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Kommentar

Dieser CDU-Politiker will uns das Darknet wegnehmen – weil es uns zu gut geht

Nur in autoritären Staaten bräuchten Menschen das Darknet, deshalb können wir es in Deutschland ja verbieten, argumentiert Günther Krings. Finde den Fehler.
Günter Krings fordert eine Darknet-Regelung
Foto: imago | IPON || Code:  imago | phototek

Unser Demokratie funktioniert gerade super, deshalb brauchen wir keine Schutzmechanismen gegen eine Diktatur.

Wenn ihr jetzt "Hä?" denkt, ist euer Bauchgefühl korrekt: Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Es ist so sinnvoll wie die Feuerwehr abzuschaffen, weil es seit Monaten nicht mehr gebrannt hat. Es ist verdammt gefährlich – für uns alle.

Günter Krings, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, sieht das anders.

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Zumindest lassen sich seine Aussagen so interpretieren. Er sprach am Dienstag auf dem Europäischen Polizeikongress in Berlin und in seiner Rede ging es unter anderem um das Darknet. Also jenen berühmt-berüchtigten Teil des Internets, der nur über Anonymisierungstools wie den Tor-Browser aufgerufen werden kann.

Der CDU-Politiker möchte diesen Ort offenbar gerne abschaffen oder zumindest den Besuch strafbar machen: "Ich verstehe, warum das Darknet einen Nutzen in autokratischen Systemen haben kann", sagte Krings, "aber in einer freien, offenen Demokratie gibt es meiner Meinung nach keinen legitimen Nutzen. Wer das Darknet nutzt, führt in der Regel nichts Gutes im Schilde. Diese einfache Erkenntnis sollte sich auch in unserer Rechtsordnung widerspiegeln." Für ihn könnte eine Darknet-Regelung in Deutschland ein Bestandteil des geplanten zweiten IT-Sicherheitsgesetzes sein. Hierzu gibt es bislang nur ein internes Eckpunktepapier, in dem das Darknet offenbar bislang nicht erwähnt wird.

Nun ist bekannt, dass es im Darknet ziemlich dunkle Ecken gibt. Dort finden sich Schwarzmärkte für Drogen und Waffen, sogenannte Kinderpornografie, gehackte Daten und jede Menge andere illegale Inhalte. Aber das Darknet ist eben nicht nur ein Treffpunkt für Kriminelle. Aktivisten und Whistleblower nutzen es, um ihre Identität zu verschleiern, und staatlicher Zensur und Überwachung zu entgehen. Im Darknet gibt es Kunst, Kultur und Literatur. Edward Snowden, der auch über das Darknet den Kontakt zu Journalisten suchte, hätte es ohne dieses Netz schwieriger gehabt, die Welt über die wahnwitzigen Überwachungsprogramme der NSA zu informieren.

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Außerdem kann jeder mit dem TOR-Browser auch das normale Internet benutzen, und zwar anonym. Ohne Tracking, ohne, dass die eigene IP-Adresse zurückverfolgt werden kann. Politikerinnen und Sicherheitsbehörden finden das offenbar beunruhigend. Sie verteufeln das Darknet schon seit Jahren, gerade weil es sich schwer bis gar nicht kontrollieren lässt. Zuletzt gab es 2016 vermehrt Forderungen, etwas gegen das Darknet zu tun, nachdem bekannt wurde, dass der Attentäter von München seine Tatwaffe im Darknet erwarb. "Inseln der Rechtlosigkeit" nannte es damals die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann.

Lasst uns doch gleich noch das Grundgesetz abschaffen!

Die gute Nachricht: Technisch kann man das Tor-Netzwerk nicht so einfach abschalten. Das ist auch Sinn der Sache. Auch wenn die Forderungen nach einem Darknet-Verbot nicht neu sind – neu ist die Argumentation mit der freien, offenen Demokratie, die Günter Krings jetzt anführt: Wir leben in Deutschland in einer Demokratie und deshalb brauchen wir auch kein Darknet, weil sich dort dann ja eh nur Kriminelle tummeln.

Wie absurd Krings' Logik ist, wird deutlich, wenn man sie einfach weiter spinnt. In einer freien Demokratie muss niemand Geheimnisse haben – lasst uns also die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung abschaffen. Wir könnten auch die Versammlungsfreiheit verbieten, denn zufriedene Menschen demonstrieren ja nicht und es hat deshalb auch keinen "legitimen Nutzen". Und wie sieht's eigentlich mit dem Wahlrecht aus? Müssen zufriedene Demokraten überhaupt ständig eine neue Kanzlerin wählen?

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Krings' Aussagen sind nicht nur absurd, sie sind zutiefst antidemokratisch. Hier wird die freie Demokratie als Argument heran zitiert, um eines ihrer wichtigsten Schutzmittel zu verbieten. Zu einer Demokratie gehören nämlich auch Aktivisten, Dissidenten und Whistleblower, ihre Existenz muss ein funktionierender Staat aushalten.


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Bis heute gibt es in Deutschland übrigens kein richtiges Gesetz zum Schutz von Whistleblowern. Stattdessen wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Polizei- und Überwachungsgesetze verschärft. Ein Darknet-Verbot wäre der nächste Schritt zu noch weniger Freiheit im Internet.

Auch wenn das Darknet gerade so einladend wirkt wie der Eingang zum Hauptbahnhof Frankfurt bei Mitternacht: Eines Tages, falls eine autokratisch regierende Partei Dissidenten systematisch überwacht und verhaftet, könnte das Darknet das Instrument sein, dass der von Krings gefeierten "freien, offenen Demokratie" mal eben das Leben rettet.

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