Das Rawiya-Kolletiv wurde 2009 gegründet und ist das erste Fotokolletiv aus dem Mittleren Osten, das nur aus Frauen besteht. Die Wege der vier Frauen kreuzten sich beruflich bereits mehrfach, bevor sie schließlich beschlossen, sich zu einer festen Gruppe zusammenzuschließen. Aus den zufälligen Begegnungen wurden schnell berufliche Beziehungen und schließlich persönliche Freundschaften wurden, wie Tanya Habjouqa erklärt. „Sowohl unsere Freundschaft als auch unsere beruflichen Beziehungen spielen sich vor allem in den Städten Amman, Beirut, Jerusalem, Ramallah, Dubai und Kairo ab—und im Rahmen großer Ereignisse", sagt sie. „Der Krieg zwischen Israel und dem Libanon im Jahr 2006 war einer dieser entscheidenden Momente, der viele Fotografen aus unserer Region zusammengebracht hat."
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Neben Habjouqa sind auch Myriam Adelaziz, Tamara Abdul Hadi und Laura Boushnak Teil des Rawiya-Kollektivs. Ihre Liebe zur Fotografie kommt aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Hadi ist gelernte Grafikdesignerin und zog Anfang 2015 nach Dubai, wo sie ihre Karriere als Fotografin mit einem Job bei Reuters begann. „An einem Ort wie Dubai zu leben—mit dem ganzen übertriebenen Prunk und dem Überfluss auf der einen, und den Arbeitsmigranten, die die Stadt im Grunde aufgebaut haben, auf der anderen Seite—hat die Dokumentaristin in mir heraufbeschworen", erklärt sie. „Erst da habe ich verstanden, wie wichtig es ist, gesellschaftliche Probleme festzuhalten, um sich für unterrepräsentierte Gruppen einzusetzen und falsche Darstellungen in der Region anzufechten."Habjouqa begann ihre Karriere als Schriftstellerin. Ihre erste Stelle bekam sie bei der Jordan Times in Amman. „Ich sehe mich selbst immer noch als Schriftstellerin und betrachte uns alle als Geschichtenerzähler mit verschiedenen Medien … nicht nur als Fotografinnen", sagt sie. „Meine jordanische und texanische Herkunft bietet mir Zugang zu vielen großen Geschichten, Erzählungen, Bräuchen und hat mir sowohl schwarzen Humor, als auch Gastfreundschaft mitgegeben. Gleichzeitig habe ich aber auch einen Einblick in die dunkleren Seiten der Gesellschaft, die von den Medien oft falsch dargestellt oder dazu benutzt werden, ein gesamtgesellschaftliches Bild zu zeichnen. Daher war die Fotografie schon immer ein Weg für mich (genau wie das Geschichtenerzählen im Allgemeinen), um stereotypen Meinungen entgegenzutreten und gesellschaftlichen Probleme auf den Grund zu gehen."
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Das Kollektiv hat es sich zur Aufgabe gemacht, Vorurteilen über den Mittleren Osten entgegenzutreten und einen menschlichen Blick auf die Protagonisten und Motive der Region anzubieten. Ihre Arbeiten sollen dazu einladen, mehr zu sehen als das, was der Betrachter sonst durch seine unterschwelligen Vorurteile wahrnehmen würde. Ihre Fotografien drehen sich um Themen wie Geschlechterbeziehungen, Bildung, das Leben in besetzten Gebieten und Kinderarbeit und sollen eine alternative visuelle Repräsentation der Gesellschaft, in der sie leben, darstellen.
Die Themen sind jedoch nicht nur auf den Mittleren Osten beschränkt. Bei ihrer Arbeit für eine alternative Zeitung in Texas, für die sie über die lokale afroamerikanische Bevölkerung berichten sollte, hat Habjouqa eine wichtige Erfahrung gemacht: „[Sie] sind aus dem Steuersystem der umliegenden Gemeinden herausgefallen und lebten in schockierender Armut", erklärt sie. „Einige von ihnen hatten nicht einmal fließend Wasser—das war im Jahr 2000. Mir ging es aber darum, hinter die ‚schockierende Armut' zu schauen und die Geschichte anders zu erzählen—eindringlich, aber mit Würde."Mehr lesen: Trotz Kopftuch-Kollektion: Wie H&M und Co. den Islam missverstehen
Das Kollektiv fing damit an, Vorurteile in seinen Arbeiten zu thematisieren und legte seinen Fokus dabei auf die Darstellung sozialer und politischer Themen, denen—wie sie fanden—zu wenig Bedeutung und Kontext in der medialen Berichterstattung über den Mittleren Osten gewidmet wurde. „Wir sagen zum Spaß immer, dass wir im Kollektiv von einem Hochhaus springen werden, wenn nochmal jemand eine seiner Arbeiten ‚Hinter dem Schleier' nennt", lacht Habjouqa. „Die stereotype Darstellung von Frauen ist eines der größten Probleme. Es gibt auch Grund zu der Annahme, dass die westlichen Medien nach der US-Invasion im Irak(unwissentlich) eine wichtige Rolle bei der fortschreitenden Spaltung zwischen den Suniten und Shiiten gespielt haben. Das war zwar nicht als vorrangiges Ziel deklariert, hat jedoch zu ernstzunehmenden geopolitischen Verschiebungen geführt."
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Eine Frau zu sein, hat sie bei der Arbeit als Fotografinnen in der Region nicht behindert—im Gegenteil! „Wir sind auf keine besondern Herausforderungen gestoßen, nur weil wir Frauen aus dem Mittleren Osten sind. Es hat uns wahrscheinlich sogar dabei geholfen, Zugang zu einer Vielzahl von Geschichten zu bekommen", erklärt Habjouqa. „Wenn überhaupt, dann hat uns die Tatsache, dass wir uns als Fotografinnen zusammengetan haben, zu mehr Aufmerksamkeit und verschiedenen Plattformen verholfen. Zum Teil liegt das auch daran, dass es so viele Vorurteile und so viele falsche Informationen über die Rolle der Frauen in der arabischen Gesellschaft gibt."
„Die Gesellschaft ist sehr viel vielfältiger als die Leute denken", sagt sie. „Rawiya setzt sich aus Leuten unterschiedlicher ethnischer und nationaler Herkunft zusammen. Aber wir sind alle völlig weltoffen mit einem tiefen Respekt vor den verschiedenen Glaubensrichtungen und Gemeinschaften, in denen wir aufgewachsen sind. Man kann nicht leugnen, dass es in der gesamten Region krasse Menschenrechtsverletzungen (gegenüber Männern und Frauen) gibt—vor allem die Probleme, denen Frauen angesichts der heuchlerischen Gesetze und (in manchen Fällen) der kulturellen Behandlung gegenüberstehen. Gleichzeitig gibt es aber auch extrem unabhängige, wunderschöne und erfolgreiche Frauen, die ihren Weg gehen. Und Frauen (wie auch Männer), die sich für den Schutz der Rechte der Frauen einsetzen."
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Dass sie diese Erfahrungen gemeinsam machen, bedeutet zugleich auch, dass sie sich gegenseitig unterstützen können, wenn die Arbeit an den Projekte schwierig wird. Eines von Habjouqas größten Projekten hat ihr einen Preis von World Press Photo eingebracht und wurde nach einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne als Fotobuch herausgebracht: Occupied Pleasures.
Ihre Arbeit wurde als ein „Zeugnis der Widerstandskraft der Palästinenser, die angesichts der nicht enden wollenden Besatzungszeiten versuchen, den einfachen Freuden zu folgen" beschrieben. Ihre Bilder zeigen erhabene, aber alltägliche Szenen aus dem Leben der Palästinenser in den besetzten Gebieten im Westjordanland, in Gaza und in Ostjerusalem. Ohne die Unterstützung durch das Rawiya-Kollektiv, sagt Habjouqa, hätte sie das nicht geschafft. „In Stadien, in denen wir uns mit Projekten und Ideen noch sehr unsicher sind, können wir die anderen nach ihrer Meinung fragen und auf ihre Unterstützung zählen. Manchmal ist das grausam ehrlich, aber genau das braucht man", sagt sie.„Ich glaube, für uns alle ist es eine Ehre, wenn jemand den anderen nach seiner Meinung fragt. Und, abgesehen von unserer Freundschaft, habe ich tiefen Respekt vor der Arbeit meiner Kolleginnen. Bei Vorträgen oder Vorlesungen verweise ich so oft wie möglich auf ihre Arbeit, wenn es um schwierige geschlechterbezogene, soziale und politische Probleme geht."