Illustration mit einer Frau und einem Mann beim Sex im Bett, die von vielen Augen beobachtet werden, die Freundinnen einer Leserin finden ihr Sexleben problematisch.
Illustration von Djanlissa Pringels
Sex

Ich habe mit 20 Typen in einem Jahr geschlafen, stimmt etwas nicht mit mir?

"Für mich waren das nicht besonders viele. Meine Freunde sehen das anders."

"Frag VICE" ist eine Artikelreihe, bei der uns Leserinnen und Leser bitten, ihnen bei verschiedenen Problemen zu helfen – egal, ob es sich um Beziehungsprobleme oder den Umgang mit nervigen Mitbewohnern handelt. Dieses Mal hoffen wir, einer Leserin zu helfen, die wegen ihres aktiven Sexlebens von ihren Freunden als "Schlampe" bezeichnet wird.

Liebe VICE,

als Teenagerin habe ich mich nicht für Sex interessiert. Während meine Freundinnen nur noch über ihren ersten Kuss redeten, spielte ich weiter mit meinen Bratz Dolls und schaute Disney Channel. Jungs nervten mich. Selbst als ich zu studieren anfing, war ich noch Jungfrau. 

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Die ersten drei Jahre konzentrierte ich mich voll auf mein Studium. Als ich dann aber mit dem Master anfing, änderte sich etwas. Ich glaube, meine Pubertät hatte bis dahin noch gar nicht richtig eingesetzt. Und vielleicht sind auch deswegen meine Hormone ein bisschen durchgedreht. Ich fing an, bei Partys mit mehreren Jungs zu knutschen, und kam mit dem Typen zusammen, mit dem ich auch mein erstes Mal hatte. Ich merkte aber ziemlich bald, dass ich gar keine Beziehung wollte.

Im selben Jahr hatte ich auch meinen ersten Dreier, hatte mit Männern und Frauen geschlafen und aus reiner Neugier sogar meine erste Sexparty besucht. Im Abschlussjahr habe ich dann mit etwa 20 Typen geschlafen. Für mich war das jetzt keine erschreckend hohe Zahl.


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Mein Freundeskreis sah das anders. Für sie war ich – ich zitiere – "die Schulschlampe". Meine beste Freundin sagte mir sogar, dass sie sich Sorgen um meine psychische Gesundheit mache. Sie glaube, dass mein Umgang mit Intimität ein Hinweis auf ein tieferliegendes Problem ist. Ich war so schockiert und verletzt von ihrer Bemerkung, dass ich komplett zugemacht habe. Aber ihre Worte bekam ich nicht mehr aus meinem Kopf: Stimmt wirklich etwas nicht mit mir? 

Nach meinem Abschluss beruhigte sich alles wieder, aber ich bevorzuge immer noch rein körperliche Beziehungen zu ernsten Geschichten. Manchmal frage ich mich aber, wenn ein One-Night-Stand am Morgen meine Wohnung verlässt, ob ich mir mein Leben ruiniere. Dieses Gefühl werde ich manchmal tagelang nicht los. 

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Stimmt etwas nicht mit mir? Was macht jemanden überhaupt zu einer Schlampe?

T. 


Liebe T.,

unsere Erfahrungen mit Sex sind so komplex wie persönlich. Sie werden zum Teil durch unsere Erziehung beeinflusst, unsere eigenen Vorlieben und durch die Gesellschaft, in der wir leben – das schließt auch unser näheres Umfeld mit ein. Es gibt keine goldene Regel, an der man festmachen könnte, wie ein gesundes Sexleben auszusehen hat. Selbst wenn es so etwas geben würde, hätte die nichts mit der Anzahl deiner Partnerinnen oder Partner zu tun.

Man darf nicht vergessen, dass jeder Mensch seine Sexualität zu seiner eigenen Zeit entdeckt. Hier gibt es kein normal oder unnormal. Es ist egal, ob du mit hundert Leuten schläfst oder mit niemandem. Es kommt einzig und allein darauf an, wie du dich dadurch fühlst.

Es ist auch nicht unnormal, dass du dich als Teenagerin nicht für Sex interessiert hast. Darüber brauchst du dir jetzt als Erwachsene auch keine Sorgen zu machen. Das betont auch Inger Tempels, eine Sexologin am Sexology Center von Amsterdam. "Bei Menschen, die etwas später anfangen, läuft dann häufig später alles schneller ab", sagt sie. "Bei einem Teenager können drei Jahre vom ersten Kuss bis zum ersten Mal vergehen, bei Erwachsenen ist es üblich, dass man diese Phasen schneller durchmacht." Es sei immer wichtig, betont Tempels, die eigene Sexualität so zu erkunden, wie es für einen sinnvoll ist und vor allem Spaß macht.

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Wenn du wissen möchtest, was Sex für Gefühle in dir auslöst, empfiehlt die Expertin, dir folgende Fragen zu stellen: Wie erlebe ich den Sex? Genieße ich ihn? Fühle ich mich jemals leer, schmutzig oder benutzt nach dem Sex? Sollte Letzteres der Fall sein, empfiehlt Tempels, in dich zu gehen und dir zu überlegen, warum du eigentlich Sex hast. "Versuchst du eine Leere zu füllen? Bist du einsam? Holst du dir durch Sex Bestätigung? Sehnst du dich nach anderen Formen von Intimität?"

Bei ihrer Arbeit hat die Sexologin immer wieder mit Menschen zu tun, die Sex als Mittel der Bestätigung benutzen. Das sei allerdings nicht unbedingt empfehlenswert. "Diese Menschen erleben Sex nicht unbedingt als etwas Lustvolles", sagt Tempels. "Sex macht am meisten Spaß, wenn man ihn hat, weil man Lust drauf hat." 

Deinem Brief zufolge scheint Bestätigung für dich aber aktuell kein Problem zu sein. Es ist eindeutig, dass du gerne experimentierst und dich dabei wohlfühlst. Du hast dein Verhalten ja auch erst dann hinterfragt, als die ersten Bemerkungen aus deinem Freundeskreis kamen.

Wie du schreibst, befürchtest du, als sogenannte Schlampe zu gelten. Mit so einer Bezeichnung soll Frauen, die sexuelle Bedürfnisse haben und nach diesen auch handeln, ein schlechtes Gewissen gemacht werden. Wenn dir nur die Meinung deiner Freundinnen im Weg steht, und du einfach One-Night-Stands bevorzugst, dann solltest du sie einfach genießen, sagt Tempels. Du bist die einzige Person, die wirklich beurteilen kann, wie gesund oder ungesund dein Sexleben ist.

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Möglicherweise haben die Bemerkungen aus deinem Freundeskreis auch deine Selbstwahrnehmung beeinträchtig, und das macht es dir jetzt schwerer, Intimität zu genießen. Tempels weist an dieser Stelle darauf hin, dass die Urteile anderer Menschen über dein Sexleben häufig auf ihren eigenen toxischen Vorstellungen zu Sexualität beruhen. Vielleicht meinen sie es nur gut, aber ihre Bedenken sind möglicherweise stark von ihren eigenen Vorurteilen beeinflusst.

Das habe auch mit der unterschiedlichen Sexualerziehung der Geschlechter zu tun: "Als junge Frau, die mehrere Sexualpartner hat und gerne mit Sex experimentiert, wird man oft gewarnt, sich im Zaum zu halten." Jungen, sagt Tempels, "kriegen vielleicht ein Kondom in die Hand gedrückt und das war's".

Auf deine Frage, was jemanden zu einer Schlampe macht, kann ich nur folgende Antwort geben: Du bist nur eine Schlampe, wenn du eine sein willst und das der Begriff ist, mit dem du dich selbst identifizierst, weil er für dich eine positive Bedeutung hat. "Ich persönlich mag die Verurteilung nicht, die mit dem Ausdruck verbunden ist. Ich würde ihn deswegen auch nicht benutzen", sagt Tempels. 

Viel zu häufig trage der starke Fokus auf die Sicherheit einer Frau beim Sex zu der Vorstellung bei, dass eine sexuell aktive Frau etwas falsch macht und ein negatives Label verdient, wenn sie ihr Sexleben genießt. "Es wird langsam besser", sagt Tempels. "Aber dein Brief zeigt auch, dass unsere Gesellschaft hier noch einen weiten Weg vor sich hat."

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