Muss mal gesagt werden: 'Chappelle’s Show' war die beste Musiksendung aller Zeiten
Dave Chappelle as Prince / Image by Lia Kantrowitz 

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Muss mal gesagt werden: 'Chappelle’s Show' war die beste Musiksendung aller Zeiten

Wir haben es nochmal geguckt und ja, Dave Chappelles Parodien von Lil Jon, Rick James und Prince sind bis heute unerreicht.

Eigentlich sollte man meinen, dass Prince's Status als absolute Musik-Ikone im Jahr 2004 bereits Konsens und filigran in Marmor gemeißelt war. Er war ohne Zweifel der übersinnlichste Künstler der letzten 30 Jahre: ein weltweit gefeierter Filmstar, der Gender, Farben (Purple), Wettererscheinungen (Rain) und die klassischen US-amerikanischen Muscle-Cars (Corvette) neu definiert hatte. Aber die Show von Dave Chappelle war einfach so genial, dass er mit seinen Comedy-Auftritten als Prince den Mythos der Legende doch nochmal verändert hatte. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass der Prince deiner Vorstellung eigentlich gar nicht der echte Prince, sondern eben Dave Chappelle als Prince ist, der in roter Rüschenbluse beim Basketball Eddie und Charlie Murphy fertig macht.

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Doch Chappelle's Show hat nicht nur die lange vermuteten übernatürlichen Eigenschaften von Prince offenbart, sondern auch das Konzept des Pancakes komplett auf den Kopf gestellt. (Wer sonst serviert abends nach einem Basketballspiel Pancakes, nur um seine Gegner noch weiter zu erniedrigen?) Das soll ihm erstmal jemand nachmachen. Es ist eine Sache, seine Wertschätzung des Mannes, der "Kiss" geschrieben hat, auf die Spitze zu treiben, aber es ist nochmal etwas ganz anderes, die allgemeine Wahrnehmung einer der ikonischsten Frühstücksvarianten des letzten Jahrhunderts zu verändern. Selbst Prince hat ihm später zugestimmt und Chappelles Foto aus dem Sketch aufs Cover der Single "Breakfast Can Wait" gepackt.

Princes Singlecover für "Breakfast Can Wait"

Die mit Abstand größte Musikshow aller Zeiten war eben zufällig ein Sketch-Comedy-Programm: die Chapelle's Show. Konkurrenten hatte sie nicht viele. Die Chris Rock Show kam ihr da noch am nächsten und hatte sogar einige Jahre vorher teilweise dieselben Gäste da, doch im Vergleich zur Chapelle's Show hält sich ihr Einfluss auf die Kultur in Grenzen. Es gab da noch ein paar andere ganz witzige Shows, aber keine war ihr auch nur im Ansatz ebenbürtig. Wie will man auch einen Charlie Murphy toppen, der über Rick James herzieht, weil der seine dreckigen Cowboy-Stiefel an einer weißen, brandneuen Leder-Couch abreibt? Verdammt, wir wollen gar nicht wissen, wie viele Leute schon eine Line gezogen haben, um dann reflexartig "Cocaine is a helluva drug" zu glucksen. (Sicher in etwa so viele, die nach dem ersten Biss in einen Hamburger "Mhmh, das ist ein leckererer Burger" schmatzen.)

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Es gab auch andere Sendungen, die außergewöhnliche Musik-Gäste hatten: Die Muppets, MTV Unplugged, Rap City, Yo! MTV Raps, O.C., California oder Beverly Hills 90210. Doch keiner davon ist es wie Chappelle gelungen, scharfsinnige Satire so gekonnt mit subtiler ethnischer Kritik, witziger Parodie mit fantastischem Humor, guten Geschmack mit tollen Musikeinlagen und politische Witze mit "Tupac lebt!"-Gags zu mischen.


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Es war die Perspektive von jemandem, der ein riesiger HipHop-Fan war – von jemandem, der in dieser Kultur aufgewachsen und plötzlich selbst zu ihrem wichtigen Bestandteil geworden ist. In der Pilotfolge hat Chappelle seine Liebe für die "HipHop-Musik" verkündet und sie gegen Vorwürfe des Materialismus und der Frauenfeindlichkeit verteidigt. Dann ging es in einen obszönen Nat King Cole-Sketch über, der eine spärlich bekleidete Nachtclub-Sängerin mit Sekt bespritzt und dabei "King Cole Records" ruft. Wenn er damit nicht schon ausreichend klargestellt hatte, was und wen er vetrat, gab es noch zu Beginn jeder Folge immer Dead Prez’ "Hip Hop" zu hören.

Neben der Vorliebe für Comedy und Spike Lee-Filme war es ursprünglich HipHop, der Chappelle und Neal Brennan, den Co-Creator und Co-Writer der Sendung, verbunden hat. Brennan war bereits seit seiner Teenagerzeit, als er Public Enemys "Bring the Noise" gehört hat, begeisterter Fan des Genres. Innerhalb weniger Jahre hat der aufstrebende Comedian dann Artikel für die Comedy-Ausgabe des HipHop-Magazins The Source geschrieben.

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"Als wir die Pilotfolge geschrieben haben, haben wir die ganze Zeit Lauryn Hill Unplugged geguckt", erinnert sich Brennan. "Der ganze Auftritt war ein authentischer, klagender Schrei, und ist ganz klar Teil der DNA der Chappelle Show."

Die Show war deshalb so genial, weil die Sketche nicht auf ausgedachten surrealistischen Szenarien, sondern auf einer überspitzten Version der Realität basierten. Der R. Kelly "Piss on You" Song war in echten Gerichtsgutachten verwurzelt. Wu Tang Financial war vielleicht absurd, aber nicht undenkbar. Chappelle und Co-Creator Brennan wussten instinktiv, wie sie die natürliche Absurdität von Charakteren aus der Pop-Musik übertreiben konnten, und Chappelle hatte ein wahres Talent für Mimik und Schlagworte – das hatte er sich bei Kollegen wie Richard Pryor, Eddie Murphy, George Carlin und Chris Rock abgeguckt. In der Geschichte der englischen Sprache hat es bisher nur der Rapper Too Short geschafft, mehr Musikalität und Witz aus dem Wort "Bitch" zu kitzeln, als Dave Chappelle.

"Chappelle's Show hat eine ganze Kultur geprägt und hat es cool gemacht, sozial bewusst zu sein und zu hinterfragen, was auf der Welt passiert", sagt Big Boi, dessen Performance seines Songs "The Rooster" als eine der besten der Sendung in Erinnerung bleibt.

Auf die Frage nach seinem persönlichen Lieblings-Sketch nennt das Outkast-Mitglied die Parodie von P. Diddys Show "Making The Band". Das ist ein weiterer Grund dafür, warum Chappelle's Show zeitlos ist: Man muss Diddys kurzlebige TV-Reality-Show nicht gesehen haben, um die Parodie lustig zu finden. Wenn dich jemand nach den Top 5 der besten Rapper fragt, und du mit "Dylan, Dylan, Dylan, Dylan, Dylan" antwortest, kannst du sicher sein, dass alle den Witz verstehen und darüber lachen werden. Und schon alleine Chappelles hervorstehenden Augen, seine grotesken Gesten und sein Gespür für Situationskomik können wohl kaum einen Zuschauer kalt lassen.

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"Er hat aktuelle Ereignisse parodiert, aber die Witze waren tiefgründig", fügte Big Boi hinzu. "Er hat sich nicht die größten Künstler rausgesucht, sondern solche, die cool waren, und sie in interessanten Situationen gespielt."

Dave Chappelle als Lil Jon

Chappelle's Show wurde das erste Mal im Jahr 2003 ausgestrahlt und Dave erst dadurch berühmt, doch tatsächlich war der Komiker schon jahrelang Teil der Soulquarian-Szene gewesen. Seinen aktuellen Geschäftspartner Corey Smith hat er in den späten 90er Jahren bei einem Konzert von De La Soul und Talib Kweli kennengelernt.

Durch eine glückliche Fügung des Schicksals haben sich Chappelle und Smyth eines Abends wieder getroffen. Chappelle war gerade auf seinem Skateboard unterwegs, um ein Set zu machen, während Smyth am Handy war und die Zeit zwischen den mittlerweile kultigen Sessions mit den Roots, Talib Kweli, Common, D'Angelo, Erykah Badu, Mos Def und J Dilla totschlug. Als Chappelles Show dann von Comedy Central grünes Licht bekommen hat, war es klar, dass er sich an Smyth wenden würde, damit dieser die Musik-Gäste buchen würde.

"Wir haben eine Anfrage an die Künstler entwickelt, in der wir ihnen sagten, dass sie nicht ihre aktuelle Single performen, sondern sich ein weniger bekannteres Lied aussuchen sollten."

Wie zu erwarten fand Comedy Central die Auswahl anfangs zu underground. Auf der Wunschliste des Unternehmens standen fast nur Crossover-Künstler mit Top 10 Chart-Hits. Beim zweiten oder dritten Meeting mit dem Netzwerk hatte Smyth noch keinen einzigen Act buchen können.

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"Dave sagte mir, wir sollen einfach ein paar meiner Freunde buchen”, erinnert sich Smyth. "Ich fragte ihn, ob er sich sicher war, dass Comedy Central das OK finden würde, und er sagte ja."

Dave Chappelle als Rick James / Image by Lia Kantrowitz

Die ersten Musik-Gäste haben einen Auftritt hingelegt, der bis heute unvergessen ist. Mos Def und Dave sind durch Harlem gefahren, während der echte Pretty Flacko einen Freestyle-Rap hingelegt hat, mit dem er sich einen Platz in Dylans Top 5 verdient hätte. Das gesamte Konzept von Carpool Karaoke wurde hier geboren.

Die Liste der Musik-Gäste ist ziemlich beeindruckend: Busta Rhymes, Big Boi, Killer Mike, Badu, Slum Village, The Roots, Wyclef Jean, Blackstar, De La Soul, DMX, Ludacris, Cee-Lo, Common, Kanye und Snoop Dogg. Zu den Musik-Gästen der dritten Staffel gehörten Nas, der mit seinem Vater Olu Dara im Cotton Club auftrat, ein Auftritt der Beastie Boys auf der Staten Island Fähre und Eminem und Proof. Davon wurde aber nie auch nur ein Ausschnitt ausgestrahlt, und wahrscheinlich vermodern die Aufnahmen im Comedy Central-Archiv und warten darauf, entdeckt zu werden.

"Musikauftritte kommen im Fernsehen einfach nicht so gut rüber, wie beispielsweise Sport- oder Comedy-Sendungen", sagt Brennan. "Wir haben versucht, das zu ändern, indem wir die Live-Performances in einen anderen Kontext verlegt haben."

In einigen Fällen sind die Live-Versionen sogar zu den einzigen Versionen geworden, an die wir uns erinnern. Kanye und Commons Darbietung von "The Food" ist schließlich sogar auf Commons Album Be gelandet.

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"Sobald Kanye am Set war, fragte er, warum wir vor einem Lagerfeuer shooten. Der Song heißt 'The Food'. Wir sollten in einer Küche drehen", erzählt Smyth. Also taten wir das. Uns war es wichtig, dass sich die Künstler bei dem, was sie machen, wohl fühlen."

Es ist fast 13 Jahre her, seit Chappelle die Show überraschend verließ und sie daraufhin nicht mehr weiter produziert wurde. Man kann es ihm aber irgendwie nicht übelnehmen. Seine Slogans und karikaturhaften Darstellungen haben sich unwiderrfulich in unser Bewusstsein gebrannt. Er hat den Mythos in etwas Eigenartiges und Lustiges aufgebrochen, aber irgendwie kam er damit auch den Künstlern viel näher.

Vor Chappelle haben die meisten Leute Lil Jon als einsilbigen Crunk-Rapper abgetan. Natürlich hat dieser Ruf in den Sketchen für viele Lacher gesorgt, aber gleichzeitig hat er dann immer wieder mal mit ernster, belehrender Stimme gesprochen, und dieser Kontrast hat es umso lustiger gemacht und gezeigt, dass er – anders als von vielen gedacht – ziemlich scharfsinnig ist.

Zuerst haben die Leute die Show geguckt, weil sie lustig war. Und wir feiern sie bis heute, weil es auch danach nichts gegeben hat, das sie auch nur ansatzweise hätte ersetzen können. Chappelle hat in seiner Show ernste Themen wie Ethnie, Sex, Ungerechtigkeit, Politik und die Groteskheit der Popkultur angesprochen, dabei aber immer Oscar Wildes berühmte Weisheit im Hinterkopf gehabt: "Wenn du die Wahrheit sprechen willst, sei dabei lustig – ansonsten wird man dich umbringen wollen."

Im Laufe der Zeit hat es eine ganze Musik-Ära geprägt und so einigen Stars dabei geholfen, groß rauszukommen. Vielleicht wäre jemand wie Common sonst Schauspieler geworden und hätte seine Nummer-1-Alben aufgenommen, die niemand gehört hätte. Wie jede gute Comedy-Sendung lag der Chappelle's Show eine tiefe Ehrlichkeit zugrunde – eine, die die Grenzen zwischen underground und mainstream, Mythen und Realität, Pancakes und was Sterbliche sonst noch so frühstücken, verwischt hat.

Jeff Weiss ist auch auf Twitter.

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