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Nerds und Nischen: Morgen ist Recordstore Day

Die Welt schreit: Vinyl ist zurück! Aber eigentlich sind Platten immer noch für Nerds. Und das Internet wird daran auch nichts kaputt machen.

„Wenn du auf der ganzen Welt nur noch ein virtuelles Schaufenster hast, in dem die gleichen zehn Tonträger drinstehen, dann ist derjenige, der sich mit Musik nicht so auskennt, aber interessiert wäre, komplett unterfordert!“ Jan Delay gruselt sich vor der Zukunft. Da, fürchtet er, gibt’s nämlich keine Plattenläden mehr, sondern nur noch iTunes, Spotify und Amazon. Der Hamburger ist in diesem Jahr der Botschafter des Recordstore Day und sorgt sich sehr um das Wohl der weltweiten Vinyl-Dealer.

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Am Recordstore Day stehen Platten in den Läden, die nur an diesem Tag verkauft werden (bzw. danach sicher auch ihren Weg zu Ebay und Co finden). In diesem Jahr sind es 600 spezielle Releases, die die Leute in die Läden locken sollen. Grund zur Panik muss Botschafter Jan eigentlich gar nicht haben. Die Verkaufszahlen für die Platte sehen gut aus und das große Sterben der Plattenläden ist laut Bundesverband Musikindustrie seit 2008 Geschichte. Trotzdem ist das Vinyl was für Nerds und Nischen. Die Platte macht in Deutschland heute nur zwei Prozent des Umsatzes aus. Die CD liegt bei ca. 70 Prozent und die Downloadzahlen wachsen auf die 30 Prozent-Marke zu. Das große Platten-Comeback bleibt also aus!

Leute wie Lars Hoffmann stört das wenig. Er betreibt den Kölner Underdog Recordstore und verkauft fast nur Vinyl. „Kein Menschen braucht 20.000 Songs auf seinem iPhone“, winkt er ab. „Ich denke, man bemüht sich wieder darum, Platten zu kriegen. Sammelleidenschaft ist in uns drin. Jeder sammelt irgendwas. Man hat auch was in der Hand bei der Platte. Man legt sie auf und beschäftigt sich zu Hause damit. Das ist viel wertiger und emotionaler als eine Playlist!“ Trotzdem geht das Netz nicht spurlos an ihm und seinen Stammkunden vorbei.

Lars meint, dass viele Platten-Nerds online nach Musik suchen, bevor sie im Laden die Cover durchflippen. „Ich hab schon überlegt, ob ich hier einen Rechner mit Spotify hinstelle, damit die Leute reinhören. Das war mir dann aber doch zu krass.“ Eine Bedrohung für seinen Umsatz sieht er also nicht. „Der typische Käufer klickt sich im Internet so durch, sucht sich da zwei Platten raus, geht in den Laden und kauft dann fünf!“ Glück gehabt! Das könnte aber auch am Standort liegen, meint Christian Weinrich. Er ist Chef des Punk- und Hardcore-Labels This Charming Man aus Münster und arbeitet zusätzlich im Plattenladen Green Hell. Er meint, die meisten Leute würden Streaming wie ein Radio nutzen und keine Platten kaufen, weil sie kein Geld dafür hätten. In Städten wie Köln dagegen, würden die Stammkunden eben gern Geld in den Laden tragen. Musik-Streaming ist dagegen „reines Marketing“ für ihn und seine Bands. „Eigentlich kann es gar nicht mehr schlimmer werden“, regt sich Christian auf. „Noch schlimmer wäre nur, die Musik gleich zu verschenken. Bei den Bands landet ja gar kein Geld!“

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Er erinnert sich an die frühen Nuller-Jahre. Finstere Zeiten waren das für die Musikindustrie! 4 ½ Millionen Deutsche laden damals illegal Musik im Netz runter. Seit iTunes und andere Musik zum Online-Kauf anbieten, geht die Piraterie immerhin zurück. Aber Downloads und Streaming hätten dafür gesorgt, dass viele Läden dicht machen mussten, meint Christian. „Wenn ich so sehe, was wir vor zehn Jahren an Kundschaft hatten und was wir jetzt haben, ist das nicht mies, aber auch nicht besser als vor zehn Jahren. Es gibt natürlich ein paar Läden, die gut laufen, aber viele stöhnen eben auch.“

Der Recordstore Day sorgt auf jeden Fall bei vielen Läden kurzfristig für Hochstimmung. Vor dem Underdog stehen die Fans und Sammler jedes Jahr im April Schlange. „Die Leute treffen sich dann, stellen sich in die Schlange, quatschen über Platten. An dem Tag ist denen das völlig egal, ob die lange anstehen,“ erzählt Lars von den letzten Jahren. „Herkommen und Zeit mitbringen!“ meint ein Kunde noch, der grade in den Laden kommt. Lars weiß, dass er eine Nische bedient, kann damit aber gut leben. „Hier treffen sich ja auch viele Leute, die sich vielleicht lang nicht gesehen haben. Ist schon wie im Film manchmal, wenn man sich so einen Platten-Nerd-Film anguckt,“ lacht er. „High Fidelity lag da gar nicht so daneben!“

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