Was hören eigentlich Tote?

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Was hören eigentlich Tote?

Wir haben mit einem Bestatter, Priester und Moschee-Mitarbeiter über die Rolle von Musik auf Beerdigungen gesprochen und ob wir da wirklich ‚Carlo Coxxx Nutten‘ spielen dürfen.

Foto: Imago

Jeder hat so seine Go-to-Gesprächsthemen, wenn er leicht angeschwipst in einer Bar sitzt und den Smalltalk zu Mediumtalk ausbauen möchte. „Welchen Song würdest du gerne bei deiner Beerdigung spielen?" ist meins. Ich finde, es lässt tief in die Seele meines Gegenübers blicken und mich schnell die Entscheidung treffen, ob ich mit demjenigen wirklich noch weiter Bier trinken möchte. Wer diese Erde zu den Klängen von Unheilig verlassen möchte, kann einfach nicht mein Freund sein.

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Bei den meisten emotional aufreibenden Momenten in unserem Leben legen wir sehr viel Wert auf die begleitende Musik—im Fröhlichen, wie bei Hochzeiten oder Geburtstagen, wie auch im Traurigen, bei Beerdigungen. Musik erfüllt in diesen Situationen sehr viel mehr, als bloß den Zweck, eine unangenehme Stille zu übertönen. Sie spendet Trost, verstärkt Emotionen oder drückt vielleicht das aus, was wir gerne sagen würden, aber nicht können. Boom—seht ihr? So schnell ist man vom Smalltalk im Mediumtalk gelandet.

Diesmal bin ich aber noch einen Schritt weitergegangen und habe versucht, das Gespräch über die Bedeutung von Musik bei Beerdigungen vom Mediumtalk zum Bigtalk zu erhöhen: mit einem Bestatter, einem Priester und einem Mitarbeiter der Umar-Ibn-Al-Khattab-Moschee in Berlin Kreuzberg. Welche spirituelle Bedeutung hat für sie Musik auf Beerdigungen? Sollten wir wirklich alles spielen dürfen, was wir wollen? Und was hören die Toten heutzutage so am liebsten?

Eric Wrede führt das Bestattungsinstitut „Lebensnah" in Berlin. Er hat den Tod zu seinem Beruf gemacht, nachdem er früher im Musikmanagement arbeitete. Vom Studio auf den Friedhof sozusagen. Sowohl Musik, als auch Tod sind für Wrede also essentielle Bestandteile seiner beruflichen Karriere. „Musik auf Beerdigungen hat die gleiche Kraft wie im normalen Leben. Sie lädt Situationen emotional auf und verstärkt die Erinnerung", antwortet Wrede auf meine Frage, welche Bedeutung Musik für ihn bei Bestattungen hat. „Das Lied, welches auf der Beerdigung deines besten Freundes laut läuft, wirst du nie vergessen oder kannst es unbelastet nochmal hören."

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Bei Eric Wrede darf alles gespielt werden. Das traut sich aber nicht jeder. Jedoch nicht aus der Angst heraus, die Lieder für die anderen für immer zu vermiesen: „Oft herrscht eine große Unsicherheit darüber, was passend sein könnte."

Die Entscheidung „Kann ich das jetzt echt bringen?" vermiest uns ja auch schon zu Lebzeiten häufig eine Menge Spaß. Spätestens wenn man stirbt, sollte man also vielleicht darauf pfeifen, was die anderen denken könnten und einfach den Song spielen, den man nun mal hören mag. Das sieht Eric Wrede ähnlich: „Wir empfehlen, sich immer zu überlegen, welches die wichtigsten Lieder für den waren, der verstorben ist und welche sind die Lieder, die die Hinterbliebenen mit ihm verbinden. Eine Familie entdeckte nach dem Tod eines Mannes, der Ende 50 war, dass er heimlich Grindcore und heftigen Metal geliebt hat. Die haben sich bei seiner Trauerfeier 30 Minuten heftigstes Geknüppel bei voller Lautstärke angehört. Und waren alle selbst jenseits der 60. Das ist wahre Liebe!"

Markus Schäfler sieht in der Musik bei Begräbnissen aber noch eine ganz andere Funktion erfüllt. Schäfler ist exkommunizierter Priester, begleitete früher also katholische Begräbnisse. Trotz seiner Exkommunikation führt er aber auch heute noch Beerdigungen durch—ohne Gebete und Gerede über Gott als freier Zeremoniengestalter. „So eine Beerdigung ist ja etwas sehr Deprimierendes, alle sind fertig. Musik kann bei Begräbnissen auch verhindern, dass man in ein Loch der Depression fällt. Sie fängt einen auf." Deswegen respektiert Herr Schäfler jegliche Musikwünsche seiner Kunden: „Ich könnte mir auch durchaus vorstellen, ‚Highway To Hell' zu spielen", sagt er uns am Telefon. Das sieht die katholische Kirche etwas strenger—Überraschung! „Es gibt Diözesen, wo es ganz strikte Vorgaben gibt, welche Lieder bei welchen Feiern verwendet werden dürfen. Oft wird weltliche Musik komplett abgelehnt. Es gibt aber auch durchaus Pfarrer, die sich über solche Weisungen hinwegsetzen." Letztlich liegt es auch bei katholischen Bestattungen am Priester, welche Musik gespielt werden darf.

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Wenn man einen coolen Priester gefunden hat, gibt es nur noch eine Hürde, die einem den letzten Song verhageln kann—die Verwandtschaft. „Ich habe schon sehr oft mitbekommen, dass gerade bei Metallern die Familie sich für Andreas Gabalier entscheidet." Im Grab umgedreht hat sich bisher tatsächlich noch niemand, aber Schäfler ist trotzdem bedacht darauf, für die Wünsche des Toten einzutreten. „Ich habe mal einen Diskobesitzer, der großer Metalfan war, beerdigt, wo die Angehörigen und Freunde Andreas Gabalier wünschten. Da habe ich dann schon nachgefragt, was sie denn denken, dass der Tote sagen würde, wenn bei seiner Beerdigung Andreas Gabalier gespielt wird." Das Ende der Geschichte: Es wurde Andreas Gabalier gespielt.

Apropos Unterwelt und Andreas Gabalier: Wie auch auf dieser Seite des Styx gibt es auf der anderen gewisse „Trendcharts". Jedes Jahr untersucht das Bestattungsportal Bestattungen.de die Top 10 der beliebtesten Beerdigungssongs. Im letzten Jahr belegten so viele deutschsprachige Künstler wie noch nie die „Todescharts": Sarah Connor schaffte es mit „Das Leben ist schön" auf Platz 4, kurz vor Andreas Gabalier mit „Amoi Seg' Ma Uns Wieder" auf Platz 6 und Herbert Grönemeyer auf Platz 7 mit „Der Weg". Den Trend weg vom ewigen „Ave Maria" oder Bachs „Air Suite Nr. 3" können auch Markus Schäfler und Eric Wrede bestätigen: „Jetzt gerade beerdigen oder auch sterben die Menschen, welche mit Popkultur aufgewachsen sind. Und diese finden ihre Trauer nicht in den klassischen Kirchenliedern, sondern haben einen völlig eigenen Zugang zu Musik, der sich auch in der Gestaltung von Trauerfeiern einbringt", erklärt Eric Wrede.

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Ob religiöse Lieder oder moderne Popmusik, im Islam sieht das ganze ein wenig anders aus. „Also, ich würde das jetzt nicht Lieder nennen … wir rezitieren den Koran", erklärt mir Birol Ucan, Pressesprecher des Maschari-Vereins der Umar-Ibn-Al-Khattab-Moschee in Berlin-Kreuzberg bei einem Tee im kleinen Café, das zu dem berühmten Gotteshaus dazugehört. Er hat früher aktiv bei dem Bestattungsdienst der Moschee mitgearbeitet und so auch häufig externen Bestattern bei Aufträgen von muslimischen Kunden geholfen. „So wirklich Lieder wie bei anderen feierlichen Veranstaltungen gibt es nicht, nein." Auf die Frage, wenn sich jemand explizit Musik wünschen würde, auch wenn es nicht Tradition entspricht, wendet Herr Ucan ein: „Beim Islam gibt es eine Sache, die lautet: Wenn jemand eine Neuerung einführt, also etwas, das zur Zeit des Propheten nicht gemacht wurde, die aber im Rahmen des islamischen Gesetzes bleibt, dann darf man das ausführen." „Zum Beispiel Musik?", hake ich nach. „Zum Beispiel Musik. Wenn jemand möchte, dass bei seiner Beerdigung trommelnde Menschen und eine Gesangsgruppe die Zeremonie begleiten zum Beispiel, dann geht das." Also Musik ja, „Highway To Hell" eher nein.

Im Judentum wird traditionell sogar noch während der Schiwa, der Trauerwoche nach dem Begräbnis, sieben Tage lang keine Musik gehört und auch auf sonstige Arten der Belustigung oder Unterhaltung verzichtet. Die Frage an Herrn Ucan oder einen Rabbi, was sie bei ihrer Beerdigung gerne hören würden, erledigt sich hiermit dann wohl von selbst.

Bestatter Eric Wrede würde sich bei seiner eigenen Beerdigung Frank Sinatra, The Kinks und The Verve wünschen. Markus Schäfler bleibt eher seinen katholischen Wurzeln treu, beweist jedoch abermals seine liberale Einstellung: „Ich würde gerne das 'Te Deum', also 'Großer Gott wir loben dich' hören. Ob auf Deutsch oder Latein wär mir egal."

Na gut, ich glaube, auf ein Bier würde ich mit beiden noch bleiben. Prost, auf das Leben!

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