Illustration mit Händchen haltenden Menschen, es kann sehr schwer sein, mit einer suizidalen Person zusammen zu sein
Illustration: Djanlissa Pringels
Menschen

Was du tun kannst, wenn dein Partner suizidal ist

Manchmal kann es auch helfen, die vermeintlich falschen Fragen zu stellen, sagt Psychologin Lidewy Hendriks.

Sophie* hatte ein ungutes Gefühl. Ihr Freund Maarten* war allein zu Hause. Die beiden hatten gerade erst eine Beziehungspause vereinbart und waren auseinandergezogen. Der 38-Jährige kämpft seit Jahren mit Depressionen. Er hatte seiner Freundin schon mehrmals gesagt, dass er keinen Sinn mehr im Leben sehe.

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Als Sophie bei ihm vorbeischaute, fand sie Maarten bewusstlos vor. Die 28-Jährige rief sofort den Notarzt. Zum Glück noch rechtzeitig. Ihr Freund überlebte. Maarten sagt, dass der Vorfall kein Suizidversuch gewesen sei. Nichtsdestotrotz war das Erlebnis für beide traumatisch.


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Das Paar hatte bis kurz vor dem Vorfall mehrere Jahre zusammengelebt, sich dann aber für eine Pause entschieden. "Maarten hat viele psychische Probleme", sagt Sophie. Diese äußern sich auf unterschiedliche Weise: Er finde sich nur schwer in neuen Jobs zurecht, sei generell unzufrieden und leide seit Jahren unter Depressionen. "Irgendwann schien es ihm egal zu sein, ob er lebt oder nicht."

Maarten habe schließlich die Beziehungspause vorgeschlagen, "weil er meinte, mir keine gesunde Beziehung mehr bieten zu können", sagt Sophie. Sie habe nur widerwillig zugestimmt. "Ich weiß, dass es ungesund ist. Aber es ist schwer loszulassen, wenn man jemanden liebt." Als es ihrem Freund dann in der Pause noch schlechter ging, sei sie von schweren Schuldgefühlen geplagt worden.

Die Psychologin Lidewy Hendriks arbeitet für die Stiftung MIND Korrelatie, die in den Niederlanden verschiedene Seelsorgedienste anbietet. Sie sagt, Sophies Schuldgefühle seien sehr üblich. "Wenn man jemanden sehr liebt, versteht man, dass die Person leidet und sich ein anderes Leben wünscht", sagt Hendriks. "Aber am Ende liegt es in der Verantwortung des betroffenen Partners, sich Hilfe zu suchen. Du bist allein für dein eigenes Glück und deine Gefühle verantwortlich."

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Das ist schwer zu akzeptieren, wenn man jemanden liebt, der oder die gerade eine schwere Zeit durchmacht. Aber auf Dauer, sagt Hendriks, "kann man jemanden nur so lange unterstützen, wie man es selbst aushält". Deswegen sei es umso wichtiger, Grenzen zu setzen. "Eine Beziehung ist nicht dazu da, jemanden vom Suizid abzuhalten. Eine Beziehung, die auf Abhängigkeit basiert, ist ungesund", sagt die Psychologin. "Es klingt vielleicht hart, aber ehe man sich's versieht, wird man emotional erpresst. Das geschieht häufig unbewusst und ungewollt."

Diese Erfahrung hat auch Sophie gemacht. Häufig habe sie Maarten dabei beobachtet, Entscheidungen zu treffen, die sein Leben verbessern würden, bevor er sich dann im letzten Moment selbst sabotierte. Sie versuchte, ihn zu unterstützen und Verständnis zu zeigen, aber seine Untätigkeit und die verschiedenen Ausreden dafür irritierten sie. "Wir hatten letztens eine Diskussion, weil er sich nach einem Klinikaufenthalt nicht um seine Nachsorge kümmert", sagt sie. "Eigentlich muss er nur seinen Arzt anrufen, aber er schiebt es ständig auf."

Für Sophie ist das einer der schwierigsten Aspekte einer Beziehung mit einem depressiven und suizidalen Partner. "Es ist schwer mitanzusehen, wie jemand sich selbst im Weg steht und in seiner eigenen Welt feststeckt", sagt sie. Gleichzeitig könne sie wenig tun, außer Ratschläge zu geben und Informationen zu sammeln: "Ich habe gemerkt, dass es den gegenteiligen Effekt hat, wenn ich Maarten zwinge, sich Hilfe zu suchen." Das ist für Sophie besonders frustrierend. "Es ist schwierig, Verantwortung an jemanden abzugeben, der sie anscheinend nicht wahrnehmen kann."

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Das heißt natürlich nicht, dass man gar nichts machen kann. Lidewy Hendriks empfiehlt zu versuchen, den Partner oder die Partnerin zu "aktivieren", wie sie es formuliert. So abgedroschen es klingt, ein bisschen frische Luft und etwas Sport können helfen. "Wenn man zum Beispiel einkaufen oder spazieren geht, kann man den anderen einladen, mitzukommen." 

Aber selbst mit den besten Intentionen ist es schwierig, jemanden mit psychischen Problemen zu motivieren. "Depressive Menschen verlieren häufig das Interesse an Dingen, die sie früher begeistert haben", sagt Hendriks. "Für manche ist es sehr schwer, dann mit diesen Dingen konfrontiert zu werden, die ihnen früher Spaß gemacht haben." Auf jeden Fall darf man in der unterstützenden Rolle nicht vergessen, auf sich selbst zu achten. Die Psychologin empfiehlt, immer wieder in sich hineinzuhorchen und sicherzustellen, dass die Beziehungsdynamik keine zu große Belastung wird. Sophie bestätigt das: "Man muss aufpassen, dass man nicht zur Betreuerin wird." 

Suizid ist ein Tabu und es ist nicht selbstverständlich darüber zu sprechen. Laut Hendriks ist aber genau das unglaublich wichtig. "Besprich mit deinem Partner, dass du auch mit anderen darüber reden musst, was gerade bei euch los ist. Das können Freunde oder Familie sein, aber auch eine Beratungsstelle", sagt die Psychologin. "Ich empfehle auf jeden Fall, sich auch als Partnerin eines suizidalen oder depressiven Menschen Unterstützung zu holen. Nur wenn man selbst Rückhalt hat und seine Grenzen kennt, kann man den anderen nachhaltig unterstützen."

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Für Hendriks spielt dabei auch eine offene Kommunikation eine wichtige Rolle. Zwar befürchtet man immer, einer suizidgefährdeten Person mit allzu direkten Fragen den letzten Stoß zu geben. In der Erfahrung der Psychologin ist das allerdings nicht der Fall.

"Während meines Studiums haben wir einen Trainingsworkshop gemacht, bei dem wir einer Lehrerin, die die Rolle einer suizidgefährdeten Person spielte, alle vermeintlich falschen Fragen gestellt haben", sagt Hendriks. "Es zeigte sich bald, dass sie die Fragen mehr wertschätze, je falscher sie schienen. Denn diese falschen Fragen waren ehrlich und offen."

Sie klingen erstmal brutal: "Was war der schlimmste Gedanke, den du jemals hattest?" oder "Warum glaubst du, dass es den Menschen hier ohne dich besser gehen würde?" Aber laut Hendriks sind es genau solche Fragen, die ein gutes Fundament für ein offenes Gespräch bilden. "Sie zeigen dem anderen auch, dass du offen dafür bist, dir seine dunkelsten Gedanken anzuhören", sagt sie. "Es ist dabei wichtig, die Gefühle der anderen Person anzuerkennen, anstatt direkt wieder in die eigene Perspektive zu verfallen und so etwas zu sagen wie: 'Du würdest mir unglaublich fehlen!'"

Maarten ist seit Jahren immer mal wieder in Therapie und hat viel an sich gearbeitet. Trotzdem fällt er in den Therapiepausen häufig wieder in alte Muster zurück. "Ich finde es manchmal egoistisch von ihm, wenn er es aufschiebt, sich Hilfe zu suchen", sagt Sophie. "Ich glaube nicht, dass ihm bewusst ist, dass er die Menschen um sich herum mit sich runterzieht. Aber ich weiß auch, dass es ihm manchmal Angst macht, sich Hilfe zu suchen."

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Auch wenn es frustrierend ist: Therapiefortschritte sind selten linear. Manche Menschen brauchen ein paar Monate, bis es ihnen besser geht, andere Jahre. Wieder andere werden vielleicht nie ganz ohne professionelle Unterstützung auskommen können. Hendriks betont, dass man als Partnerin oder Partner nicht selbst die Therapeutenrolle annehmen darf. Das ist bis heute ein großes Problem für Sophie.

"Maarten war mein Fels, als ich mit einer alten posttraumatischen Belastungsstörung zu kämpfen hatte", sagt Sophie. "Das war auch für ihn nicht leicht. Er hat versucht, mir zu helfen, aber war bald selbst überfordert." Häufig dachte sie daran, die Beziehung zu beenden. Das rät Hendriks auch Menschen, wenn sie das Gefühl haben, nicht gut auf sich selbst achtgeben zu können. 

Das steht für Sophie aktuell aber nicht zur Debatte. "Maarten hat gelernt, unsere Beziehung mehr wertzuschätzen", sagt sie. "Wir haben angefangen, sie vorsichtig wieder aufzubauen – unter der Bedingung, dass er sich Hilfe sucht." Sophie ist auch selbst zur Therapie gegangen, um ihr eigenes Trauma aufzuarbeiten. Damit habe sie ihrem Freund ein positives Vorbild gegeben: "Er sah, wie schlecht es mir ging, aber auch, wie viel besser es mir ging, als ich mir Hilfe gesucht habe. Das motiviert ihn tatsächlich am meisten."

Für sie gibt es noch viele Gründe, trotz allem an der Beziehung festzuhalten. "Unsere Liebe ist etwas Besonderes. Wir verstehen den anderen. Wir wissen, wie es ist, sich komplett verloren zu fühlen", sagt Sophie. "Was wir zusammen durchgemacht haben, hat uns auch stärker gemacht." 

*Namen von der Redaktion geändert, um ihre Privatsphäre zu schützen.

Hast du schon einmal an Suizid gedacht oder sorgst dich um einen nahestehenden Menschen? In Deutschland erhältst du Hilfe unter der Nummer 0800 111 0 111 oder im Chat. Trauernde Angehörige finden bei Organisationen wie Agus Hilfe. Menschen aus der Schweiz erhalten Hilfe unter der Nummer 143 oder im Seelsorgechat. Die Nummer der Telefonseelsorge in Österreich ist 142. Auch hier gibt es einen Seelsorgechat. Trauernde Angehörige finden in Österreich bei Organisationen wie SUPRA Hilfe. 

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