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Lebewohl, großer Goldbär: Haribos Hans Riegel ist tot

Zum Tod von Hans Riegel werfen wir einen erheiternden Blick auf die Geschichte der Haribo-Werbespots. Ja, auch vor Thomas Gottschalk.

Foto: Modeschule Graz

Die deutsche Stadt Bonn und die oberösterreichische Stadt Linz verbindet abgesehen von ihrem leicht verhunzten Anspruch auf den Titel der Hauptstadt eigentlich nur eins: Das jeweilige Haribo-Werk, das wie eine Reallife-Version von Charlies Schokoladenfabrik (nur mit Goldbären statt Umpa-Lumpas) die gesamte Gegend mit bunten Figuren, kleinen Shops und köstlichen Naschereien aus tierischem Bindegwebe und Zucker erfreut.

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Heute geht ein Raunen durch beide Städte—und vermutlich auch durch die Münder von Millionen kleiner Naschkatzen. Der Mann, der das 20. Jahrhundert zumindest in Mitteleuropa endlich auch abseits der Politik mit Diskussionen darüber, welche Farben man am liebsten mag und welche man unbedingt sofort ausspucken sollte, bereichert hat, ist heute im Alter von 90 Jahren an den Spätfolgen eines Gehirntumors verstorben. Hans Riegel aus Bonn (Ha, Ri, Bo) ist tot. Zum Andenken drehen wir eine Runde auf der Erinnerungsautobahn und schauen uns noch mal an, wie sich seine Marke, die Kinder froh macht (und Erwachsene ebenso) über die Zeit in der Werbung entwickelt hat.

In dem, was man heute Mittelalter nennt und wozu die Menschen früher "die goldenen Fünfziger" sagten (zumindest, wenn sie weiß, männlich und Fans von fünf Portionen Speck mit Palatschinken zum Frühstück waren), stand Haribo scheinbar noch nicht für Gummibären, sondern noch für unförmige schwarze Lakritzstangen. Entsprechend unsexy (wenn auch sexuell) war auch ihr Werbe-Testimonial. Bei all den heilenden und ätherischen Wirkungen, die man Lakritze hier noch zuschreibt, fühlt man sich außerdem fast ein bisschen an gute alte Plakate für Heroin-Pastillen gegen Husten erinnert.

Als nächstes kam dann "Harbio Konfekt"—was schon ein bisschen mehr nach etwas, das mit kleinen Schleifen verziert ist, klingt—und mit ihm die unglaubliche, neuartige Kraft, Erinnerungen zu wecken. Weil Haribo dich beim Verzehr an die Kindheit denken lässt. Versteht ihr? Wahrscheinlich ganz kreativ für eine Zeit, wo man den Off-Erzähler noch die Handlung aufsagen lassen musste. Jedenfalls sieht dieses Konfektzeug aus wie etwas, das Menschen im Weltraum essen würden, wenn sie mit möglichst wenig Aufwand und Spaß 3000 Kalorien zu sich nehmen wollten.

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1985 ist Haribo dann endlich im heutigen Marken-Gewand angekommen und es fühlt sich irgendwie richtig an—so als hätte der kleine, picklige Haribo zum ersten Mal einen Anzug gefunden, bei dem nicht die Socken bis zum Bund unter der Hose hervorblitzen. Vielleicht kommt die infantile Melodie daher, dass man im Jahr 1985 endlich mit Sicherheit sagen konnte, dass George Orwells düstere Vision von 1984 nicht mehr in Erfüllung gehen würde. Entweder das oder die gute Stimmung kommt von den vielen Steroiden, die zur Mitte des "Body-Nazi-Jahrzehnts" scheinbar selbst der Goldbär genascht hat. Was es auch war, die Leute waren offensichtlich glücklich und wollten naschen.

Kurz danach kippte die Stimmung wieder und wie so oft, wenn es gerade lustig war, mischte sich die spaßfreie Kunstgemeinde ein, um uns alle auf den Boden zurückzuholen und sowas wie das Neo-Dada des Werbezeitalters einzuläuten. Jeder, der H. C. Artmanns Konzept-Texte für Humanic kennt (oder die von ihm inspirierten KATZE-Spots), weiß, wovon ich rede. "Goldbären—bärig gut—Haribo" schlägt da ziemlich in dieselbe Kerbe. Keine Ahnung, es ist Kunst. Zumindest die Belohung ist besser als bei anderen.

Manche erinnern sich vielleicht noch an die Zeit, als man sich über die 80er-Jahre lustig gemacht hat, weil sie angeblich übertrieben und stillos waren. Heute gehen die Zeitgeschichte-Bullys mit Vorliebe auf die 90er los, die inzwischen als die wahren 80er gelten. Ein Thomas Gottschalk, der sich im Stil von Zwei Supernasen als 40-jähriger Schulbub ausgibt, stützt diese These.

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Vergesst, was ich über die 90er gesagt habe. Dieses feine Fan-Art-Juwel aus dem Jahr 2007 beweist, dass die Nuller-Jahre außerhalb eurer Erinnerung genau das waren, was ihr Name nahelegt. Vor allem, weil hier wirklich jeder mit Zugang zu einer Kamera und einem Soundarchiv fest daran geglaubt hat, das nächste New Hollywood (oder, wie in diesem Fall, New Hariboland) zu begründen. Sogar das Schreiben über diese Zeit zieht mich und mein Witzniveau auf Mariannengraben-Ebene, also bewegen wir uns bitte schnell weiter Richtung Gegenwart.

Ah, das gute Jahr 2013. Tretet ein, nehmt euch ein Bier, fühlt euch wie Zuhause! Hier gibt es 4G-Internet (das Passwort lautet YOLO, weil das schon wieder geht), schnelle Schnitte und zu jedem noch so banalen Kinderprodukt eine interpassive Portion unnützes Wissen, das eigentlich nur Werber-Gewäsch ist, aber zum Glück ist das genauso schnell wieder egal wie

Warum Hans Rieger bei seinem Namen eigentlich nie Schokolade machen wollte, bleibt für immer ein Geheimnis. Ruhe in Frieden, großer Gummibär! Und: Meine Lieblingsfarbe ist orange.

Markus auf Twitter: @wurstzombie

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