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Im „Flüchtlings-Look“ am Life Ball

Ist der Aktionismus von Caritas-Geschäftsführer Klaus Schwertner OK, weil er sein Ziel damit erreicht hat?

Der gestrige Life Ball war einmal mehr ein Ort der Selbstinzenierung und die Gefahr, dass dabei Inhalte auf der Strecke bleiben, ist riesig. Das gilt sowohl für das Grundanliegen des Balls, ein Bewusstsein für AIDS in die Köpfe der Menschen zu bringen, als auch für die Aktion des Caritas-Geschäftsführers Klaus Schwertner. Mit schwarz angemaltem Körper, viel zu kleiner Schwimmweste und Rettungsring posierte er auf dem roten Teppich, um auf die Notsituation der an den Grenzen Europas ertrinkenden Flüchtlinge aufmerksam zu machen.

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Die Life Ball-Selfies von Klaus Schwertner im „Flüchtlings-Look" sind vieles, aber mit Sicherheit kein Erfolg für die Sache der Refugees. Darüber sind sich selbst beim aktuellen Meinungskampf in den Sozialen Medien die meisten einig—egal, welche Absicht man dem Geschäftsführer der Caritas auch unterstellen mag. Schwertners Auftritt war am roten Teppich nur einer von vielen und seine „Interpretation" eines Mittelmeer-Flüchtlings war gleichzeitig bevormundend, entmündigend und plump. Wer Flüchtlinge als arm vor sich hin starrende und um Hilfe bettelnde Stereotypien inszeniert, trägt definitiv nicht zu einem differenzierten Bild der aktuellen Flüchtlingskatastrophe bei.

Kritik an der Aktion auf der Facebook Page von Fluchthilfe & Du?

Wer sich so verkleidet, befeuert das bestehende Rollenbild. Schwertner erhält so die altbekannte Deutung der humanitären Katastrophe an den EU-Außengrenzen: Nämlich die vom europäischen Subjekt, um dessen Meinung und Gunst die Menschen, die zu „uns" wollen, gefälligst zu kämpfen haben, und vom afrikanischen Objekt, dessen Überleben vor allem eine politische Frage ist (womit man den menschlichen Aspekt schön in den bequemeren, unschärferen Hintergrund drängt). Viel schwieriger als die Frage, ob Klaus Schwertner mit seinem Auftritt wirklich alles richtig gemacht hat (Spoiler: nein), ist aber die, wie weit eine Kampagne gehen darf, die schockieren und aufwecken und unbequem sein soll. Denn was man bei aller Kritik nicht vergessen sollte: Die Absicht hinter der Aktion hat Schwertner selbst ja bereits kurz nach den Selfies auf Facebook und seither auch auf Twitter sehr deutlich gemacht. Der Text zum mobilen Upload dieses Refugee-Bildes lautet „#gegenunrecht Stoppen wir das Massensterben im Mittelmeer! Lifeball 2015 — mit Neil Curtis". Der im Facebook-Posting verlinkte Neil Curtis ist Künstler und bemalt im Rahmen seiner fortlaufenden Kunst-Performance „Replace Clothes with Paint" immer wieder Menschen wie Wände und taucht nackte Männer komplett in schwarze Farbe. Der Vorwurf des Blackfacings geht also ins Leere und ist eher Ausdruck unserer Aufschreigesellschaft. Schwertner war, wie er auf Twitter noch mal betonte, „mit Dirty Body" unterwegs—„so wie ich es vor 2 Wochen in Cantania wahrgenommen habe".

Trotzdem bleibt die Frage nach den Grenzen von Aktionismus. Wenn Schwertner als Flüchtling arm in die Smartphone-Kamera schaut—verniedlicht und pauschalisiert er dann die Flüchtlinge? Oder weist er bei einem Hochglanz-Event auf ein Problem hin, das in der aktuellen Medienöffentlichkeit gleichzeitig omnipräsent und komplett tabuisiert ist? Wenn Schwertner als Flüchtling Selfies mit anderen am roten Teppich macht, holt er die Refugee-Problematik dann geschmackloserweise auf eine Hollywood-Ebene? Oder will er auf die Ironie einer Charity-Veranstaltung hinweisen, bei der die Gäste längst mehr posieren als politisieren? Ebenso schlimm wie ironisch ist, dass die Flüchtlings-Problematik anscheinend Refugee-Selfies braucht, um bei uns übersättigten Medienkonsumenten wieder Aufmerksamkeit zu bekommen. Und es ist fast noch ironischer, dass wir gerade eine Debatte darüber führen, ob diese Form von Aktionismus für die „Flüchtlings-Sache" (und damit meine ich: für mehr Menschlichkeit im Umgang mit Asylsuchenden) geschmacklich unseren Vorstellungen entspricht oder nicht. Der Aufschrei ist, genau wie die Aktion selbst, vor allem eins: gut gemeint. Die Aktion von Klaus Schwertner war mit Sicherheit nicht so problematisch, wie einige tun. Was sie aber schon war, ist ein Eck zu ironisch—und anscheinend funktioniert Ironie beim Life Ball (und generell bei ernsthaften politischen Botschaften) genauso wenig wie, sagen wir, auf Twitter.

Markus auf Twitter: @wurstzombie