„Wörter wie ‚Fotze’ und ‚Hurensohn’ sind immer noch unspielbar“—Über harte Texte im Radio

FYI.

This story is over 5 years old.

Interviews

„Wörter wie ‚Fotze’ und ‚Hurensohn’ sind immer noch unspielbar“—Über harte Texte im Radio

Wir haben beim Jugendradiosender Fritz nachgefragt, warum wir im Radio keine Songs übers Mütterficken hören.

„Yeah, ab heut' braucht die Fotze 'nen Psychiater / 'Nen abgefuckter Assi-Junk, der Morissey für Arme​" rappt Karate Andi beim Konzert und der ganze Club brüllt die Zeilen textsicher mit. Am nächsten Morgen stehen dann alle wieder im Bad und starren aus rotgeränderten Augen ihr müdes Gesicht an, während im Radio Clueso und Gestört Aber Geil läuft. Deutsches Musikradio ist eben immer noch eine ziemlich gesittete Großraumdisko. Hier werden im Tagesprogramm keine Mütter penetriert, verflossene Liebschaften beleidigt oder Drogen verherrlicht. Hier werden die „sauberen" Chart-Lieblinge runtergespielt, während die „schmutzigen" Songs offiziell nicht mal zu existieren scheinen. Wenn da im Hit dann doch mal rumgeflucht wird, kann man sich auf die Labels verlassen, die eine „Clean-Version" liefern, bei der die bösen Wörter ausgetauscht oder rausgelöscht wurden.

Anzeige

Diese Alltagserfahrung im Musikleben wirkt in Zeiten, in denen harter Deutschrap jede Woche die Charts stürmt fast anstrengend altmodisch. Doch wie geht eigentlich ein Jugendsender der ARD mit dem Thema im redaktionellen Tagesgeschäft um?

FRITZ sendet im Raum Berlin-Brandenburg und hat sich über sein langjähriges Bestehen immer auch dadurch ausgezeichnet, sich nicht stumpf auf die Charts zu beschränken, sondern auch neue Acts zu fördern und seinem jungen Publikum Alternativen zu diesem Ding namens Mainstream zu bieten. Trotzdem läuft auch hier tagsüber weder „Palmen aus Plastik" noch „King"—obwohl Acts wie 187 Strassenbande und Kollegah gerade beim jungen Publikum äußerst beliebt sind. Warum das auch heute immer noch so ist, ab welchem Punkt Songs als ungeeignet für das Radio eingestuft werden und ob sich Hörer wirklich über „böse" Songs beschweren, haben wir Henning Pyritz​, Musikredakteur und Musikplaner von FRITZ gefragt:

Noisey: Welche Instanz entscheidet darüber, ob ein Song aufgrund seines Inhalts gespielt werden kann oder nicht?
Henning Pyritz: Zum einen ist eine Radiostation, die von der Landesmedienanstalt eine Lizenz als „Jugendsender" erhält natürlich dazu verpflichtet, nur Inhalte—sowohl Musik als auch Wort—zu senden, die jugendfrei sind. Zum anderen entscheidet in der Praxis die Musikredaktion eines Senders, ob der Inhalt eines Songs angemessen für die Zielgruppe ist.

Anzeige

Welche Kriterien muss denn ein Song erfüllen, um gänzlich aus den Playlisten verbannt zu werden? Und wann ist nur eine zensierte beziehungsweise „gesäuberte" Version erforderlich?
Unterschieden werden muss hier zwischen unangemessenen Inhalten und expliziter Sprache. Ein Song, der beleidigend, frauenfeindlich, drogen- oder gewaltverherrlichend, politisch unkorrekt usw. ist, kommt nicht auf unsere Playlist. Ebenso gibt es natürlich Ausdrücke und Wörter, die einen Song bereits für die meisten Sender ausschließen.

Die Labels wissen darum und veröffentlichen dann direkt eine Clean Version zur expliziten Version. Beispielsweise Lily Allens „Fuck You"​ oder Cee Lo Greens „Forget You" / „F*ck you"​. Wir auf FRITZ setzen da aber etwas großzügiger an, da solche Wörter im Sprachgebrauch der Jugend zum Alltag gehören.

Gibt es einen Katalog an Wörtern, die einen Song in seiner Originalversion unspielbar für das Radio machen? 
Es gibt keinen Katalog, aber das gesunde Empfinden, das Wörter und Formulierungen ausschließt. Das wandelt sich natürlich auch: Vor ein paar Jahren wäre das Wort „Fick" ein Ausschlusskriterium gewesen, aber das ist—leider—ebenso normal im Sprachgebrauch (der Musiker) geworden wie im Englischen „fuck", „motherfucker" oder „bitch". Deswegen kann heute „Ventilator" von den Orsons oder die „Fickt-Euch-Allee" von Grossstadtgeflüster im Radio laufen. Wichtig ist, wie es beim Hörer ankommt. Bei beiden genannten Beispielen ist es in einen „augenzwinkernden" Song eingebettet, und nicht direkt an eine konkrete Person adressiert. Aber Wörter wie „Fotze" und „Hurensohn" sind heute immer noch unspielbar.

Anzeige

Was passiert, wenn man trotzdem die „dirty" Originalversion spielt?
Als erstes rufen Hörer oder deren Eltern an und beschweren sich, was wir denn da auf die Antenne lassen. Solche Beschwerden führen dazu, dass wir uns dem Song noch einmal genau widmen und dann gegebenenfalls doch entscheiden, diesen nicht zu spielen. Offizielle Verbote oder Strafen gibt es in diesem Zusammenhang nicht. Natürlich gibt es Songs, die auf dem Index landen, aber solche kommen für uns natürlich gar nicht erst in Frage.

Ist ein Schimpfwort im Englischen weniger schlimm als auf deutsch? Zum Beispiel: "fuck","bitch" oder "shit" im Verhältnis zu „fickt", „Schlampe" oder „Scheiße".
Deutsche Sprache wird viel „deutlicher" wahrgenommen als die Englische. Wenn man nicht gerade englischer Muttersprachler ist, hört man dort eher drüber weg als bei deutscher Sprache. Die kann man einfach nicht ignorieren. Aber auch hier gilt, dass der Kontext für dieses Lied wichtig ist.

Singt ein Mike Posner „I took a pill in Ibiza to show Avicii I was cool​ / And when I finally got sober, felt 10 years older, but fuck it, it was something to do" in einem Top10-Hit, nimmt der Hörer das anders wahr als wenn jemand rapt: „Komm, wir sippen Codein​ (rauchen Weed) / Denn das ist meine Medizin (viel zu viel)."

Aber auch im Deutschen gibt es in der Wahrnehmung von „Fick" und „Schlampe" Unterschiede. Niemand beschwert sich, wenn Jan Delay singt „Ey gib'n Fick, Alder!​ Mach Geld, klau Ideen, piss im steh'n, trag Pelz / Nenn' meine Mudder eine miese Schlampe, besitze keine Energiesparlampe".
Anders, wenn Gzuz rappt:

Anzeige

„Für alle die nicht nur am Samstag was starten.
Spontan ein' saufen, die Schlampe kann warten
In Sportanzügen Ott abwiegen
Aufgrund von dem Auspuff Vorfahrt kriegen
Jungs die kein Fick geben, Weiber die sich ficken lassen
Ich muss lachen, weil wir scheinbar alles richtig machen."

Da dürfte bei uns in der Musikredaktion sehr schnell das Telefon klingeln.

Wie oft gibt es Hörerbeschwerden aufgrund „harter" Lyrics?
Wir auf FRITZ bewegen uns zu einem Großteil unserer Playlist ja abseits des „cleanen Mainstreams". Deshalb kommt es bei uns schon ein bis zwei Mal im Monat vor, dass Hörer (oder deren Eltern) sich beschweren. Diesen Beschwerden gehen wir dann nach und entscheiden neu.

Gibt es innerhalb der „verbotenen" Wörter nochmal Rangfolgen? Ist „scheiße" weniger schlimm als „Hurensohn"?
Es gibt keine Rangfolge in dem Sinne, nur Wörter, die gebräuchlicher sind als andere und dadurch weniger anstößig sind.

Ab wie viel Uhr darf ein Künstler im Radio mit seinen härteren Lyrics in die Rotation?  
Das ist eine Frage der Einbettung. Unsere Deutschrap-Sendung „Irgendwas mit Rap"​ mit Visa Vie läuft jeden Mittwoch von 20 bis 22 Uhr auf FRITZ und könnte unter genannten Kriterien nicht stattfinden. Deshalb läuft vorab immer ein sogenannter Disclaimer, der darauf hinweist, dass dieser Sprachgebrauch ein Stilmittel des Raps ist. Das ist quasi der bekannte „Parental Advisory – Explicit Content"-Button auf der Sendung. Da Visa Vie mit ihren Gästen dann aber auch über diese Songs spricht und gegebenenfalls ihre Gegenmeinung äußert, können solche Texte mit „deutlichen Wörtern" auch im Programm laufen. Wir haben auf FRITZ ja auch schon mal einen ganzen Tag lang nur Deutschrap gespielt. Da liefen solche Songs dann auch entsprechend eingebettet auch am Tag.

Warum wird vom aktuellen Platz-Eins-Album von Bonez MC und Raf Camora bei Fritz immer nur „Ruhe nach dem Sturm", nicht aber die eigentlichen Singles „Mörder", „Palmen aus Plastik" oder „Ohne mein Team" gespielt? Geht es da dann um den Inhalt?
Die Antwort ist eigentlich klar: In den Texten werden Wörter wie „Hurensohn" oder „Fotze" verwendet, Drogen konsumiert, die Frauenwürde nicht respektiert und Gewalt praktiziert—also sauber alles erfüllt, was diese Songs für uns im Tagesprogramm unspielbar macht. Dennoch versucht sich FRITZ natürlich solcher Phänomene wie Bonez und Gzuz anzunehmen und sucht Songs, mit denen wir sie im Programm vorstellen können, oder alternative Formen—so haben wir zum Beispiel ein Feature zur 187 Strassenbande nach ihrem letzten Gig hier in Berlin gesendet.

Aber Gangsta-Rap ist auch bei uns in der Redaktion kein unumstrittenes Thema: Sieht man die Lyrics nur als Karikatur der Straße und Stilmittel für dieses Genre, kann man das natürlich alles nicht ganz so ernst nehmen und sogar lustig finden. Beschäftigt man sich mit den Künstlern und ihrer persönlichen Geschichte, ihrem Umfeld, dem Background, kann man sich oftmals darüber streiten, ob diese Protagonisten das nun ernst meinen oder nicht. Und ob die jugendliche Hörerschaft das dann auch noch so differenziert betrachten kann, steht nochmal auf einem anderen Blatt.

Julius ist auch auf Twitter: @BackToSchoolius