Ü-BER-RAGEND: Warum ich nicht aufhören will, in Fußballphrasen zu sprechen
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Ü-BER-RAGEND: Warum ich nicht aufhören will, in Fußballphrasen zu sprechen

Unser Autor arbeitet in der Sportwelt. Er hat sich dabei erwischt, wie er in jeder Lebenssituation Fußball-Phrasen drischt. Muss man dem Zahnarzt aber sagen, dass er ruhig dahin gehen soll, wo es wehtut?

Als wir uns mit unserem Autor (nicht Frank Buschmann) neulich bei einem Alba-Berlin-Spiel trafen, waren wir recht beeindruckt von seinem Geschick, mit Worten umzugehen. Keine Spur vom vermeintlichen Sportler/Fan-Sprech. Irgendwann platzte es aber aus ihm heraus: „War überragend zu Ende gespielt." Wir unterhielten uns daraufhin über Fußballfloskeln und stellten uns die Frage, ob man die nicht mal runterfahren müsste. Besonders dann, wenn man sie in Lebenssituationen verwendet, die nichts mit Sport zu tun haben. Unser Autor hat da eine klare Meinung:

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Es ist ein typischer Freitagabend im Leben von zwei fußballbegeisterten Männern in ihren Zwanzigern. Da beide zur Zeit ohne Freundin sind, entgehen ihnen leider überaus spannende Pärchenabende, bei denen natürlich Tabu gespielt wird und man unter Zeitdruck versucht, seiner Partnerin das Wort „Spielerfrau" zu erklären, ohne dabei die Begriffe Fußball, Tribüne, geldgeil und Lothar Matthäus erwähnen zu dürfen. Dafür widmen sie sich einem Klassiker der männlichen Abendunterhaltung: FIFA zocken. Einer dieser Jungs bin übrigens ich.

Als ich die Wohnung meines Kumpels betrete, bietet sich mir ein wahrhaft maskuliner Anblick: Fernseher und Konsole laufen bereits, davor zwei Sessel, seitlich eine Kiste Bier. Ich möchte ein Tim-Taylor-mäßiges Grunzen von mir geben, erinnere mich aber im letzten Moment, dass die 90er-Jahre schon lange vorbei sind. Also sitzen wir beide in Jogginghose vor dem Fernseher und ordern per Telefon zwei große Pizzen.

Das erste Spiel beginnt und da mein Gegner zur „Ich spiele ausschließlich mit Bayern"-Fraktion gehört, zieht er mit Robben nach innen, drückt Schuss und ich liege 0:1 hinten. „Ü-BER-RAGEND!" schreit es mich von der Seite an. Überragend, was für ein inflationär benutztes Wort. Schaut man am Wochenende Bundesliga, so ist da für die deutsche Sportreporter-Gilde quasi alles überragend, was nicht bei drei im Kabinengang verschwunden ist. Von da aus zieht dieses Wort weiter seine Kreise. Das Essen beim Italiener neulich? Überragend! Das neue Kollegah-Album? Überragend! Dieses Wort verfolgt mich. An diesem Tor eben war allerdings nichts überragend. Wenn alles überragt, was bleibt denn dann noch, was man überragen kann?

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Doch ich bin selbst kein Stück besser, ich benutze jeden Tag Floskeln, ständig und in jeder Lebenssituation. Erst neulich, als ich mit vielen Kollegen in einen kleinen Aufzug drängte und anmahnte: „Wir müssen kompakt stehen!" Oder als mein Zahnarzt fragte, ob ich auch wirklich keine Betäubung möchte und ich selbstüberschätzend von „dahin gehen, wo es weh tut" faselte. Zu meiner Entschuldigung muss man aber erwähnen, dass einem diese Phrasen auch zufällig rausrutschen. So fragte mich mein Vater auf der Familienfeier letztens, ob ich noch ein paar kleine Bier holen könnte. Meine Antwort nach Blick in den Kühlschrank lautete natürlich „Es gibt keine Kleinen mehr!" und erntete nichts als Kopfschütteln. Dieses Tor eben war allerdings ein Bayern-Angriff nach Schema F, außerdem hatte ich noch kalte Hände und die Kameraeinstellung ist auch irgendwie anders als zu Hause.

In der Folge habe ich selbst zwar noch gute Chancen, verliere aber dennoch mit 0:2. Ich höre mich die Worte „nicht unverdient" sagen, um nicht die Folgerichtigkeit meiner Niederlage einzugestehen. „Nicht unverdient", wieder so eine Phrase, die sich aus dem Stadion direkt in die Gehirne der Fußballkonsumenten gefressen hat. Was heißt eigentlich „nicht unverdient"? Ein Ausdruck, um einen eigentlich klaren Sachverhalt durch doppelte Verneinung abgemildert auszudrücken. So machte ich mir auch in der Nachbetrachtung des letzten Wochenendes vor, beim Gespräch mit einer tatsächlich nicht unattraktiven Dame an der Bar nicht ungeschickt agiert zu haben. Ein Trugschluss, denn sechs Bier brachten aus meinem Mund nachweislich ungefiltert ungeschickte Sätze heraus.

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Das Klingeln der Haustür unterbricht meinen Tagtraum. Ein warnblinkender Kleinwagen steht in zweiter Reihe auf der Straße, andere Autos umfahren das leuchtende Fahrzeug halsbrecherisch.

Der Blick auf die Uhr bestätigt: Nur 25 Minuten nach der Bestellung ist das Essen da, dazu auch noch Pizzabrötchen aufs Haus. „Sensationell", entfährt es meinem Kumpel. Das halte ich dann doch für übertrieben. Kundenfreundlich ist es, aber eine Sensation? Sensationell, das war das Volley-Tor von Zinedine Zidane im Champions-League-Finale 2002 oder der Meistertitel von Leicester 2016, aber das zügige Bringen von Essen? Gut, wenn der Lieferbote im Handstand beide Pizzen und die zusätzlichen Brötchen mit den Füßen jonglierend zur Haustür gebracht hätte… So langsam wird es selbst mir zu viel mit diesen überschwänglichen Ausdrücken.

Weitere Beispiele? Neulich konnte auch ich mir ein „Ratatatata!" nicht verkneifen, als ich im Büro mit der leeren Wasserflasche im Sitzen aus gefühlten acht Metern in den Mülleimer getroffen habe. Diese Reminiszenz an die Kommentatoren Frank Buschmann bzw. Andrés Montes kommt allerdings auch cooler, wenn man die Plastikflasche nicht nachher wieder reumütig aus dem Papierkorb holen muss, denn da war ja noch Pfand drauf. Auch immer wieder gern gehört und nachgeplappert: „ganz, ganz wichtige Siege", „die Tagesform entscheidet" oder der nie aussterbende „Auftakt nach Maß." Auch uncool: Der besten Freundin, die vom Tinder-Date mit einem Engländer berichtet, etwas von „internationaler Härte" zu erklären. Aber sollte man deswegen gänzlich mit der Sportsprache aufhören? Letztendlich ist es schon ein wenig lächerlich, auf quasi jede Lebenssituation eine passende Phrase parat zu haben.

Auf der anderen Seite lässt sich damit auch gutes Geld verdienen, wie der Weißbierstammtisch am Münchner Flughafen jeden Sonntagmorgen beweist. Ich muss wohl endlich zugeben, dass der Fußball mich deutlich stärker geprägt hat, als ich es bisher wahrhaben wollte. Mein Mikrokosmos ist nunmal der Sport. Wäre ich irgendwo in meinem Leben falsch abgebogen und beispielsweise Weinkenner geworden, so wären Worte wie „vollmundig", „Südhang" und „gut im Abgang" wohl bedeutend stärker in meinem Wortschatz vertreten als jetzt. Das kann ja nun auch niemand wollen. Also liebe Phrasendrescher und Floskeljongleure, lasst euch bloß nichts einreden. Was bleibt uns denn noch als Fans dieser Kultur? Bleibt bei eurer Sprache, denn sie ist wichtig für die Identität der Sportwelt, um nicht zu sagen: ganz, ganz wichtig.