FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Warum wir in Österreich noch immer eine Gedenkkultur brauchen

Ja, der Weltkrieg ist lange her. Ja, die Opfer sind bald alle tot. Ja, Entnazifizierung war damals aus praktischen Gründen nötig. Nein, das heißt verdammt noch mal nicht, dass Österreich heute keine Gedenkkultur mehr braucht.

Foto via VICE Media

Vor kurzem gab es mal wieder einiges an Aufregung wegen einem FPÖ-Politiker. Mario Eustacchio, Chef der Grazer FPÖ, will 10 Gedenktafeln für die Opfer des Holocaust abmontieren. So ein gewagter Schritt bleibt im Jahr 2014 natürlich nicht ohne Shitstorm, der Link zum Artikel über die Pläne ging dieser Tage ordentlich durch Facebook.

Während die „klassischen“ Linken und Rechten natürlich ihre naheliegenden Meinungen dazu vertraten, kam zumindest in meinem Feed auch von Leuten, die sicher nicht der rechten Szene oder Gesinnungsgemeinschaft angehörig sind, teilweise Zustimmung. Diese wurde begründet mit den altbekannten Argumenten „Die Täter sind eh schon gestorben“, „Wieso muss ich immer an Verbrechen erinnert werden, die ich nicht begangen habe“ und natürlich dem Klassiker „Lasst’s mich in Ruhe mit dem Scheiß“.

Anzeige

Ich möchte dem hier einige Worte entgegenstellen und erklären, warum Österreich weiterhin eine lebhafte, ja sogar eine noch stärkere Gedenkkultur braucht.

Weil es nicht um uns geht, sondern um die.

Foto via VICE Media

Ja, natürlich versaut es auch mir die Stimmung, wenn ich bei einem seltenen Sonntagsspaziergang durch den Zweiten kurz an einem der „Stolpersteine“ stehen bleibe, den Text drauf lese und fünf Sekunden meiner kostbaren Zeit mit Gedanken an irgendeine stinknormale Familie, die unter barbarischen Umständen ermordet, nein vernichtet, wurde, verschenken muss. Sicher könnte ich mir spannendere Unterhaltung im Fernsehen vorstellen als die 50. Holocaust-Doku—man weiß schließlich eh, wie sie ausgeht. Auch brauch ich keine Belehrungen, hab schon verstanden, was da Furchtbares passiert ist und halte mich selbst auch für relativ faschismusresistent. Und ihr seht das höchstwahrscheinlich ganz genau so.

Aber es geht hier auch gar nicht um uns. Es geht um die. Es geht um die jungen Männer, die mit Paintball-Waffen im Wald stehen und voller Stolz Krieg spielen. Es geht um die Kinder, die mit leuchtenden Augen die Orden vom Opa anstarren und nebenbei die Geschichte vom „Schandfrieden von Versailles“ hören und lernen, dass ja die Beschäftigungspolitik damals so super und im dritten Reich zumindest noch das Familienbild in Ordnung war.

Diese jungen Männer und Frauen sind es, die dringend in die ehemaligen Vernichtungslager geschleppt werden müssten, die einen ordentlichen Geschichtsunterricht brauchen und denen man gar nicht genug Zeitzeugenberichte präsentieren kann—müsste man zumindest meinen.

Anzeige

Aber die Realität ist eine andere. An Exkursionen ins KZ wird einfach nicht teilgenommen, die Eltern entschuldigen einen eh, im Geschichtsunterricht wird nicht hingehört (so wie in den anderen Fächern auch) und wenn mal Holocaust-Überlebende im Ort sind, geht man einfach nicht hin oder stört vielleicht gleich noch die Veranstaltung als Gruppe.

Deshalb braucht es solche Installationen, solche kleinen Störbilder im öffentlichen Raum, die den Blick herausfordern und denen man sich nicht ganz so einfach entziehen kann. Wenn nur ein Jungfaschist nach der Lektüre einer Infotafel an einer Straßenecke anfängt, sich Gedanken über seine Einstellung zu machen, ist schon viel erreicht.

Weil die österreichische Gedenkkultur von Anfang an scheiße war.

Foto via VICE Media

Nach dem Krieg (beziehungsweise sogar noch vor Kriegsende) war man in Österreich sehr bemüht, die bekannte Legende vom ersten Opfer des bösen Nazideutschlands zu verbreiten. Nicht nur im Ausland, um nicht mit den bitterbösen Deutschen in einen Topf geworden zu werden, sondern vor allem auch im Landesinneren. Man hatte ja ein Land wieder aufzubauen. Deshalb waren plötzlich alle Täter irgendwie „Opfer“, wurden im Schnellverfahren entnazifiziert und schleunigst in die Nachkriegsordnung integriert. Dieses Verfahren hatte durchaus seine Vorteile—wirtschaftlich war Österreich binnen kürzester Zeit über den verheerenden Krieg hinweg—, jedoch hatte diese „Lebenslüge“ der zweiten Republik schreckliche Folgen für die Einstellung der Österreicher ihrer eigenen Geschichte gegenüber.

Anzeige

Wer kennt ihn nicht, den grandiosen Satz „Jetzt reicht’s dann amoi mit de Nazi-Gschicht’n“? Wer hatte während seiner Jugend nicht im Umkreis von 10 Kilometern ein Kriegsdenkmal des Kameradschaftsbundes stehen, an dem selbstverständlich voll Stolz das Krückenkreuz prangt?

Dieser modernde Mief, der unter allem liegt, vergiftet das ganze Land und macht es möglich, dass erst ein Haider, dann ein Strache diese tiefsitzenden Überzeugungen, dieses „Wir werden ungerechtfertigt unterdrückt!“ ausnutzen, um damit ihre eigenen Komplexe mit der Vergangenheit auszuleben.

Gerade Haider war ein Paradebeispiel für das väterlicherseits vererbte Leugnen, für das Spielen mit Zeichen und Symbolen, für das konspirative Augenzwinkern. „Weißt eh wie es gemeint ist, wenn ich nach dem Anstoßen das Glas nochmal lautstark auf den Tisch knallen lass …“

Weil Antisemitismus nach Kriegsende nicht einfach verschwunden ist.

Foto via VICE Media

Wenn der gerade erwähnte Herr Haider von der „Westküste“ schwadronierte, wenn Strache auf seine Facebook-Seite eine alle Grenzen des guten Geschmacks überschreitende Karikatur postet, ist die Aufregung zwar unter den aufgeklärteren Bürgern des Landes groß, ihre Anhänger aber feiern sie als Helden, weil sie endlich das aussprechen, was sich ein nicht unerheblicher Teil der Wirtshaushelden auch denkt. „Immer drauf auf die scheiß Juden“.

Antisemitische Vorurteile sind gerade wieder modern, erhalten Antrieb durch den Gaza-Konflikt und verbreiten sich gerade durch soziale Netzwerke rasend schnell. Ich habe in den letzten Tagen so viele unvorstellbare Gruselgeschichten über die furchtbaren Gräueltaten der Juden an den Palästinensern gelesen, dass ich nicht mehr weiß, wohin damit. Der Gaza-Konflikt soll hier nicht Thema sein—es sei nur gesagt, dass ich nicht glaube, dass zum Beispiel von Israel systematisch palästinensische Kinder gevierteilt werden—oder dass die furchtbaren Kriegsgeschehnisse eine spezifisch israelische oder jüdische Angelegenheit sind. Ja, solche Berichte gehen auf Facebook herum und werden von der Lederhosen-Fraktion fleißig verbreitet. Der Schritt zum Brunnenvergifter-Mythos ist da nicht mehr weit.

Anzeige

Weil den Nazis entschieden entgegengegangen werden muss.

Der „Happy Holocaust“-Grill der NPD. Foto von VICE Media

Während man in Österreich schwer damit beschäftigt war, sich irgendwie aus der  Misere herauszuwinden, fand in Deutschland ein deutlich konsequenterer Selbstreinigungsprozess statt. Dort ist es heutzutage üblich, dass sich ein breiter, gesamtgesellschaftlicher Konsens den Nazis entgegenstellt. Wenn dort ein Nazi-Aufmarsch angekündigt ist, kann es schon mal vorkommen, dass sich dort Anhänger aller Parteien des Spektrums, bis hin zur CDU, auf der Sitzblockade treffen und gemeinsam verhaftet werden. In Österreich ist das unvorstellbar. Hier wird mehr über die Störung der heiligen Ruhe in der Wiener Innenstadt debattiert, als über die unsägliche Ideologie, gegen die beim Akademikerball demonstriert wurde.

In Österreich kommt eher ein Demonstrant ins Gefängnis, als ein Nazi, der einen türkischen Kulturverein attackiert. In Österreich wird einfach mal über einen großen Teil der Hauptstadt Ausnahmezustand verhängt, damit eine Ansammlung europäischer Rechter entspannt tanzend ein Zeichen setzen kann. Leute wie Strache, Graf und ihre Freunde, die liebreizenden Le Pens, tanzen mit stolzgeschwellter Brust in der Hofburg und keiner kann oder will diese Schande für die Nation verhindern.

Solche Auswüchse werden natürlich durch ein paar Tafeln nicht verhindert—aber zumindest sind diese ein sichtbares Zeichen für (oder eben gegen) die Rechten. „Hier könnt ihr euch nicht unter dem Mantel des Vergessens verstecken—wir wissen genau, welcher verbrecherische Geist in euch wohnt“. Und selbst wenn es sie nur nervt, immer wieder Informationen mitzukriegen und neu wegleugnen zu müssen, ist schon was erreicht. Ein genervter Nazi ist mir nämlich lieber als ein glücklicher.