"Hoffentlich war es kein Araber", sagt der Türsteher, als er uns aus dem Tempodrom entlässt, in dem Jan Böhmermann und Olli Schulz gerade ihre Show abgebrochen haben. Er ahnt, welche Debatte in den nächsten Tagen folgen wird—und er soll Recht behalten. "Das sind Merkels Tote", twittert Marcus Pretzell nur Minuten nach dem Anschlag; der Europaparlamentarier der AfD ist als chronischer politischer Provokateur bekannt, trotzdem arbeiten sich alle Medien daran ab. Der saarländische Innenminister Klaus Bouillon sieht Deutschland in einem "Kriegszustand". Und Horst Seehofer will die gesamte Einwanderungs- und Sicherheitspolitik des Landes überdacht wissen. Ein Anschlag und alles soll anders sein. Deutschland soll nicht mehr offen sein, sondern maximal geschlossen.
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Eine andere Szene, wenige Minuten nach dem Anschlag auf den Straßen Neuköllns. Die Nachrichten kommen über das Telefon, kurz nach Feierabend und kurz vor der Haustür. Eine Gruppe Neuköllner Jungs weiß schon Bescheid, ihre Reaktion ist irgendetwas zwischen pubertärer Gleichgültigkeit und schwarzem Humor: "Das mit dem Weihnachtsmarkt? Ja, ja, habe ich gehört, sehr traurig. Ich glaube, es war sein Vater hier, rufen Sie gleich mal die Polizei." Es wirkt wie ein zynischer Versuch, auf die Erwartungen der Medien zu reagieren: Muslime und vielleicht auch Migranten sollten sich ungefragt distanzieren. Ein Reflex, der eigentlich nur etwas über das Denken der Mehrheitsgesellschaft verrät, aber die Debatte nicht voran bringt. Das Taxi kommt.Der Taxifahrer bringt eine von uns zum Breitscheidplatz, obwohl noch nicht sicher ist, was es dort zu tun gibt. Erstmal ein Bild von der Lage machen, sich sortieren, dann die Fakten, dann schreiben. Der Taxifahrer ist Iraker, er wirkt angespannt bis verzweifelt, möchte an diesem Abend kein Geld, eigentlich möchte er auch gar nicht zum Breitscheidplatz und die Polizei stören: "Diese Arschlöcher, jetzt haben sie uns auch erwischt. Furchtbar. Ich bete bei jedem Terroranschlag, egal wo, dass es der letzte war. Und was das Schlimmste ist: Ich habe das Gefühl, einige Menschen in Berlin freuen sich darüber. Es passt in ihr Bild. Was muss eigentlich in Menschen vorgehen, dass Menschen umgebracht werden und sie zufrieden sind?"
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Die Anschläge in Paris, der Amoklauf in München, sie haben Berlin psychologisch darauf vorbereitet, was die Stadt irgendwann mal erwarten würde—auch das zeigt sich in diesen Tagen. Die Menschen haben daraus gelernt, die meisten Medien auch. Keine Hysterie, diesmal kursierten keine Falschmeldungen, die an anderen Orten der Stadt für Panik sorgten, nie war die Metropole lahmgelegt. Am Breitscheidplatz fahren schon wieder Busse und Bahnen, auf dem Rückweg unterhält sich ein Pärchen leise über ihre unfairen Chefs im Schichtbetrieb, während beide immer wieder ihr Telefon checken. Die Bürger von Berlin erzwingen den Alltag, den der Terror ihnen nehmen will, weil sie einfach weitermachen, weiterleben.Für manche beginnt die Debatte darüber, wer in Deutschland leben darf, noch bevor die ersten Toten begraben sind. Es ist eine Diskussion, die das Land in den nächsten Monaten begleiten wird, mindestens bis zur Bundestagswahl, bei der Angela Merkel wiedergewählt werden möchte. Können verschiedenste Menschen hier friedlich zusammenleben oder ist das "Multikultiwahn", um einen rechten Kampfbegriff zu zitieren? Aus der AfD und Teilen von CSU und CDU mehren sich inzwischen die Stimmen, die in Frage stellen, wie viel Offenheit ihre Heimat verträgt"Neukölln ist überall", es war nicht als Kompliment gemeint, als der ehemalige Bürgermeister das sagte. Es gibt keinen Ort im Land, der für die häufig scharf geführten Debatten um Integration, Parallelgesellschaften und Toleranz eine solche Bedeutung hat wie dieser Bezirk im Südosten Berlins. In vielerlei Hinsicht ist Neukölln eine Art AfD-Armageddon; hier wird—mit allen Problemen, die das so mit sich bringt—ganz bereits eine verdichtete, multilaterale Zukunft gelebt. Am Tag nach dem Anschlag sind wir deshalb noch einmal nach Neukölln gefahren, um mit Menschen zu sprechen, wie sie ein Querschnitt des Viertels sein könnte. Türkische Arbeiter, Leute, die hauptberuflich Schicht arbeiten und nebenbei noch als Hausmeister den Flur schrubben, um sich die Miete leisten zu können, alte Damen, die dem Viertel seit Jahrzehnten treu geblieben sind, junge italienische Verkäufer auf dem Markt. Wir haben ihnen gezeigt, was die AfD sagt, was Horst Seehofer gesagt hat. Es sind Parolen, die niemand derjenigen, mit denen wir sprachen, mittragen; im Gegenteil: Sie sind ihnen zu einfach, einfach falsch. Selbstverständlich haben wir niemanden dazu gedrängt, sich von irgendetwas zu distanzieren. Wir wollten einige der Menschen aus jenem Viertel zu Wort kommen lassen, an dem sich Deutschlands abstrakte Integrationsdebatte verdichtet. Hier sind einige ihrer Antworten.
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"Gewalt wird es immer geben"
"Ändern wird der Anschlag nichts"
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