FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Wie uns First Class-Passagiere das Reisen vermiesen

Psychologisch gesehen kann schon allein die Anwesenheit von Erste-Klasse-Reisenden den gleichen Stress auslösen wie eine mehrstündige Verspätung.

Wer kennt das folgende Szenario nicht? Man ist seit dem Morgengrauen auf den Beinen und wartet in aller Frühe übermüdet auf seinen Flug, doch die Crew lässt sich alle Zeit der Welt. Die vielen kleinen Läden, die man vom Flughafen so kennt, sind um diese Uhrzeit natürlich noch geschlossen, und die Fluggäste werden langsam unruhig. Von der Dame am Gate kommt lediglich die Ansage, dass das Boarding noch nicht beginnen kann. Man beißt also die Zähne zusammen und übt sich weiter in Geduld, doch dann kommen plötzlich die First-Class-Gäste an und stolzieren schnurstracks in den Flieger. Klar kann einem da schon mal der Kragen platzen.

Anzeige

„Air rage", also das den Flugbegleitern oder anderen Fluggästen gegenüber aggressive oder gar gewalttätige Verhalten, stellt für das Flugpersonal eine echte Herausforderung dar.

Das internationale Phänomen war nun Anlass für eine neue Studie, die vorgestern in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wurde. Untersucht wurden die Auswirkungen der räumlichen Trennung der Flugzeugkabine in First und Economy Class auf die Air Rage. Es stellte sich heraus, dass der Hass, den wir manchmal gegenüber Erste-Klasse-Fliegenden empfinden, ein weit verbreitetes Symptom des Airline-Klassismus und einer der Hauptgründe für die Air Rage ist. Psychologisch gesehen kann schon die bloße Anwesenheit von Erste-Klasse-Fliegenden den gleichen Stress auslösen wie eine Flugverspätung von 9 Stunden und 29 Minuten.

Eine Flugzeugkabine ist eben ein perfekter Mikrokosmos der unterschiedlichen sozialen Schichten. Den „Elite-Fliegern" werden an Bord nicht nur aufmerksamerer Service und umfangreichere Zusatzleistungen zuteil, sie besetzen zudem auch räumlich gesehen einen begrenzten, exklusiven Teil des Flugzeugs. Gäste aus der Economy Klasse hingegen erhalten das Mindestmaß an Service und besetzen die billigsten Plätze. Daran werden sie dann auch gleich während des Boardings erinnert, wenn sie auf dem Weg in den hintersten Teil des Flugzeugs an den mit Leder verkleideten First-Class-Sitzen mit extra viel Beinfreiheit vorbei müssen.

Anzeige

In einer sozioökonomischen Hierarchie, wie sie in unserer Gesellschaft existiert, kann sich die soziale Klasse einer Person auf eine Vielzahl von Faktoren wie ihre Gesundheit, ihr Wohlbefinden, ihre Gefühle und ihr Verhalten auswirken. Und wie die Autoren der Studie bestätigen konnten, kann sich diese Hierarchie auch im Kleinformat, beispielsweise in einem Flugzeug, abspielen und dabei die gleichen kritischen Auswirkungen hervorrufen.

„Ich forsche im Bereich der Kriminalität und des organisatorischen Verhaltens und interessiere mich daher von Berufs wegen für Ungleichheit und Gerechtigkeit. Flugreisen und Flughäfen führen den Menschen den Klassenkampf besonders deutlich vor Augen", so die Erstautorin der Studie, Katherine DeCelles von der University of Toronto, gegenüber Motherboard.

DeCelles hat zusammen mit ihren Kollegen Flugdaten aus mehreren Jahren ausgewertet, die ihnen von einer großen internationalen Fluggesellschaft anonymisiert zur Verfügung gestellt worden waren. Diese Daten wurden in Hinsicht auf die gemeldeten Fälle von Air Rage, die Flugklasse, den Gate-Standort, die Flugzeugverspätungen und die Reisedistanz analysiert.

Im Flugzeug spiegelt sich die Ungleichheit in zwei Formen wider: räumlich und situativ. Die räumliche Ungleichheit resultiert daraus, dass die Passagiere auf getrennte Teile der Kabine aufgeteilt werden. Situative Ungleichheit hingegen entsteht, wenn man ständig an seinen Status erinnert wird: Zum Beispiel, wenn Economy-Flieger wie oben erwähnt auf dem Weg zu ihren Plätzen zuerst an der First Class vorbei müssen.

Anzeige

Das Forschungsteam fand heraus, dass die Fälle der Air Rage unter Economy Passagieren um fast 400 Prozent häufiger auftraten, wenn es an Bord auch den First Class Service gab.

Economy-Gäste neigten auch eher zu Gefühlsausbrüchen wie Angst oder Unruhe, während die First Class Passagiere öfters streitlustig und wütend waren.

Wie die Ergebnisse der Studie nahelegen, verschlimmern Maschinen, an denen es nur vorne einen Einstieg gibt, die räumliche Ungleichheit zusätzlich. Fälle der Air Rage an Bord von solchen Maschinen häuften sich um einiges mehr, als in Flugzeugen, in die Passagiere sowohl von vorne als auch mittig einsteigen konnten. In Flugzeugen mit einem einzigen Eingang war die Air Rage im Economy-Abteil um 200 Prozent höher, und bei den First Class-Reisenden, die von den Drängeleien offensichtlich um einiges genervter waren als die Gäste im Economy Bereich, um sagenhafte 1.100 Prozent höher.

Laut DeCelles stellen Individuen aus sozial höheren Klassen häufig abfällige Vergleiche mit den weniger Privilegierten an, sobald sie an ihren Elite-Status erinnert werden. Dies äußert sich in egoistischem und verächtlichem Verhalten. Die Forscherin vermutet, dass dies der Grund ist, warum bei den First Class-Fliegenden ein so rasanter Anstieg in störendem Verhalten zu verzeichnen ist, wenn sie sich dazu gezwungen fühlen, Economy Passagiere anzuerkennen.

Ganz offensichtlich wird der Klassenkampf auch über den Wolken ausgetragen, und jedem, der schon mal in der Economy Klasse geflogen ist, ist diese Tatsache höchstwahrscheinlich nicht neu. Doch wie die Studie nahelegt, gibt es einige Maßnahmen, die Fluggesellschaften treffen können, um die von den Klassenunterschieden ausgelösten Streitereien einzudämmen.

„Es können verhaltensbezogene Lösungen angewandt werden, und mehrere Airlines experimentieren bereits mit unterschiedlichen Boarding-Modellen und doppelten Gates", sagte DeCelles. „Trotzdem kann man nicht alle Unterschiede komplett abbauen: Vorhänge als Raumteiler, begrenzt zugängliche Toiletten und selbst der Duft frisch gebackener Kekse aus der ersten Klasse können die Leute an ihren sozialen Status erinnern."

Die Hauptaussage der Studie ist demnach: Je unbequemer die Sitze und je teurer die Flüge, desto höher der Grad der Air Rage. Wir werden also alle irgendwie damit zurecht kommen müssen, dass es auch beim Fliegen zu Ungerechtigkeiten kommt. Vielleicht hilft es, zu bedenken, dass wir alle privilegiert sind, uns überhaupt den Luxus des Fliegens leisten zu können. Und wen es tröstet: Egal, wie bequem die Ledersitze in der ersten Klasse auch sein mögen, die Internetverbindung während des Flugs ist noch immer überall an Bord gleich schlecht.