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Original und Fälschung

Klangkarussell vs. Nu Jazz City

In der zweiten Ausgabe von Original vs. Fälschung muss dieses Mal Klangkarussell dran glauben. Der Sommerhit „Sonnentanz“ vom letzten Jahr wurde dreist zusammengeklaut.

Kannst du dich noch an diesen einen Sommerhit letzten Jahres erinnern? Der mit dem Saxofon und diesem Klimperding—wie heißt es noch, Xylophon oder so? Diejenigen, die sich den Track damals runtergeladen haben, um sich die Wohlfühl-Sommer-Stimmung nach Hause zu holen, wissen natürlich, worum es geht. Für all die anderen, die zu dem Track immer nur verstrahlt auf den unzähligen Raves vor versammelter Mannschaft Luft-Saxofon gespielt haben: das war „Sonnentanz“ von Klangkarussell.

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Produziert wurde „Sonnentanz“ von den zwei Wahl-Wienern Adrian Held und Tobias Rieser und spülte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ordentlich Aschen in die Taschen des Duos, denn schaut man sich mal die Chartplatzierungen dieses Tracks an, dann kann einem fast übel werden. Schon vor dem offiziellen Release am 23. Juli 2012 auf Stil vor Talent konnten einige Millionen Klicks auf SoundCloud und YouTube verbucht werden. Danach folgten Top 5-Platzierungen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und in Belgien. In der Heimat gab’s am 1. Mai 2013 sogar den Austrian Music Award Amadeus in der Kategorie „Song des Jahres“, bei dem sich das Duo gegen so heiß gehandelte Favoriten wie Nik P. oder das Nockalm Quartett durchsetzen konnte. Im Nominee-Text hieß es zu dem Song, dass er wie „eine Hymne an die legendäre Berliner Bar 25 wirkt: verschachtelt, verspielt und grenzenlos optimistisch“. Ich würde ihn eher anders einstufen: einfach gestrickt, nervig und grenzenlos dreist zusammengeklaut.

Warum? Denn gerade in dem Land, in dem der Song, wenn auch etwas verspätet, auf den Sonnenplatz der Charts klettern konnte und noch immer auf Platz 14 steht—in den Niederlanden—hat ein Radio-DJ etwas interessantes herausgefunden. Wie die Überschrift des Textes schon vermuten lässt, wurde der Song geklaut. Dieses Mal jedoch nicht von einer anderen Band oder von einem anderen Künstler, sondern durch eine etwas perfidere Taktik. Der Track ist das Ergebnis eines Papierdurchschlags von einem Sample-Construction-Kit namens „Nu Jazz City“ aus dem Hause Big Fish Audio. In diesem ein Gigabyte großen Konstruktionsbausatz nach dem Motto „Sampeln nach Zahlen“ befinden sich über 800 Klangbeispiele von Schlagzeugen, Bässen, Flöten, Saxofonen, Trompeten etc. pp., die Produzenten nutzen können, um ihre Songs anzureichern. Klangkarussell haben sich davon einfach einen Ordner geschnappt und die markantesten darin enthaltenen Soundbeispiele aneinander gereiht, eine passende Synth-Line drunter gelegt, so wie einen omnipotenten 4-to-the-Floor-Beat—fertig war der Erfolg, der ganz Mitteleuropa infizierte.

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Derjenige, der auf diese Praxis aufmerksam gemacht hat, war Domien Verschuuren, ein Radio-DJ für die öffentlich-rechtlichen niederländischen Rundfunkanstalten BNN und 3FM. Domien hat die Übereinstimmungen in einem Video schon einmal entschlüsselt. Für euch habe ich das noch einmal übersichtlich dargestellt. Zuerst hört ihr das Original-Sample vom Kit, danach die Version aus dem Song „Sonnentanz“. Die frappierendsten Übereinstimmungen finden sich bei der Melodie des Vibraphons (so heißt das Klimperding also) und den Riffs der Gitarren. Man könnte ja vermuten, dass die Jungs wenigstens das eingängige und so originäre Saxofon-Killerlick selbst fabriziert haben, aber Pustekuchen—das stammt natürlich auch aus dem besagten Ordner.

Vibraphon

Dieses Instrument setzt zum ersten Mal bei Minute 0:47 ein und verleiht dem Song sofort diese schwebende Leichtigkeit, die dich in die beschwippste letztjährige Sommersaison transportiert. Doch wie würden die Prinzen sagen: „Das ist alles nur geklaut“. Falls ihr wissen wollt, wie so ein Instrument aussieht und was man damit so alles anstellen kann, schaut euch den Meister höchstpersönlich an.

Gitarre 1

Die erste Gitarrenmelodie setzt als kleiner Break ziemlich genau in der Mitte des Songs ein. Danach wird sie bis zum Erbrechen wiederholt.

Gitarre 2

Weil es mit dem ersten Gitarren-Riff schon so gut funktioniert hat, haben sich Adrian Held und Tobias Rieser gleich noch die andere Gitarrenmelodie aus dem Ordner geschnappt und ans Ende des Songs gepackt.

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Saxofon

Diese markante Saxofonmelodie war also für deinen monatelangen Ohrwurm verantwortlich. An dieser Stelle kann man sich ein wenig betrogen fühlen, wenn man den Song gemocht hat, oder, wie an meiner Stelle, einfach laut über den „Sampletanz“ von Klangkarussell lachen.

Damit dass keiner falsch versteht, das Sampling als kulturelle Praxis soll hier nicht an den Pranger gestellt werden, ist es doch im HipHop neben dem Rap wahrscheinlich die bedeutendste Genre-Grundlage und spielt auch im Kontext elektronischer Tanzmusik eine ebenso substanzielle Rolle. Wären wir ohne so was jemals hier gelandet? Aber diese Form von Dieb House, die Klangkarussell abliefert, überschreitet eindeutig die Grenzen des Anstands. Wenn man sich Produzent nennt, dann ist es allein pervers genug diese kommerziellen Sample-Bibliotheken zu nutzen, anstatt sich selbst auf die Suche nach wertvollen musikalischen Versatzstücken zu machen. Wenn man dann auch noch seine Hits aus einem einzigen Ordner zusammenflickt, sollte einem der Shitstorm der Kollegen, die in ihre Kunst Herzblut legen, mehr als gebühren.

Ich habe mich mal an Domien Verschuuren gewendet und gefragt, was er davon hält und wie er diese Angelegenheit überhaupt aufgedeckt hat.

Wie bist du auf die Übereinstimmungen zwischen den Sounds von „Nu Jazz City“ und „Sonnentanz“ aufmerksam geworden?
Ich habe ein Tipp von meinem Kumpel Niels bekommen, der macht Jingles für Radiostationen, wie 3FM, bei denen ich arbeite. Er schrieb irgendwas, wie: „hey, hör dir mal an, was ich auf dieser CD hier gefunden habe“, und packte in den Anhang die Datei „09 saxophone.wav“. Das war das Saxofon aus dem Song „Sonnentanz“. Danach haben wir uns den „Ordner 09“ mal etwas genauer angeschaut und siehe da, wir haben fast den kompletten Song darin wiedergefunden. Das war crazy.

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Was denkst du über Klangkarussell, nachdem du herausgefunden hast, dass sie den Song nur aus diesem Ordner zusammengeflickt haben? Hasst du sie?
Haha, nein. Auf keinen Fall. Ich denke sie haben echt gute Arbeit mit diesem Track geleistet. Ich hasse sie auf jeden Fall nicht, das wäre ziemlich dumm. Ich war aber ganz schön enttäuscht, als ich herausgefunden habe, dass sie relativ wenig selbst geschaffen haben. Trotzdem finde ich den Song noch immer sehr gut. Es war niemals meine Intention die Jungs irgendwie zu dissen.

Was hast du von Klangkarussell davor gehalten?
Als ich „Sonnentanz“ das erste Mal gehört habe, verliebte ich mich sofort in den Song. Er brachte dieses sommerliche Gefühl so angenehm rüber, dass ich in gleich in meiner Radioshow gespielt habe. Ich glaube sogar, dass ich einer der ersten in Holland war, der den Track gespielt hat. Vorher kannte ich noch gar nichts von Tobias und Adrian, das war also eine ziemlich nette Vorstellung.

Bist du mit den beiden etwa befreundet?
Haha, nein. Aber ich habe in den letzten Wochen ein Haufen Dinge über sie gelernt.

Was sagst du zu solchen Sampling-Praktiken?
Naja, Sampling ist an sich ja schon uralt, also nichts Weltbewegendes. Aber bei den beiden Jungs fühlt sich das eher so an, als hätten sie sich eine CD gekauft, einen Ordner geöffnet und danach einfach die darin enthaltenen Samples aneinandergereiht. Das ist jetzt kein Verbrechen, aber kreativ ist das nun auch nicht gerade. Viel mehr kann man dazu nicht sagen.

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Ach ja, wisst ihr, wie der Song vom Nockalm Quintett hieß, mit dem der flotte Siebener ins Rennen um die österreichische Version des Echos ging? Nein? Könnt ihr natürlich nicht, denn ihr interessiert euch ja eher für Chillwave als Schlager und für Freak Folk als Volksmusik. Ich sag’s euch trotzdem, der Track hieß: „Einer von uns lügt“. Und wisst ihr wer lügt? Wenn ihr den Artikel bis hier hin gelesen habt, dann solltet ihr das.

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