„Viele Deathcore-Bands sind nur noch abgedreht hart, es ist widerlich“—Suicide Silence im Interview
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Interview

„Viele Deathcore-Bands sind nur noch abgedreht hart, es ist widerlich“—Suicide Silence im Interview

Die Deathcore-Band Suicide Silence wird gerade dafür gehasst, dass ihr Sänger Eddie Hermida jetzt clean singt. Wir haben uns mit ihm über das negative Feedback auf ihre neue Single und den Stillstand des Genres unterhalten.

Es gibt wenige Bands, die den Sound, das Auftreten und den Style von Deathcore so geprägt haben wie Suicide Silence aus Kalifornien. Vor allem ihr Sänger Mitch Lucker tat mit seiner erbarmungslos verzerrten Stimme und seiner ungestümen Energie auf der Bühne alles, um seine Band zu einem der größten Vertreter des Genres zu machen. Ein Genre, das oft verschrien wurde, nur ein Marketing-Gag zu sein, der sich schon nach dem ersten Erzählen erschöpft hat. Und tatsächlich gab es in dieser brachialen Mischung aus Deathmetal und Metalcore seit dem Aufkommen Mitte der 00er keine echte Innovationen mehr. Die Breakdowns wurden eben noch stumpfer, die Blastbeats schneller, die Texte und Atmosphäre düsterer, die Screams höher, die Growls tiefer und die Produktionen perfekter auf Brachialität poliert.

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2012 verstarb Lucker bei einem Motorradunfall. Die Band entschloss sich trotzdem weiterzumachen und fast ein Jahr später wurde Eddie Hermida als neuer Sänger bekanntgegeben. Fans seiner alten Band All Shall Perish (noch so eine Deathcore-Pionier-Band) waren darüber genauso wenig erfreut, wie die Lucker-Fans, die ihr Idol nicht ersetzt sehen wollten. Als dann 2014 das erste Suicide Silence-Album mit Hermida am Gesang erschien, könnten sie sich bestätigt gefühlt haben. Denn das war nur ein solides Deathcore-Release, All Shall Perish in simpel oder eben Suicide Silence mit einem anderen Typen.

2016 gingen Suicide Silence wieder ins Studio, diesmal mit dem Produzenten Ross Robinson. Er, der schon verflucht erfolgreich mit Korn, Slipknot, Sepultura und Limp Bizkit zusammengearbeitet und sich damit stolz als Architekt des Nu Metal bezeichnen kann, sollte nun also aus Suicide Silence mehr machen als eine Mitch Lucker-Homage-Kapelle. Die erste richtige News, die dann über die Feeds prasselte, war, dass Eddie größtenteils clean singen würde—verdammt untypisch für den traditionsbewussten Deathcore. Dementsprechend groß war die Entrüstung, die in echten Frust und Häme umschlug, als später die erste Single „Doris" veröffentlicht wurde. Der Song offenbarte eine rohe, fast schon verwaschene Produktion und natürlich Eddie, der nicht nur clean, sondern sogar mit Kopfstimme sang und auch sonst weniger dominant vor sich hin keifte und grunzte, sondern eher ungestüm dreckig schrie. Der Dislike-Balken wurde unter dem Video immer länger, die Kommentare immer fieser und die Deathcore-Meme-Seite hatte alle Hände voll zu tun, fleißig Emmure und Attila gegen den neuen verhassten Vertreter des Genres auszutauschen.

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Lange gab es nicht mehr so viel Aufregung um ein Metal-Album, also haben wir natürlich mit Eddie geredet und ihn direkt auf das überwältigend negative Feedback auf „Doris", seine Entscheidung, so viel clean zu singen und den Nu Metal-Vibe des vielleicht wichtigsten Deathcore-Albums seit Langem zu sprechen:

Noisey: Die erste News, die ich über euer neues Album wahrgenommen habe, war die Aussage, dass zu 70 % clean gesungen wird. Warum habt ihr ausgerechnet diesen Fakt als Feature herausgestrichen, um das Album zu promoten?
Eddie Hermida: Das war nur etwas, was Alex [ Anm.: Alex Lopez, Drummer von Suicide Silence] gesagt hat und wovon dann jeder gesprochen hat. Die Leute haben das ausgeschlachtet, was cool für mich ist, wenn sie dadurch dieses Stück Kunst hören.

Trotzdem muss ich sagen: Es war keine Absicht, unbedingt  70 Prozent des Albums clean zu singen. Das hat einfach die Musik verlangt. Ehrlich gesagt, sind es sogar mehr als 70 Prozent … Das überhaupt in Prozenten anzugeben, ist für mich ein bisschen dumm.

Es war eine seltsam genaue Zahl.
Ja, aber wir sind keine Taschenrechner, haha.

Wie hast du gedacht, würden die Fans über diese News reagieren?
Ähm, ich habe keinen Fick gegeben, hahaha. Wenn ich das tun würde, würde das Album sucken. Dann hätte ich ein Album wie You Can't Stop Me gemacht. Bei dem Album war ich wirklich sehr darauf bedacht gewesen, was die Fans darüber denken würden—weil ich der Neue war. Jetzt fühlte ich mich in der Band wohler und wollte mehr ausprobieren. Die Band wollte es auch, also haben wir das gemeinsam durchgezogen. Es war an der Zeit, mal was anderes zu machen. Die Band hat vier Deathcore-Alben veröffentlicht. Jetzt wollte man sich mal aus dem gewohnten Rahmen raus bewegen.

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Kannst du dir erklären, warum cleaner Gesang so ein großes Thema in der Deathcore-Szene ist?
Vielleicht ist es noch ein so großes Ding, weil ich der Neue bin. Oder weil Suicide Silence noch nie gesungen haben. Vielleicht, weil Suicide Silence etwas anderes für Leute bedeutet … Ich weiß es wirklich nicht. Ich selbst begrüße es, wenn Bands einen neuen Weg gehen und mal was anderes ausprobieren.

Da auf den letzten Alben von Whitechapel oder Parkway Drive ja auch erstmalig melodisch gesungen wurde, hätte ich gedacht, dass das inzwischen mehr akzeptiert wird.
Absolut nicht. Bei beiden Bands haben Kids auch Scheiße geredet. Jetzt, wo „Doris" draußen ist, ändern sie ihre Meinung und sagen, wie sehr sie das bei Whitechapel geliebt haben, aber das jetzt bei uns hassen. Für mich ist das sehr transparent. Die Wahrheit ist doch: Wenn du etwas anders machst, ist die Mehrheit der Leute sehr besorgt. Dann schreiben sie das in ihre kleinen elektronischen Tagebücher und posten es, damit es jeder sehen kann.

Nicht nur, dass du jetzt clean singst, auch deine Screams klingen total anders. Warum das?
Ross hat gesagt: „Ich will, dass du so singst, dass es deiner Stimme wehtut." Und das habe ich. Ich habe mein ganzes Training vergessen, bin aus der Komfortzone getreten, die meine Screams geschützt hat und habe mir zwei Monate lang selbst wehgetan.

Diese Woche habt ihr eure erste Single „Doris" veröffentlicht. Warum ausgerechnet diesen einen Song?
Hast du die Reaktionen gesehen?

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Oh ja, natürlich.
Deswegen. Um denjenigen, die uns am ehesten verurteilen werden, den Sicherheitsgurt zu nehmen. Um sofort einen Spiegel vor jeden zu halten. Wir wollen, dass du dich selbst anschaust und sagst, wie du dich fühlst. Dafür ist der Song perfekt. Die ersten gesungenen Noten, die du hörst, sind unbequem, unsicher, nicht produziert, sondern nur ein Mann, der eben im Falsett singt. Es zwingt dich dazu, dass du Stellung beziehst. Entweder hasst du es oder du liebst es. Wir wollten alle sofort schocken. Das hat „Doris" geschafft.

Der Metal-YouTuber Jared Dines hat dieses Falsett in einem Video ausgiebig verarscht.
Ja, ich habe das Video erst heute gesehen, es ist echt witzig. Ich gucke viele seiner Videos, er ist sehr on point, er versteht Deathcore und was daran nervt. Ich liebe die Gesichter, die er macht und manches, was er über „Doris" sagt, stimmt ja auch. Es ist eben seine Realität. Wenn wir ihn berührt haben, haben wir was richtig gemacht.

Aber als euer Video draußen war und die ganzen negativen Kommentare, Dislikes und Memes auf euch einprasselten, habt ihr da nicht mal kurz gedacht: „Fuck, das war keine gute Idee"?
Ich habe niemals gedacht, dass das schlecht ist. Es ist so unglaublich, wenn du Leuten diesen Song zeigst, bekommst du sofort ihre Reaktion zu spüren. Entweder „Gott, das ist das Beste, ich liebe euch, macht weiter so, Jungs" oder „Oh mein Gott, das ist schrecklich, ich hasse es, ihr seid schrecklich, bringt euch um!" Weißt du, was sie nicht sagen? „Yeah, das ist OK." Sie sagen nicht: „Joah, das ist halt nicht so meins." Du bekommst sofort eine starke Reaktion und das ist es, worum es bei Musik geht—wenn du dir etwas zum ersten Mal anhörst und es dich woanders hin entführt und dich berührt.

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Aber wie ich mich gefühlt habe? Ich bin aufgestanden und habe gesagt: Das ist perfekt, das ist genau das, was wir wollten.

Hast du den Song denn vorher Freunden gezeigt, die dann bezweifelten, dass das alles eine gute Idee wäre?
Es unseren Freunden zu zeigen, war das Schlimmste, was wir hätten machen können. Die Reaktionen meiner Freunde haben mir mehr Angst gemacht, als es zu veröffentlichten—weil es jeder geliebt hat. Es war so, als würden wir ihnen einfach eine neue Platte zeigen. Es gab nicht einen einzigen, der daran zweifelte. Nicht einen! Das machte uns wirklich nervös. Wir wollten nicht, dass Leute es hassen, aber wir wollten, dass sie davon geschockt werden. Wir wollten Marilyn Manson sein, als er sich in den gleichen Klamotten zeigte, die David Bowie in „Starman" trug. Er hat das verdammte Spiel verändert. Er hatte keine Angst, sein Ding durchzuziehen, in einer Zeit, wo Leute dafür getötet wurden, homosexuell zu sein. Der größte Popstar des Punkrock zeigte sich in Frauenkleidern—das war ein verdammter Schocker. Wir wollten das auch.

Ihr hattet mehr Angst davor, dass es Leuten ganz gut gefällt als dass sie es hassen?
Ja, hundertprozentig.

Was für ein Album wolltet ihr denn überhaupt machen?
Wir wollten ein Album, dass wie eine Band klingt, die seit zehn Jahren spielt und Scheiße gefressen hat. Eine Band, die was Neues versucht, die ihren Schmerz, ihre Qual und Verzweiflung darüber, was unsere Musikwelt heute ist, rauslässt. Die mangelnden Bemühungen der Fans und Bands. Die Hässlichkeit der Musikindustrie. Die Folter, deinem Herz folgen zu wollen, aber gesagt zu bekommen, dass man nicht cool oder gutaussehend genug ist. Das ist alles widerlich und unser Album soll das repräsentieren. Es reicht.

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Dadurch, dass das Album so dreckig und roh ist, scheint es fast wie ein Gegenentwurf zum überproduzierten Deathcore, wo die Drums nur noch aus dem Computer kommen.
Wenn du jemanden sagst, dass du ihn hasst, dann denken andere, dass du wirklich ein großes Problem mit dieser Person haben musst. Aber um jemanden hassen zu können, musst du ihn auch lieben. Es ist das gleiche Gefühl. Da das ganze Genre durch Düsternis, Hass, Trauer und Depression definiert wurde, sagt jeder doch nur, dass er eigentlich glücklich sein und geliebt werden will. Davor haben Leute Angst und das ist es, was unser Album ausmacht. Es ist kein Hass, sondern hundertprozentige Liebe. Und die kannst du nicht durch künstliche Sounds rüberbringen, kannst dein Herz nicht durch einen Computer sprechen lassen.

In den letzten zehn Jahren hat sich in dem Genre ja auch nichts groß getan. Die Platten wurden nur immer glattpolierter.
Viele Deathcore-Bands sind nur noch abgedreht hart, es ist widerlich. Manchmal haut es dir noch in den Magen und ich respektiere es, aber gleichzeitig sehe ich, wie es scheitert. Ich war bei vielen Konzerten von jungen Deathcore-Bands, die teilweise nicht mal mehr „Deathcore" genannt werden möchten, weil du als Deathcore-Fan plötzlich ein Szene-Opfer oder eine Pussy bist, die keine echte Musik mag.

Es ist ein Stigma, das wir uns selbst geben. Wir geben Deathcore ein neues Leben, wir verändern es nicht, wir zeigen den Leuten, dass es alles sein kann. Deathcore ist Metal, Deathcore ist Hardcore, Deathcore ist Punkrock. Deathcore ist Pop, Deathcore ist Rock'n'Roll, Deathcore ist die Kulmination aller Musik. Man nennt es doch nur Deathcore, um sich mit irgendwas zu identifizieren. Allein das sperrt dich und deine Ideen schon in einen Käfig. Sei einfach frei, Alter.

Die Platte klingt echt nicht mehr nach dem herkömmlichen Deathcore. Es hat eher einen Deftones/Korn-Vibe. Woher kommt dieser Nu Metal-Einschlag?
Als wir alle so 11, 12, 13 Jahre alt waren, war das die härteste Musik für ein Kind, das in einem Haushalt gelebt hat, wo die Eltern nicht viel über harte Musik wussten. Das waren keine Punkrocker, eher noch Hippies. Sowas wie die Beatles waren das Maximum der Härte für die. Ich verliebte mich damals in die Stone Temple Pilots, Alice in Chains oder eben Korn und Metallica. Korn und Deftones waren Bands, die absolut durchdrehten. Später wurde das mit Cannibal Corpse und Suffocation gemischt und hat das erschaffen, was ich heute bin und wo ich musikalisch hinwill. Ob wir diesen Sound bewusst gesucht haben? Nein. Wir haben einfach gemacht, haben mit Ross Robinson aufgenommen, haha. Du kannst dich nicht dagegen wehren, auf die Goldplatten von Slipknot, Korn oder Sepultura zu gucken und davon ein wenig beeinflusst zu werden. Das waren eben meine Lieblingsalben.

Ist es nicht ein wenig seltsam, dass ihr euren Sound so drastisch geändert habt, euer Album aber Suicide Silence nennt?
Genau deswegen nennen wir es so. Es gibt eine alte EP, die auch so hieß. Die habe ich damals gehört und mich in diese Band verliebt. Als Mitch gestorben ist, hat er sich selbst aus Suicide Silence genommen, die Band ist heute eine andere. You Can't Stop Me war das letzte Suicide Silence-Album mit Mitch, das hier ist das erste Album mit mir, Eddie Hermida.

Das letzte Album war also eher ein Weitermachen als ein richtiges neues Album?
Es war eine Homage an Mitch, um ihm Respekt zu zollen. Das hier ist jetzt ungefilterte, unverzeihliche Realität in dein Gesicht. Das ist Suicide Silence, ob du willst oder nicht.

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