Ein junger Mann mit Brille, weißem T-Shirt, dunkler Hose und hellen Sneakern sitzt auf einer Wiese; es handelt sich um Tyler Huang, der nach dem Tod seiner Eltern jetzt mit Mitte 20 Milliardenerbe ist – für ihn ein Albtraum
Das ist Tyler Huang | Foto: Alexandria Neoh, Picspirations Photography
Menschen

Tyler erbte mit Mitte 20 mehrere Milliarden – für ihn ein Albtraum

Obwohl er sich nie wieder Geldsorgen machen muss, ist Tyler Huang alles andere als glücklich. Ein Porträt eines jungen Multimilliardärs, der hart vom Schicksal getroffen wurde.

In einem Alter, in dem die meisten Teenager noch mit Pokémon-Karten spielten, war Tyler Huang zusammen mit seinem Vater drauf und dran, einen britischen Fußballclub zu kaufen. Wenn Huangs Familie wollte, könnte sie jede Großstadt der Welt wie ein Monopoly-Spielbrett behandeln und sich nach Lust und Laune Grundstücke und Gebäude kaufen. In anderen Worten: Tyler Huang ist unfassbar reich.

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Was sich für viele Menschen wie ein Traum anhört, ist für Huang jedoch eher ein Albtraum: Er fühle sich so, als würde er nur durchs Leben schlafwandeln. "Es ist nicht so schön, wie es klingt", sagt er. "Geld löst vielleicht äußere Probleme, aber gegen die inneren kann es auch nichts tun. Die Leute sagen, dass ich mich glücklich schätzen kann. Irgendwie bin ich auch glücklich und weiß, dass ich ein Leben habe, von dem die meisten Leute träumen. Aber es ist falsch, einen Menschen nur danach zu bewerten, wie reich er ist."


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Huang ist 23 Jahre alt und hat Anfang des Jahres, als seine Eltern starben, mehrere Milliarden Euro geerbt. Wenn man ihm allerdings auf der Straße begegnet, würde man ihn in seinen Crocs und mit seinem Handy in der Hand kaum von anderen jungen Männern unterscheiden können.

Huang wuchs im Londoner Stadtteil Knightsbridge auf und wurde vor allem von Butlern und Nannys großgezogen. Den Großteil seiner Kindheit verbrachte er in einem isolierten Orbit – mit Privatjets, Luxusvillen und Angestellten. "Als Kind habe ich nie viel mit Spielzeug gespielt", sagt er. "Mein Vater sammelte teure Autos, deshalb fuhr ich in meiner Freizeit oft in Oldtimern durch die Gegend."

Huang wuchs nicht nur mit einer, sondern gleich mit zwei AMEX-Centurion-Kreditkarten auf, die zu den exklusivsten Zahlungsmitteln der Welt gehören: "Meine Mutter gab mir eine für Notfälle, mein Vater gab mir eine für alles andere", sagt er. Klingt erstmal nach einem unglaublichen Privileg. Laut Huang sei es aber nicht gerade die beste Idee gewesen, eine quasi unerschöpfliche Geldquelle in die Hände eines Teenagers zu geben.

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"Ich wünschte, ich wäre nicht mit den Kreditkarten aufgewachsen. Dann hätte ich gelernt, Geld und andere Menschen richtig wertzuschätzen", sagt Huang. Er erinnert sich an ein Telefongespräch mit seinem Vater, als er 16 war: "Er rief mich eines Morgens an, als ich total verkatert war. Wir lachten über das Geld, das ich das Wochenende zuvor ausgegeben hatte. Ich konnte mich nicht mehr an viel erinnern, aber wie sich herausstellte, hatte ich betrunken eine Jacht in Bangkok gemietet."

Huang erzählt diese Geschichte weder mit einem Grinsen im Gesicht noch in einem zufriedenen Ton. Er wirkt eher beschämt. "Man denkt immer, dass es richtig toll sein muss, nie auf den Preis achten zu müssen. Dabei ist das in Wahrheit ziemlich beängstigend", sagt er. Schon als Kind sei ihm aufgefallen, dass es bei ihm zu Hause überall Überwachungskameras und Security-Mitarbeiter gab. Er habe auch gewusst, welchen Zweck das alles hatte: "Meine Eltern wollten mich nie wirklich darauf aufmerksam machen, aber es lag immer eine Gefahr in der Luft." 

Ein kleiner Junge mit Baseballmütze, gelbem T-Shirt und kurzer Hose steht auf einem Stück Rasen, im Hintergrund sind eine Villa und Palmen zu sehen

Tyler als kleiner Junge | Foto: privat

Huang musste immer darauf vorbereitet sein, dass man ihn entführen oder ausrauben wollte. Seine Fahrer waren trainiert, um Kriminellen zu entkommen. Und wenn er gewollt hätte, wäre jederzeit eine Security-Entourage zusammengestellt worden, um ihn beim Eisessen zu begleiten. "Als Kind macht einem das richtig Angst", sagt Huang. "Wenn dein Vater die Familien deiner Freunde überprüfen lässt, weißt du wieder, dass du anders bist."

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Es ist etwas sehr Außergewöhnliches, Teil des sogenannten "Three Comma Clubs" zu werden. Stell dir vor, du verdienst 100.000 Euro im Jahr. Selbst dann dauert es 10.000 Jahre, bis du Milliardär bist. Im Gespräch mit Huang muss man deshalb schon fast fragen, ob es ethisch vertretbar ist, so viel Geld zu besitzen, während viele Menschen auf der ganzen Welt nicht genug haben, um überhaupt zu überleben.

"Nein, ist es nicht", antwortet Huang. "Einige meiner Verwandten würden da aber etwas Anderes sagen. Ich verspüre eine Art Pflicht, mehr zu helfen, aber gleichzeitig ist da ein lähmender Druck. Am Ende ist das ja auch nicht mein Geld, sondern das Geld meiner Eltern."

Stephen Goldbart, der Mitbegründer des Finanzinstituts Money, Meaning & Choices und Autor des Buchs Affluence Intelligence, sagt, dass es bei Menschen, die große Summen Geld erben, nicht ungewöhnlich sei, Schuldgefühle zu bekommen: "Wenn man einfach so etwas bekommt, das quasi jeder will, fühlt man sich schuldig. Man stellt sich die Frage: 'Warum ich?' Deswegen kann sich ein Haufen Geld schnell anfühlen wie eine Tonne Ziegelsteine."

"Ich will die akademische Laufbahn meines Kindes nicht mit Diagnosen versauen, die man nicht zwangsläufig angeben muss."

Huang sagt, er glaube, dass seine Mutter ihn vor allem nach seinen akademischen Leistungen bewertet habe: Sie machte sich Sorgen wegen seiner halbherzigen schulischen Bemühungen und schickte ihn deswegen zu einem Psychiater. Der diagnostizierte bei Huang klinische Depressionen, Autismus und Asperger-Syndrom. Huang sagt, dass sich seine Mutter die Diagnosen nach Belieben zurechtgelegt habe: Sein Autismus sei für sie ein Anzeichen dafür gewesen, dass er "begabt" ist, während sie die Depressionen als "Er ist halt faul und schwierig" abgetan habe.

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Nach den Diagnosen schickte Huangs Mutter den Teenager von London in die Schweiz, genauer gesagt auf das Institut Le Rosey – das teuerste Internat der Welt. Aber auch durch diesen Umzug schaffte es Huang nicht, den Erwartungen seiner Eltern gerecht zu werden. Also ging er kurz darauf auf die Anglo-Chinese School in Singapur. Wegen seiner Familienbeziehungen musste er dort keine Aufnahmeprüfung machen. Es überrascht kaum, dass sich sein Verhalten auch dort nicht besserte. Und jedes Mal, wenn Huang das Gefühl hatte, seine Eltern erneut enttäuscht zu haben, machten ihm seine Depressionen immer mehr zu schaffen.

Die Psychologin Suniya Luthar ist die Mitbegründerin und Forschungsleiterin der Organisation Authentic Connections und emeritierte Professorin am Teachers College der Columbia University. Sie sagt, dass viele Kinder aus reichen Familien glaubten, ihre Depressionen geheim halten zu müssen. Die Eltern dieser Kinder dächten aber oft genauso.  

"Dafür gibt es mehrere Gründe. Für Eltern ist es zum Beispiel unglaublich schlimm, daran zu denken, dass ihr Kind solche Schmerzen hat", sagt Luthar. "Das ist allerdings auch der positivste Grund. Es gibt da auch noch: 'Ich will die akademische Laufbahn meines Kindes nicht mit Diagnosen versauen, die man nicht zwangsläufig angeben muss.'" 

Anders gesagt: Eltern wollen oft nicht, dass in den akademischen Unterlagen ihrer Kinder etwas von antipsychotischen Medikamenten und psychischen Krankheiten auftaucht, damit ihren Sprösslingen weiterhin alle Karrierewege offenbleiben.

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Schulpsychologen, Beratungslehrerinnen und Sozialarbeitende berichten davon, dass reiche Eltern häufig in die Defensive gingen, wenn es darum geht, die "Schwächen" ihrer Kinder zu diagnostizieren. In Challenges in high achieving schools, einem Forschungsbericht aus dem Jahr 2020, steht, dass diese Eltern sogar mit einer Klage drohten, um bestimmte Diagnosen zur psychischen Gesundheit ihrer Kinder zu vermeiden.

"Scham spielt hier auch eine wichtige Rolle", sagt Luthar. Huang sagt, dass er es nicht besser hätte ausdrücken können. 

Ein junger Mann mit Brille, weißem T-Shirt, dunkler Hose und hellen Sneakern sitzt mit einem Laptop auf einer Bank im Grünen

Foto: Alexandria Neoh, Picspirations Photography

An der Anglo-Chinese School sei "We work hard, we play hard" schnell zum Motto geworden. In den Wohnheimen sei mit Dom Pérignon gefeiert worden, man ließ sich zu ausgiebigen Shopping-Touren chauffieren, und eine Party jagte die nächste. 

Viele seiner Mitschülerinnen und Mitschülern, erzählt Luang, liefen durch das Schulgebäude und konnten dabei durch die vielen Gedenktafeln und Auszeichnungen für ihre Väter, Großväter und Urgroßväter ihren Familienstammbaum zurückverfolgen. Den meisten jungen Menschen dort hafte aber schon seit Tag eins eine vorgeschriebene Identität an, an der sie für immer gemessen würden, sagt er. 

Als Huang seinen Schulabschluss in der Tasche hatte, begann er seinen Wehrdienst in der Armee von Singapur. Als er 19 war, entdeckten Ärzte bei ihm allerdings ein Glioblastom, also einen schwerwiegenden Tumor im Gehirn, und er wurde aus dem Wehrdienst entlassen. Huang sagt, er sei sich zuerst nicht sicher gewesen, ob er seinen Freunden von der Krebsdiagnose erzählen sollte. Sein Schweigen habe aber nur die Gerüchteküche angeheizt, und viele seien davon ausgegangen, dass er wegen der Beziehungen seiner Familie der Wehrpflicht entkommen war. 

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Schließlich zeigte Huang ein echtes Talent im Bereich der Architektur. Eine Zeit lang konnte er seine psychischen und körperlichen Gesundheitsprobleme fast vergessen. Dann schlugen seine Depressionen aber wieder voll zu.

2017 wurde Huangs Bruder bei einem Autounfall getötet, 2020 starb seine Mutter an Krebs, und im Februar 2021 kam sein Vater bei einem weiteren Autounfall ums Leben. Huangs Depressionen sind heute schlimmer denn je. Seine Karriere als Architekt hat er auf Eis gelegt, weil er durch seine gesundheitlichen Probleme nicht arbeiten kann. Irgendwann wird er an seiner Krebserkrankung sterben, aber er lässt sich weiterhin ärztlich behandeln und hat die eigentliche Fünf-Jahres-Prognose seiner Doktoren schon überschritten.

Huang schluckt beim Frühstück drei Pillen, beim Mittagessen zwölf und beim Abendessen acht. Er verbringt nur so wenig Zeit wie möglich in seiner Singapurer Wohnung. Das geschäftige Treiben auf den Straßen der südostasiatischen Metropole lasse ihm gar keine Zeit, negative Gedanken zu haben, sagt er. Deswegen halte er sich gerne an öffentlichen Orten auf. Eine Rooftop-Bar sei fester Bestandteil seiner täglichen Spaziergänge, dort setze er sich dann mit seinem Laptop hin und genieße das Leben und die ausgelassene Stimmung um ihn herum.

Eines Abends sitzt Huang wieder in seiner Rooftop-Bar, vor ihm stehen Austern, Jakobsmuscheln und Champagnerflaschen. Im Hintergrund geht die Sonne über Singapur unter. Eigentlich der perfekte Abend. "Nein", sagt Huang. "Ich bin ganz allein. Das bin ich immer."

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"Auf kurze Sicht ist man vielleicht begeistert von dem ganzen Geld, aber langfristig verschlimmert es sehr wahrscheinlich bereits existierende Probleme."

Einsamkeit kann schnell eine Begleiterscheinung von Reichtum werden. Wie Goldbart sagt, sei Einsamkeit eines der Schlüsselsymptome vom sogenannten "Sudden Wealth Syndrome", einer psychologischen Störung, zu der es kommen kann, wenn man in nur kurzer Zeit extrem reich wird.

"Geld ist wie Raketentreibstoff", sagt Goldbart. "Wo die Reise hingeht, hängt vom Navigationssystem und dem Kommando-Gebenden ab. Auf kurze Sicht ist man vielleicht begeistert von dem ganzen Geld, aber langfristig verschlimmert es sehr wahrscheinlich bereits existierende Probleme."

Huang sagt, er habe das Gefühl, dass seine Ausgaben für seine Freunde nicht mit seinen Depressionen zusammenpassen – so nach dem Motto "Wie kann es jemandem schlecht gehen, der jede Woche Tausende Dollar für Klamotten ausgibt?" Laut Goldbart sei es für Menschen, die plötzlich eine Menge Geld erben, nicht ungewöhnlich, dieses Geld erstmal mit vollen Händen auszugeben: "Sie fliegen sprichwörtlich zum Mond, fallen aber irgendwann wieder auf die Erde zurück und realisieren, dass sie sich mit den psychologischen Auswirkungen ihres Reichtums nicht ausreichend auseinandergesetzt haben."

"Mir gefällt es, schöne Dinge zu besitzen", sagt Huang. "Aber man kann keine bedeutsame Beziehung mit einem Givenchy-Shirt aufbauen."

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Wenn Huang über seine Eltern spricht, redet er im Präsens. Und wenn er sich daran erinnert, dass sie nicht mehr leben, zuckt er manchmal richtig zusammen. "Ich bin nicht gefühlskalt", sagt er. "Aber wenn ich mich mit ihrem Tod richtig auseinandersetzen würde, würde mich das fertig machen." Aus diesem Grund tut Huang so, als wären seine Eltern nur im Urlaub. 

Dabei sei es nicht mal so, dass Huang die Menschen vermisst, die seine Eltern waren. Es breche ihm allerdings das Herz, wenn er daran denkt, was er alles verpasst hat. Obwohl sein Leben luxuriöser nicht hätte sein können, habe er eigentlich nur eine Umarmung von seinen Eltern gewollt, ein Zeichen der Liebe und der Zuneigung. Er sehne sich immer noch danach, sagt er.

Immerhin hat Huang Trost bei seinen Paten-Eltern gefunden: die Familie, die er sich immer gewünscht habe. Für sie sei gemeinsame Zeit wertvoller als alles Geld der Welt. Dennoch hat Huang Probleme damit, sich zu öffnen und zu sagen, wie er sich wirklich fühlt.

Huangs Eltern haben ihm die Vorstellung eingebläut, dass seine Depression – oder sein "emotionales Handicap", wie seine Mutter immer sagte – eine Schwäche sei. Eine Schwachstelle, die man mit einem Schutzpanzer verdecken müsse. "Bis vor Kurzem hielt ich noch eine Fassade aufrecht", sagt Huang. "Ich versteckte meine Emotionen und den Menschen, der ich wirklich bin." Im Laufe der Jahre wurde diese Fassade immer mehr zu einem festen Bestandteil von Huangs Persönlichkeit, aber als sein Vater starb, zerfiel sie in ihre Einzelteile. 

"Ich entschied mich dazu, meinen Freunden und restlichen Verwandten von meinen Depressionen zu erzählen. Die meisten glaubten mir aber nicht", sagt er. "Sie fragten sich wahrscheinlich, wieso ich jetzt plötzlich depressiv bin, wenn ich das Ganze doch all die Jahre lang geheim gehalten hatte." 

Bei Huangs Reichtum stellen sich manche Leute vielleicht die Frage, welche Autos er fährt. "Früher hatte ich einen Land Rover, aber den kann ich wegen meiner gesundheitlichen Probleme nicht mehr fahren", sagt er. Und wie sieht es mit Luxusautos aus? Ferraris oder Lamborghinis?

Huang hält kurz inne und wirkt fast schon enttäuscht von der Frage. Dann antwortet er: "Nein. In solche Autos passen nicht viele Freunde."

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