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Musik

Das Red Bull Music Academy Bass Camp oder die beste Schullandwochen-Disco der Welt

Vergangenes Wochenende durfte ich einer journalistischen Konvention ins Gesicht treten, recht lange aufbleiben, meine Jacke im Burgtheater abgeben und ganz nebenbei Zeuge der musikalischen Gegenwart Österreichs werden. Das Red Bull Music Academy Bass...

„I’ve got hoes on my dick, ‘cause I smell like Bill Cosby.“ Also jetzt nicht ich direkt. Zwar wurde mir einmal von einem Mädchen zugesichert, dass ich quasi Theo Huxtable sei (und ich habe das schon als Kompliment aufgefasst) und natürlich war auch ich einmal unsterblich in Lisa Bonet verliebt. Die Line aber sollte den krönenden Abschluss von vier Tagen ausmachen, die ziemlich gut waren. Das Red Bull Bass Camp schlug seine Zelte im Wiener Brilliantengrund Hotel auf und war gespickt mit Aha-Erlebnissen, neuen Facebook-Freundschaften, ein paar durchzechten Nächten und der Erkenntnis, dass die österreichische Musik Gegenwart und vor allem Zukunft hat.

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Tag I - Einmal ich sein

„Schreib einen Ankünder und danach eine Recap zu den vier Tagen,“ ließen mich die vom VICE vor dem ersten, noch inoffiziellen Donnerstag wissen: „Halt nicht fad und vergiss nicht auf das VICE-Subjektiv.“ Aja genau. Ich beschließe letztlich der journalistischen Persona-Non-Grata ins Gesicht zu treten und mich auf ihren Rücken zu setzen: Ich darf endlich „ich“ schreiben. Hallo, du schöne 1. Person Singular! Hallo ihr Erinnerungen an spätpubertäre, missglückte Tagebuchversuche! Hallo Reizwortgeschichte! Nicht nur für mich (mich, MICH!) stellt der erste Tag im Hotel Brilliantengrund eine Premiere dar: Zwar kannten sich einige der 21 Teilnehmer schon, die Vorstellungsrunde in der Garage des Hotels entpuppt sich aber spannender und charmanter als damals auf der Jungscharlagerwoche. Dorian Concept, neben Patrick Pulsinger musikalischer Patron des Gettogethers, holt sich die Teilnehmer einzeln auf die Couch, um mit Smalltalk und einem jeweiligen Schaffensausschnitt das Eis der Anonymität zu brechen. Köpfe nicken, Fußspitzen tapsen, Augenbrauen heben sich und ich denke mir, dass das wohl die beste Schullandwochen-Disco der Welt ergeben würde. Der Querschnitt ist dem Auswahlkomitee jedenfalls gelungen. Viele kommen aus der elektronischen oder der Hip-Hop-Ecke. Kleinere Ausreißer wie Mimu oder Soia lassen die Grenzen verschwimmen, ohne dabei den Stempel aufs Hirn zu bekommen. Die Farbe des Adabei-Stempels auf meinem Hirn ist hingegen schon längst trocken. Aber das passt schon so.

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Während Pulsinger und Dorian Concept die Teilnehmer durch die schicken Studios führen und zum Abendessen bitten, gehe ich ein Gansl essen. Das mit der Viennale habe ich nämlich ziemlich verkackt, also soll wenigstens die Ganslzeit kein Schandfleck des Jahres bleiben. Pulsingers Lecture über sein Baby, den analogen Synth kommt aufschluss- und erkenntnisreich, der Typ neben seinen Fachkenntnissen eben auch ein didaktisches Viech. Ich kauere in meiner Adabei-Ecke, die sich gegen Ende des Vortrages zur Afterparty immer weiter füllt. Einige Teilnehmer zieht es schon in die Studios, wir trinken. Schuster und Leisten und so.

Tag II - Einmal Papa sein

Am nächsten Tag habe ich einen Kater -alles für’s VICE-Subjektiv also. Aber ich bin noch immer ein bisschen stolz auf die Gans. Dass mir im Hotel unverhältnismäßig mehr Menschen auf die Schulter klopfen, lässt mich vermuten, in der Schullandwochen-Disco am Vorabend einiges richtig gemacht zu haben. Aus den Studios schallen die Sounds noch nach, als auf der Couch Danny WolfersPlatz nimmt und Einblick in seine Legoweltgewährt. Wolfers wirkt schrullig, aber lieb, hat ein lustiges Hemd an und hält die Teilnehmer mit einem informativen, wenn auch teils einsilbigen Vortrag bei Laune. Einmal lache ich zu laut und habe Angst meinen Disco-Bonus vom Vorabend verspielt zu haben. Die Lecture löst sich auf und ich finde mich ein wenig später mit ein paar Teilnehmern im Studio 4 wieder. In your face Adabei-Ecke. Was der Cid Rim, der Wandl,die Soiaund der Abby Lee Teedann dort aus dem Stehgreif zaubern, ist beeindruckend. Immer wieder öffnet sich die Zimmertür und andere Teilnehmer schneien herein, geben Input, hören zu und ziehen weiter. Ich beginne das Flaschendreh-Prinzip des Bass Camps zu verstehen und zu schätzen. Gleichzeitig ärgere ich mich aber über die geringe Speicherkapazität meines behinderten Handys und opfere ein Sommer-Urlaubsvideo. Exclusives statt einer elendslangen Fährenfahrt in Kroatien, keine schwere Entscheidung.

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Später steht der erste Klassenausflug auf dem Plan: Das gesamte Camp wird per Shuttle in die Pratersauna gekarrt, wo Lecturer Legowelt und der Kanadier Jaques Greene als Headliner spielen. Während Wolfers anspruchsvoll in seinem Mixer versinkt und Jaques Greene nachlegt, passiert auf dem Floor vor dem Häusl die Magie. Wo auch sonst? Teilnehmer NVIE Mothound der 17-jährige Salute,der seit einiger Zeit durch die Wiener Clubs geistert und sie einem nach dem anderen niederbrennt, zerlegen die Hütte dermaßen, dass sie sich am nächsten Tag eine Freistunde verdient hätten. Dabei hat Salute bis vor eineinhalb Jahren noch Drum ‘n Bass produziert, um nach einer musikalischen Renaissance zu seinem jetzigen Sound zu finden, der gleichermaßen zeitgenössisch, futuristisch und einfach unfassbar clubtauglich daherkommt. Mit 15 beschlichen mich damals übrigens erstmals Zweifel, dass die Querflöte vielleicht doch kein so leiwandes Instrument ist. Mir gefällt es jedenfalls so gut, dass ich ziemlich lange bleibe. Ein Teilnehmer verzeiht mir sogar, dass ich ihn abschließend lange nerve: „Heast geh jetzt heim, du musst morgen Hits machen.“

Tag III Einmal glücklich sein

Ja, ich, kämpfe am nächsten Tag wieder ein bisschen mehr mit meinem Leben. Auch im Camp sind manche Augen am Nachmittag noch müde, in den Studios rumpelt es dennoch ununterbrochen. Mir ist relativ schlecht, ich kauere mich in meine Ecke. Der Ausblick auf die folgende Lecture aber lässt mich den Vorabend vergessen. Der Andrang zum Vortrag von Kieran Hebden ist größer als an den Vortagen, ich muss mich unterhalten, verschweige aber, dass mir noch immer ziemlich schlecht ist. Hebden, also Four Tetist so ein bisschen das Zugpferd des Bass Camps in Wien, der personifizierte #rbma-Hashtag. Der macht sich sonst ein wenig rar, gibt selten Interviews und entgegnet dem Hype um seine Person und seine Musik mit einer gesunden Portion Mystifizierung. Auf der Couch ist von der Mystik wenig zu spüren, Hebden wirkt sympathisch und erfrischend nüchtern. Gibt es so etwas wie Sober-Neid? Egal, Four Tet verdeutlicht den Horizont seiner Karriere und seiner Art zu Produzieren indem er ihn einengt, ihn aus dem Schwadronieren des krampfhaft Künstlerischen reißt und auf das reduziert, was für ihn und wohl auch für die meisten in der Garage der Kern ist: Musik zu machen.

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Dass er das kann, beweisen schon die Vorschusslorbeeren aus dem Ticketverkauf für die Show am Abend im WUK. Es wird gedrängt. Vor dem Live-Set von Four Tet holt Patrick Pulsinger mit Erdem Tunakan ihr legendäres Projekt Sluts’n Strings & 909’s für ein paar Momente zurück in die Gegenwart und dass der junge Niederösterreicher Wandl super ist, darf er ganz am Anfang des Abends unter Beweis stellen. Mein Körper ruft mir schon ziemlich früh: „Stopp“, ich entgegne ihm: „Gusch!“ Da ich aber nicht mehr 15, und mir ziemlich sicher bin, dass die Querflöte kein so leiwandes Instrument ist, erinnere ich mich an die letzten Tage und bleibe vorerst im hintersten Eck des prall gefüllten WUK. Four Tets Set ist stimmig und stark, Überhits muss er nicht zwanghaft spielen, genau das Richtige für mich: Ich könnte, wenn ich wollte, kann aber gerade nicht wollen. Und gerade als ich mir sicher bin, dass ich gerne der Typ wäre, der während dem Bühnenumbau auflegt, ist dieser abgeschlossen und der Concept Dorian steht jetzt da oben. Ich erinnere mich an die Bombe von einem Auftritt beim Elevate-Festival in Graz, kneble die Stimme meines halbtoten Körpers endgültig und gebe mir einen Ruck, den ich nicht bereuen sollte. Kurze Zeit später lache ich. Es mag romantisiert, übertrieben oder subjektiv (habe ich schon erwähnt, dass ich das VICE-Subjektiv liebe?) klingen, aber es gibt wohl seit Natasha Bedingfield keinen Live-Act, der mich so glücklich macht wie Dorian Concept. Die Dramaturgie des Sets ist perfekt, ohne durchgeplant zu wirken, Concept überrascht und bedient zugleich Erwartungen, er fordert, ohne über das Ziel hinauszuschießen oder irgendwann fad zu werden. Ich blicke um mich und erkenne auch in vielen anderen Gesichtern das Glück. Die Sorgen sind in der Ecke. Ich glaube, ich bleibe heute auch ein bisschen länger.

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Tag IV Einmal Hochkultur oder Bill Cosby sein

Ich weiß, dass man im Burgtheater seine Jacke abgeben sollte. Am Eingang zur Wiener Hochkultur werde ich begrüßt: „Wow, du schaust aber ziemlich hin aus.“ Joeh! Red Bull lässt das Bass Camp beschaulich ausklingen und hat dazu das Cinematic Orchestrain die Burg geladen. Mastermind und Gründer Jason Swinscoe war zuvor bei der Lecture im Hotel. Ich auch, so glaube ich. Swinscoe wandert mit seiner Truppe auf dem Grat zwischen Jazz und elektronischen Elementen, der in seiner Innovation manchmal ebenso schmal ist, wie der zwischen Erfolg und Anspruch.

Ich gebe meine Jacke ab, schäme mich vor dem Einweiser kurz für meine abgewetzten Sneaker, aber finde zu meinem Platz. Ich will es ruhig, wenig reden, vielleicht ein bisschen dösen, wenn es besonders schön ist. Ausklingen, genug Bass für die letzten Tage. Mimu Merz, selbst Teilnehmerin am Bass Camp und mit Ritornell Vorband, gönnt mir das mit ihrem überraschend tollen Auftritt nicht. Smart, abwechslungsreich, und doch ziemlich schön. Ich bin also wach und denke kurz an die Gans von Donnerstag. Das Cinematic Orchestra liefert dazu den glatt-runden Soundtrack. Soll mir recht sein. Eh schön.Soll mir recht sein. Eh schön.

Anschließend hole ich erst einmal meine Jacke von der Garderobe. Ich bin müde und mir ist wieder schlecht. Ein letzter Abstecher zum Brilliantengrund soll es noch werden, ein gebührender Abschied aus der Ecke, vielleicht kotze ich auf den Sessel. Der letzte Weg im Red Bull Bass Camp führt mich aber ins Studio 5, indem untertags das Unerwartetste aber Richtigste, was auf einer Schullandwoche passieren kann, passiert ist: Ein Haufen der Campteilnehmer rappt gemeinsam über Pimmel. Ich wünsche mir, nicht nach Gans sondern nach Bill Cosby zu riechen.

Bild 1,2,3,4 und 6 sind von Vici Kager / LUPI SPUMA
Bild 5 ist von Simon Brugner / They Shoot Music