Mit Tua auf dem Ultralightbeam Richtung Perfektion

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Mit Tua auf dem Ultralightbeam Richtung Perfektion

Eigentlich ist es unmöglich, ein Tua-Konzert in Worte zu fassen. Wir probieren es trotzdem.

Du weißt, dass Herbst ist, wenn Grau wieder auf Dauerschleife läuft. Und du weißt, dass Grau eines der herausragendsten Alben ist, das Deutschrap je hervorgebracht hat, wenn es draußen 30 Grad heiß ist, die Sonne erbarmungslos alles niederbrennt, im Büro Eis verschenkt wird und du trotzdem als musikalische Untermalung dieser idyllischen Sommerszene Grau hörst. Ein Album, das nicht unbedingt durch seine leichtfüßige Gute-Laune-Hopsasa-Stimmung auffällt. Grau ist düster, komplex , sperrig und gleichzeitig in seiner Sperrigkeit so rund und perfekt wie ein Thaleskreis—genau wie Tuas Kosmos-Tour, die ich gestern im Berliner Bi Nuu besucht habe. Ein Erlebnisbericht und eine Liebeserklärung:

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Es gibt wirklich wenige Dinge, die so belastend sind wie eine volle Blase, wenn man sich in einer Warteschlange aufhält. Ein Penner rotzt mir vor die Füße und fragt mich anschließend nach Kleingeld. Herzlich willkommen am Schlesischen Tor bei dem Berliner Konzert von Tuas Kosmos-Tour! Bei immernoch sehr schwülen Spätsommertemparturen trete ich von einem Fuß auf den anderen und verfluche meine Kleiderwahl (eine enge Highwaist Jeans war sowohl hinsichtlich der vollen Blase und der Temperaturen keine gute Idee). Ich denke an all die Momente, in denen ich es nicht zu schätzen wusste, eine Toilette in der Nähe zu haben oder keine Hose anzuhaben (nein, das stimmt nicht, diese Momente habe ich stets zu schätzen gewusst). Kennt ihr noch diese Szene in Donnie Darko, in der Jake Gyllenhall plötzlich diese röhrenartigen Strahlen aus den Brustkörben der Menschen hervortreten sieht, die anscheinend zeigen, wohin sich die betreffende Person in der Zukunft bewegt? Meine Röhrenstrahlen zeigen sehr deutlich in Richtung Clubtoilette. Als mir die Kassendame den Stempel aufdrückt, gibt es jedoch einen schlagartigen Richtungswechsel meiner Röhrenstrahlen. „Am Anfang merkt man noch nicht viel davon. Man hat eines Tages einfach keine Lust mehr, irgendetwas zu tun", das bekannte Momo-Zitat, das Tuas Grau eröffnet, erklingt durch die Boxen und mir fällt etwas sehr viel Belastenderes ein als eine einfache volle Blase: mein erstes Tua-Konzert auf einer Toilette zu beginnen. Also scheiß auf's Klo, ab zu Tua!

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Die Bühne ist nur spärlich beleuchtet, ein großer Scheinwerfer wirft einzelne starre Strahlen durch den Raum. Tua sitzt am rechten Rande der Bühne hinter einem Keyboard und einigen anderen Musikmaschinen, deren Namen ich nicht kenne, die ich aber auch nicht richtig erkennen kann, da Tuas Gesichtsfeld von einer einzelnen nackten Glühbirne überstrahlt wird. Der Starplatz in der Mitte der Bühne überlässt Tua dem Schlagzeuger, zu dessen linker Seite am Rand der Bühne ein dritter Mann mit E-Gitarre/Keyboard/Musikmaschinen die musikalische Dreifaltigkeit komplettiert. Im Endeffekt creept Tua also irgendwo am Rande der Bühne im Schatten des apricotfarbenen Lichts der Glühbirne rum und ist kaum zu sehen. Muss er aber auch nicht. Ich fühle ihn, oder wie man im HipHop sagt „es". „Es regnet" setzt ein—meiner Meinung nach einer der krassesten Deutschraptracks, die je gemacht wurden.

A photo posted by Jonas (@_dayumn_) on Sep 13, 2016 at 12:44am PDT

Als ein Musiker, der viel zu talentiert und komplex ist, um sich von irgendeiner Masse—sei es nun der Mainstream oder sein eigenes Konzertpublikum—limitieren zu lassen, spielt Tua natürlich nicht die Originalversionen seiner alten Tracks, sondern neu arrangierte, weiterentwickelte Hybride.

Ich bin normalerweise kein Fan von Remixen. Der Moment, wenn dein Lieblingslied irgendwo gespielt wird und du dich schon voller Vorfreude auf diesen einen Tanzmove, diesen einen Einsatz oder diese ganz bestimmte Handbewegung einstellst und dann feststellen musst, dass du es hier mit einer choped and screwed Version deines Lieblingsliedes zu tun hast, lässt jedes Mal einen kleinen Teil meiner Seele zu einem Schwarm schwarzer Raben des Zorns verpuffen. Aber Alter! Diese „Es Regnet"-Version ist unglaublich gut. Oder auch die darauffolgenden Neuinterpreationen von Grau, der Raus EP, Evigilia, Stille, Stevia und ich hoffe, ich habe nichts vergessen. Und ja, sogar doubletimen tut Tua wieder und stellt mal eben dort, aus dem zurückhaltenden Schatten der kahlen Glühbirne, klar, dass er sämtliche Rapper Deutschlands musikalisch immernoch in selbigen stellt—auch nach Jahren des Rückzugs aus Rap.

Tuas Dauerstatus als Lieblingsrapper der Lieblingsrapper ist auch deutlich am Publikum zu erkennen. Noch nie habe ich auf einem Konzert dermaßen viele andere Musiker gesehen, die mit verklärtem Blick und glänzenden Augen gen Bühne starren. Tua kündigt an, den kommenden Track nur äußerst ungern zu spielen und beginnt mit „Ohne Titel". Im Raum herrscht eine Stimmung zwischen Beerdigung von Lady Diana und Niederkunft des Heiligen Geistes. Die Luft fühlt sich an, als wäre sie aus frisch gekochter Marmelade gemacht (ja, der Hosenbund drückt auch immer noch, falls es irgendwen interessiert), aber ich wage zu behaupten, dass jede Person in diesem Moment Gänsehaut hat. Ich glaube, dass sogar meine Blase gerade Gänsehaut hat.

Eine ähnlich sakrale Stimmung herrscht, als Tua das letzte Lied der Zugabe im Andenken eines verstorbenen Familienmitglieds spielt: „Moment". Tua spielt das Klavierthema in scheinbarer Endlosschleife. Die Crowd verwandelt sich in den Chor, Tua zum Priester, die Musik zur heiligen Schrift und es ist wohl der erste Moment, in dem ich einer Religion etwas abgewinnen könnte. Da kann man schon mal kitschig werden. Was in Wahrheit vermutlich nur einige kurze Minuten andauert, fühlt sich tatsächlich an wie ein Moment, der unendlich lang währt—und plötzlich vorbei ist. Ein kurzer Winker für das Publikum und ein zögerliches Hochreißen der Arme in die Luft und weg ist Tua. Um den fast schon unerträglichen Pathos dieses Konzertberichts zum Ende hin doch noch zu brechen, ist wohl der einzige Weg, ihn zu beenden, mit folgendem Satz: Endlich kann ich aufs Klo gehen.

A video posted by Nina Damsch (@ninasophiabettina) on Sep 12, 2016 at 11:37pm PDT