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Krampus

Warum sich immer mehr junge Männer als Krampusse verkleiden

Sie schlagen mit der Rute, jagen ihre Gegner, schreiten und wüten: Im Krampuskostüm lässt sich eine Männlichkeit ausleben, die verdammt toxisch ist.
Gruselige Krampusmasken liegen am Boden
Foto: Dionysos Pass Hollabrunn

Es ist Anfang Advent 2006, ich bin zehn Jahre alt und ich weiß, dass ich an diesem Abend nicht mehr aus dem Haus gehen werde. In meinem Heimatdorf in Oberösterreich ist bis zum 6. Dezember Krampus-Zeit. Ich verstecke mich hinter heruntergelassenen Jalousien und horche, ob ich draußen das Rasseln der Glocken und die Schreie junger Männer im Anhänger eines Traktors höre. "Mach dir keine Sorgen. Dich nehmen sie eh noch nicht mit", hatte mir eine Bekannte ein paar Tage zuvor erklärt. "Sie entführen Mädchen erst, wenn sie ein bisschen älter sind."

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Die Sorge davor entführt zu werden blieb trotzdem. Eine Dezembernacht bei Minusgraden im Anhänger eines Traktors zu verbringen, zwischen stinkenden Männern im Schafspelz, löste Angstzustände in mir aus, die ich jahrelang nicht abgelegt habe. Ich frage mich seit jeher, was junge Männer antreibt, sich einen Pelz über zu werfen, Mädchen zu entführen, und mit Ruten Leute zu schlagen. Mit zehn Jahren dachte ich, es macht Jugendlichen eben Spaß, Kinder zu verstören, später hielt ich den Krampus einfach für ein Symbol toxischer Männlichkeit. Das sind zwei wichtige Punkte, die zum Teil erklären, warum Krampusse immer beliebter werden, sie reichen aber nicht, um das ganze Phänomen zu verstehen.


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Junge, weiße Männer mit Schafspelz und Hörnern

Aller Nikolausverbot-Ängste der FPÖ zum Trotz: Seit den 2000ern ist die Zahl der Krampusgruppen und Events rasant angestiegen – und damit auch die Zahl der Unfälle bei diesen Events. Anfang Dezember wurde ein 16-jähriger Krampus schwer verletzt, weil ein Böller in seiner Hand explodierte. In derselben Woche schlug ein Krampus einem Mann auf einem Perchtenlauf in Klagenfurt mit der Faust ins Gesicht. Vor allem letztes Jahr kam es im Rahmen von Krampus- oder Perchtenläufen immer wieder zu Ausschreitungen, bei denen Krampusse oder Perchten gewalttätig wurden.

Die Ungleichheit zwischen Arm und Reich wächst genauso wie die zwischen Stadt und Land, unsere Arbeitswelt verändert sich. Mit dieser Unsicherheit lässt sich laut der Anthropologin Gertraud Seiser auch der Hype um den Krampus erklären. Gemeinsam mit dem Anthropologen Matthäus Rest erforschte und erklärte Seiser das Phänomen in dem Buch "Wild und Schön. Der Krampus im Salzburger Land".

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Schnelle Veränderungen führen oft dazu, dass Traditionen neu erfunden werden und ihnen eine jahrtausendealte Geschichte angedichtet wird. Obwohl es gern behauptet wird, spaziert der Krampus nicht schon seit vorchristlichen Zeiten brüllend durch die Dörfer. Vor den 1580ern gibt es keine Aufzeichnungen über den Krampus. Und mit bengalischem Feuer am Krampuslauf tanzt er überhaupt erst seit einigen Jahren.

Auch in meiner Heimat, im südlichen Oberösterreich, war der Krampus-Hype in den letzten Jahren stark zu spüren. Je hässlicher die Masken und je größer die Show, umso stärker wurde auch meine Angst. In meiner Kindergartenzeit Anfang der 2000er war es bei uns Tradition, dass Nikolaus und Krampus meine Familie am 6. Dezember besuchten. Damals trugen die "Kramperl" noch Gummihörner und einfache Masken. Ein paar Jahre später waren ihre Hörner oft über einen halben Meter lang und gefährlich spitz. Statt billige Masken aus Gummi zu verwenden, schnitzt man sie jetzt aus Holz und und bemalte sie als vernarbte, zerstörte Gesichter, bei denen das Hirn heraustritt. Die Angst von uns Kindern wurde so groß, dass sich meine Eltern dagegen entschieden, Nikolaus und Krampus Anfang Dezember zu uns nach hause einzuladen. Die Nikolaus-Sackerl und Süßigkeiten bekommen wir seither direkt.

Es sind vor allem weiße, männliche Jugendliche aus dem Mittelstand im ländlichen oder vorstädtischen Raum, die sich die Masken und Schafspelze aufsetzen. Die Eltern oder Großeltern von vielen waren Bauern, fast niemand Migrantinnen.

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Genau diese männlichen Jugendlichen leben auch in meinem Heimatdorf und setzen sich zu Krampus-Zeiten die Masken auf. Wenn es abends früh dunkel wird, herrscht unter den Jüngeren in den Schulen oft Krampus-Ausnahmezustand. Es sind vor allem die Jungen, deren Welt sich um die "Kramperl" dreht. Sie kritzeln Krampus-Skizzen in ihre Hefte, basteln Papier-Masken und reden von nichts anderem mehr, obwohl sie gleichzeitig oft panische Angst haben. Viele warten sehnlich darauf, endlich selbst unter die Maske schlüpfen zu können – wohl auch um endlich vom Ängstlichen selbst zum Gefürchteten zu werden.

Der Krampus ist eine Antwort auf die Krise der Männlichkeit

Als Krampus verkleidet, können junge Männer Gewaltfantasien zeigen, die aus guten Gründen nicht mehr zeitgemäß sind. Mehr noch: "Im Krampus lässt sich eine Männlichkeit ausleben, die immer schon sanktioniert war", erklärt der Sozialanthropologe Matthäus Rest. "Auch 1960 konnte man nicht durchs Dorf gehen und Leute mit einer Rute schlagen." Bei vielen jungen Krampussen gibt es die Sehnsucht nach einer selbstbewussten, heteronormativen Männlichkeit in einer homogenen weißen Gesellschaft. "Wir sind überzeugt davon, dass es einen Zusammenhang zwischen der Krise der Männlichkeit und dem Krampus-Kult gibt", sagt die Anthropologin Gertraud Seiser.

Die Gründe, warum sich junge Männer den Gruppen anschließen, sind unterschiedlich, auch von Gruppe zu Gruppe. Patric ist einer von denen, der sich regelmäßig verkleidet. Der 26-jährige Niederösterreicher ist seit 2018 in der Krampusgruppe Dionysos Pass aktiv. Für ihn und seine Freunde ist das "Kramperl"-Sein ein gemeinsames Hobby. "Ich war schon als kleines Kind immer von den Krampusläufen und den aufwendig hergestellten Kostümen und Masken begeistert", sagt er. Als Krampus geht es ihm darum, ein Schauspieler zu sein und dem Publikum eine perfekte Show zu bieten.

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So wie Patric sehen das viele, die sich verkleiden. Auch Matthäus Rest betont, dass es nicht den einen Grund gebe, warum sich junge Männer die Masken aufsetzen: "Der Krampus ist sexy, weil er für verschiedene Leute verschiedene Dinge tut."

Für manche ist der Krampus eine Möglichkeit, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen. Wer unter der Maske steckt, gehört zum "Wir", das sich gegen die "anderen" verbündet. Die anderen können viele sein: eine rivalisierende Gruppe aus dem Nachbardorf oder dem Tal gegenüber. Teils sind die anderen aber auch Migrantinnen und Migranten, so die Wissenschaftlerin Gertraud Seiser. Damit schafft es der Krampus auch Teil der Vorstellung einer "abendländischen Identität" zu werden, die in den letzten Jahren ebenso Konjunktur hat.

Was ist eigentlich die weibliche Form des Krampus?

Frauen gibt es unter den Krampussen nur wenige, auch wenn es mehr werden. In meiner Kindheit wurden Krampusse von Frauen nur begleitet: Als blonde Engel im weißen Kleid – was das Ganze wie eine oberösterreichische Version von "die Schöne und das Biest" wirken ließ und die Rollen klar verteilte. Frauen unterstützen ihre Männer, Söhne und Brüder aber im Hintergrund, oft auch finanziell. Ein Outfit kostet mindestens 1.000 Euro – Preis nach oben hin offen.

Und junge Frauen spielen noch eine andere zentrale Rolle: die der Zuschauerinnen. Sie sind die Hauptzielgruppe und zumindest teilweise die, wegen denen das Spektakel veranstaltet wird. Die Religionswissenschaftlerin Theresia Heimerl beschreibt die Krampusläufe als "einziges saisonales #Metoo", da sich Frauen auf solchen Events immer in einer vom Krampus gejagten Rolle wiederfinden. Gleichzeitig sind es eben gerade junge Frauen, die nach den Krampusläufen stolz ihre blauen Flecken zeigen und sich so einen Platz in der Krampus-Szene holen.

Warum männliche Jugendliche in hässlichen Masken, die verwachsene bis tote Wesen darstellen, für junge Frauen eine so große Anziehungskraft haben, kann auch die Wissenschaft nicht erklären. "Ich habe mich oft gefragt, warum knackige 18-Jährige mit diesen grässlichen Alterserscheinungen bei jungen Frauen punkten", sagt die Anthropologin Gertraud Seiser.

Für mich selbst hat das ganze eher Anti-Anziehungskraft und es gilt Anfang Dezember 2018, wenn ich meine Eltern besuche, das Gleiche wie 2006: Jalousien runter. Ich habe vielleicht heute etwas weniger Angst vor den Männern im Kostüm, in der Vorstellung, dass mich Maskierte mit einer Rute verprügeln, kann ich noch immer keine harmlose Tradition sehen. Ich werde das Haus erst wieder nach der Krampuszeit verlassen.

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