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​Dieser Typ will uns davon überzeugen, dass der Nationalsozialismus unschuldig ist

Ein Typ will Österreich davon überzeugen, dass es keine Nazis gibt. Mit Plakaten von Hakenkreuzen und wirren Theorien.
Screenshot: VICE Media

Seit einigen Tagen macht auf Twitter ein Bild die Runde, auf dem ein Wahlplakat der Grünen im niederösterreichischen Traiskirchen zu sehen ist, das mit einem Hakenkreuz und einem einseitigen Schreiben überklebt wurde.

Über dem Hakenkreuz (genau genommen: dem Swastika-Symbol) steht: „Der Nationalsozialismus ist unschuldig!" In dem Schreiben liest man weiter: „NAZIS HAT ES IN WAHRHEIT NIE GEGEBEN, diese nannten sich nur so. Die Verbrecher müssen (…) als VERBRECHER AM NATIONALSOZIALISMUS bezeichnet werden, denn der NATIONALSOZIALISMUS IST UNSCHULDIG, wurde selbst missbraucht." Dem Urheber zufolge geht es hier also um das „Verbrechen am Wort", das unsere Welt an diesen Begriffen und dem Hakenkreuz begeht.

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#wahlkampf on niederösterreich: in #traiskirchen werden hakenkreuze auf plakate der @Gruene_Austria geklebt. pic.twitter.com/YpeTtpBnip
— michael fiedler (@fmfdlr) 18. Januar 2015

Das Schreiben ist von einem Jerome Himmelblau unterschrieben, mit einem Hinweis auf mögliche Rückfragen ist eine Handynummer angegeben. Als ich bei der Nummer anrufe, und Herrn Himmelblau frage, welches Anliegen er mit den Hakenkreuzen ausdrücken will, die er nach eigenen Aussagen in mehreren Gemeinden und auf Plakaten aller Parteien angebracht hat, verbessert er mich erst einmal, und will mir klar machen, dass es sich bei dem Symbol nicht um ein Hakenkreuz handelt, sondern um ein Swastika—und ich solle bitte meinen Wissensstand ändern.

Herr Himmelblau erklärt mir die Herkunft des Symbols: Es ist ein 6.000 Jahre altes archäologisches Symbol, und sollte eigentlich zum Weltkulturerbe ernannt werden. „Das Symbol ist seit der Nazizeit im Besitz von Verbrechern und das muss sofort geändert werden. 1947 war das Hirn von den Leuten vergleichbar mit einem Turnschuh. Heute weiß man aber mehr und man muss sich den Tatsachen stellen", sagt Herr Himmelblau.

Generell verwenden wir laut Herrn Himmelblau viele Begriffe falsch—auch „Nazis". Denn eigentlich gibt es keine Nazis, sondern nur Verbrecher am Nationalsozialismus. Diese Menschen haben den Nationalsozialismus, der laut Herrn Himmelblau ja eigentlich nichts Verkehrtes ist, missbraucht.

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Auch das Außenministerium habe ihm auf Nachfrage bestätigt, dass der Nationalsozialismus unschuldig sei. Auf Nachfrage beim Außenministerium, ob das denn tatsächlich so sei, bekomme ich ein amüsiertes „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen" mit anschließendem Hinweis, dass ich darüber nachdenken solle, Herrn Himmelblau anzuzeigen, zu hören. Die geltenden Verbotsgesetze sind für Herrn Himmelblau ebenfalls unzulässig und widersprechen der Menschenrechtskonvention. Sie sollen zwar nicht abgeschafft, aber angepasst werden. Er sagt, der österreichische Staat könne sich nicht länger gegen die Wahrheit wehren. Seine Unternehmung sieht er als seine Pflicht, „da er dem Staate Österreich nicht nur sein Sein sondern auch alles andere Wunderschöne zu verdanken hat (…)."

Was mich an der ganzen Sache und am Anliegen des I-Tüpfel-Reiters aber dann doch ein bisschen irritiert, ist die Tatsache, dass er sein Swastika (das er zwar mit Punkten versehen hat, wie es auch beim alten hinduistischen Symbol der Fall ist) mit weißer Umrandung und rotem Hintergrund gestaltet hat—genauso, wie es die Nazis (pardon, Verbrecher am Nationalsozialismus) gemacht haben.

Als ich ihn frage, warum er denn genau diese Farben und Symbolik gewählt hat, wo er doch das Symbol weg von der nationalsozialistischen Konnotation bringen möchte, ist er verärgert und fragt mich, ob man denn nun keine weißen Kreise und kein Rot mehr verwenden dürfe, nur weil es diese Verbrecher gemacht haben.

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Kurz nach dem Gespräch erhalte ich von Herrn Himmelblau eine Mail, in der er mir erzählt, dass er schon mit mehreren Medien gesprochen hat, aber im Anschluss niemand ein Interview mit ihm veröffentlicht hat. Er kann sich das nur so erklären, dass die betreffenden Pressehäuser nicht eigenständig sind und die Journalisten in ihrer Illusion von freiem Journalismus gefangen seien.

Ob das Anliegen von Jerome Himmelblau Anklang findet oder einfach nur höchstgradig absurd ist, wird sich noch zeigen (sofern man diese Entscheidung ganz demokratisch der Öffentlichkeit überlässt).

Immerhin will uns hier jemand davon überzeugen, dass Nationalsozialismus mit all seinen dazugehörigen Symbolen eigentlich super wäre, wenn es da nicht diese kleine, unwichtige Tatsache namens Zweiter Weltkrieg gäbe, aufgrund derer einfach nur ein paar Begrifflichkeiten und Symbole falsch besetzt sind.

Wenigstens ist Herr Himmelblau selbst am allermeisten von seiner Idee überzeugt—und noch dazu ziemlich hartnäckig. Einer der letzten Sätze in seinem Brief, den er an verschiedene Ministerien geschickt hat, bringt den grotesken Herrn Himmelblau auf den Punkt: „Durch meine Hartnäckigkeit werden Sie feststellen, dass es ein sehr langes Jahr 2015 werden kann, doch dieses im Namen von Wahrheit und Gerechtigkeit."

Verena auf Twitter: @verenabgnr