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Terror-Liveticker: Warum der IS in Dhaka seine Social Media-Strategie änderte

Inmitten der Belagerung des Cafés in Dhaka hat sich der IS diesmal mit blutigen Live-Updates auf Deutsch zu Wort gemeldet. Die neue Taktik ist auch eine Reaktion auf Verluste im Kerngebiet.
Bild (unscharf gemacht): Screenshot

Am 22. Mai rief der IS-Sprecher Abu Mohammed Al-Adnani seine Anhänger zu Anschlägen im Verlauf des Ramadan auf und erklärte ihn zum „Monat des Dschihad". Es folgten verheerende Angriffe auf Zivilisten in Orlando, am Flughafen Atatürk in Istanbul, in Dhaka und in zuletzt in Baghdad.

Der Verlust von Falludscha beschleunigt einen Strategiewechsel des IS: Daesh investiert weniger in den Aufbau eines eigenen Staates im Nahen Osten und mehr in die Verbreitung seines Terrors weit über sein Kerngebiet hinaus. Diese Taktikänderung schlug sich beim Angriff auf das Café in Dhaka am Wochenende auch deutlich in den sozialen Medien nieder.

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Als am Freitag gegen 20:30 Uhr Ortszeit sieben Milizen in ein Restaurant und eine Bäckerei in Gulshan, einem gut gesicherten Diplomatenviertel in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs stürmten, war es ein relativ stiller Abend—die meisten einheimischen Besucher begingen gerade zuhause das Fastenbrechen im Ramadan. Die Angreifer nahmen für rund zwölf Stunden die anwesenden Gäste als Geiseln, folterten und töteten 22 Personen. 18 von ihnen waren Ausländer. Die Täter lieferten sich über mehrere Stunden eine Scheißerei mit Polizisten und Armee. Ein Angreifer wurde verhaftet, sechs Terroristen wurden in den Kämpfen getötet.

Noch während der Geiselnahme veröffentlichte der IS über seine offizielle Nachrichtenagentur 'Amaq und auf Telegram „Updates" und Bilder aus dem Inneren des Restaurants, die zu grausam sind, um sie hier alle zu zeigen. Die neue Strategie einer Art Live-Berichterstattung während des Angriffs muss bereits Teil der Anschlagsvorbereitung gewesen sein.

Angestellte des Restaurants wurden von den Terroristen aufgefordert, das W-Lan anzuschalten, weil das mobile 3G-Internet sich als nicht verlässlich herausstellte—und einer der Angreifer hatte für den Fall der Fälle sogar seinen Laptop dabei, um Fotos der mit Macheten entstellten Opfer live zu verbreiten. Auf den Bildern kann man auch erkennen, dass die Milizen einen Gaszylinder in das Restaurant gebracht hatten, um sich gegen die Polizei zu verteidigen.

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Ortskundige erkannten das Restaurant anhand der Rattanstühle in den Fotos wieder—die Bilder wurden jedoch bereits Stunden vor der Stürmung des Restaurants durch die Polizei im Netz gepostet. Wie die Deutsche Welle berichtet, vergeudeten die Sicherheitskräfte wertvolle Zeit in der Vorbereitung auf die Stürmung durch eine Ausarbeitung des Saalplans—der Innenraum des Restaurants ist jedoch durch eine einfache Googlesuche aufzufinden.

Die zwischen 19 und 24 Jahre alten Islamisten—allesamt Bangladeschis aus wohlhabenden Familien—stürmten die „Ansammlung von Angehörigen der Kreuzzüglerstaaten", hieß es auch in der ausführlichen Rechtfertigung, die der IS am Samstag im Netz herausgab. Dass sich der IS über seine offizielle Nachrichtenagentur 'Amaq aber schon bereits während der Belagerung zu dem Anschlag bekannt hatte, ist neu.

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Noch am Sonntag behauptete der bangladischische Innenminister, die Terroristen seien „homegrown" gewesen und hätten keinen Bezug zum IS gehabt.

Doch dieses Narrativ hat der IS selbst bereits zuvor widerlegt: Bereits am Samstag verbreiteten die offiziellen IS-Medienkanäle auf Telegram und die IS-Nachrichtenagentur 'Amaq Fotos von fünf der Terroristen aus dem Restaurant in Dhaka. Alle fünf jungen Männer posieren mit einer (und zwar ein und derselben, siehe die Kratzer am Abzug) automatischen Waffe in der Hand neben einer IS-Flagge. In den Bildunterschriften finden sich die Kunyas (Kampfnamen) der Getöteten.

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Die Portraits waren zuvor aufgenommen worden, um die Angreifer strahlend, in bestem Licht und Kampfmontur zu präsentieren und letzte Zweifel an ihrem Treueschwur gegenüber dem IS auszuräumen. Sie waren für den einkalkulierten Todesfall der Angreifer bereits von den IS-Medienstrategen zur gleichzeitigen Veröffentlichung nach den Morden vorbereitetet worden.

IS release pics of Dhaka attackers - note they are all posing with the same gun (see the scratches near the trigger) pic.twitter.com/wycogpaWqW
— Yohji (@yohjiarmstrong) [July">https://twitter.com/yohjiarmstrong/status/74927071…](<a href=) 2, 2016

Tatsächlich hat sich der IS in Bangladesch bereits zu mehr Anschlägen bekannt als in Pakistan oder Afghanistan—unter anderem zu dem Mord an einem Italienischen und einem japanischen Expat abseits von dem Café. Ein Artikel im Online-Magazin Dabiq vom November 2015 warnte bereits, dass der IS „den Kampf bis tief nach Bangladesch" bringen würde. Die Sicherheitskräfte in Bangladesch zählen, seitdem im November ein italienischer Jogger in Dhaka ermordet wurde, mindestens 15 Angriffe, zu denen sich der IS bekannt hat.

Viele Beobachter glauben daher, dass der IS seine Angriffe auf sein Publikum ausrichtet. Wie die New York Times-Korrespondentin Rukmini Callimachi berichtet, haben die Angreifer in dem Café Muslime laufen gelassen, dafür aber Gäste gequält und getötet, die keine Koranverse rezitieren konnten: Es ging explizit um Ausländer. So berichten auch Augenzeugen, dass die Geiselnehmer die Menschen in der Holey Artisan Bakery sortierten: „Bengalen, rauskommen!", soll laut dem Koch des Cafés einer der Bewaffneten gerufen haben. Später soll der IS eine Gruppe Frauen gehen gelassen haben, die den Hijab trugen.

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Die Direktorin des Terrorimus-Forschungsinstituts SITE Intelligence Agency, Rita Katz, schreibt: „Der IS begrüßt die Tötung wahlloser Zivilisten in Frankreich, Belgien oder Amerika oder anderen westlichen Ländern, aber in einem Land wie der Türkei muss der IS darauf achten, keine Muslime zu töten—oder es zumindest so aussehen lassen". Ansonsten würde der IS riskieren, seine Zielgruppe aus potentiellen Sympathisanten zu entfremden. Bei den 15 mit dem IS assoziierten Anschlägen und Morden in den vergangenen acht Monaten in Bangladesch wurde laut Rukmini Callimachi kein einziger Muslim getötet. Das ist eine Taktik, die bislang eher mit Al-Qaida assoziiert wurde.

Und es erklärt auch die seltsame Stille des IS nach dem Anschlag auf den Istanbuler Flughafen. Gewalt in muslimischen Ländern ist ein Balanceakt, der besondere Rechtfertigungsstrategien nach sich zieht—und in manchen Fällen „vergleichweise diskretes Verhalten", wie Rita Katz analysiert.

Daher ergibt es in der kruden Logik des IS Sinn, dass es auch der deutsche Telegram-Propagandachannel war, in dem sich der IS zunächst zu den Morden in der Holey Artisan Bakery bekannt hat. Diverse „Eilmeldungen" wurden noch während der Belagerung sofort von islamistischen Blogs weiterverbreitet.

Doch die verheerendste islamistisch motivierte Attacke—sowohl in der Geschichte des IS als auch im Irak—ereignete sich über das Wochenende in Baghdad. Im belebten Geschäftsviertel Karrada töteten die Islamisten zumeist einkaufende Familien und viele Kinder; die aktuelle Opferzahl liegt bei 165. Im Irak übernahm der IS online die Verantwortung für den Anschlag in Karrada, einem vornehmlich schiitischen Viertel. Man habe Schiiten treffen wollen, teilte der IS dann auch rund 30 Stunden später mit.

Die Behandlung von Schiiten ist auch Gegenstand einer ständigen Auseinandersetzung mit Al-Qaida im Irak. Als der irakische Arm Al-Qaidas unter ihrem Anführer Zarqawi nach wie vor Schiiten angriff, gliederten sich einige Kämpfer daraufhin in den IS ein; Al-Qaida verschont Schiiten zumeist. „Für mich ist [die Behandlung der Menschen im Restaurant in Dhaka] ein Wink in Richtung Al-Qaida", twitterte Rukmini Callimachi.

Die Social Media-Strategie des IS in Dhaka spiegelt somit auch die lokale Konkurrenz zu al-Qaida wieder. Bangladesch ist ein vornehmlich sunnitisches Land. Hier wollte man—und das möglichst schnell—die Nachricht aussenden: Ihr habt nichts zu befürchten, wir töten heute nur Ausländer.