keinen Wert legen. Aber man sagt ja auch, dass eine Revolution nie vom Volk ausgehen kann. Sie muss immer erst von der intellektuellen Schicht ausgehen. Das glaube ich auch. Das Volk oder der Pöbel ist oft sehr revanchistisch, die stürzen dann die Leute, welche an der Herrschaft waren, um sich zu rächen und sich in ihre Position zu stellen.

Findest du diese mangelnde Bildung, die ja auch etwas auf Faulheit zurückgeht, ist ein Problem unserer heutigen Zeit?
Das ist definitiv ein Zeichen unserer Zeit. Die Menschen skippen immer weiter. Ich merke das ja auch bei mir: Ich habe gerade seit Jahren wieder einmal von Kafka Das Schloss gelesen. Ich hab bestimmt ein halbes Jahr daran gesessen, weil es mir zum Teil so schwer fiel, mich darauf zu konzentrieren – meine Aufmerksamkeitsspanne ist mega kurz. Oder wenn es darum geht, sich etwas anzueignen. Es ist viel leichter nach Hause zu kommen, RTL 2 anzumachen und "Frauentausch" zu gucken und zu denken: "Guck mal diese Bauern, Alter, ich bin viel cooler als die".

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Sind wir medienüberlastet?
Wenn du heutzutage durch die sozialen Netzwerke scrollst, hat jeder das Gefühl, dass seine Scheiss-Meinung gefragt ist, anstatt einfach mal ruhig zu sein. Es gibt heutzutage einfach zu viele Infos, zu viele Meinungen, zu viel Hype um gewisse Meinungen und die daraus folgende Hysterie. Dadurch kommen die Leute nie auf die Sache. Die meisten haben ja gar keine Meinung, es gibt Leute die in den Medien was behaupten und das wird dann übernommen. Ich fühle mich ja selber von den Medien beeinflusst. Die Medien sind wie der Kapitalismus: Du kannst ihn hassen, aber du kannst dich ihm nicht entziehen. Das kann keiner.

Also bist du ein Gegner des Kapitalismus?
Eigentlich schon, aber das sind Worte, die mittlerweile so gross sind. Ich bin gegen den Kapitalismus, trotzdem trage ich eine Adidas-Hose und geh bei Rewe einkaufen. Was vorherrscht, ist der Kapitalismus und daher musst du deinen Platz finden in dieser Welt, um zu überleben.

Was wäre deine alternative Vorstellung zum Kapitalismus?
Ich weiss jetzt nicht, ob Planwirtschaft oder Sozialismus besser wären. Ich glaube, das grosse Problem am Kapitalismus ist einfach diese grenzenlose, ungedeckte Freiheit. Die Märkte sind frei, jeder soll so viel verdienen, wie er kann. Ich habe ein riesiges Problem mit dieser Privatisierung. Da gibt es ohne Ende Drecksplayer. Meiner Meinung nach sollte der Staat viel mehr Grundbedürfnisse decken und es sollte alles in seine Hand gehen. Sachen wie Wasser sollten allen gehören oder mindestens dem Staat. Wasser sollte nicht dazu ausgelegt sein, Profit damit zu machen.

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