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„Adore“ von den Smashing Pumpkins ist besser als sein Ruf

Vor kurzem haben die Smashing Pumpkins ihr viertes, ungeliebtes Album wiederveröffentlicht, das viel besser ist als sein Ruf. Ein sanfter Lobgesang.

Im März 2014 hat Billy Corgan an einem modularen Synthesizer einen acht-stündigen Jam improvisiert, der ausdrücklich von Hermann Hesses Siddartha inspiriert gewesen sein soll. Die Mischung aus Grandezza, Überschwang, falsch verstandener Arty-ness, Eigenbrötlertum und Verweigerungshaltung sorgt für Unterhaltung. Billy Corgan ist ein meisterlicher Jongleur dieser feurigen Bälle, bisweilen fällt ihm einer runter. Mit seiner Band bzw. seinem Projekt Smashing Pumpkins, dessen musikalischer Direktor und einziges permanentes Mitglied er seit der Gründung 1988 gewesen ist, hat Corgan Mitte der 90er-Jahre zwei der überladensten, schönsten, süßesten, bittersten und selbstverliebtesten Rock-Platten ever aufgenommen. Seit ein paar Tagen sorgt eine Meldung für leises Rauschen: Die Smashing Pumpkins, neben Alleinherrscher Corgan darf aktuell einzig Gitarrist Jeff Schroeder als echtes Mitglied gelten, dürften, so heißt es laut Band-Instagram, an einem Doom-Metal-Album arbeiten, möglicherweise beseelt vom Geiste der Drone-Band Sunn O))).

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Die Smashing Pumpkins sind gerade dabei, Schritt für Schritt ihr Gesamtwerk wiederzuveröffentlichen, chronologisch der Abfolge der Originalreleases gehorchend, jedoch nicht zwingend an irgendwelche Jubiläen gebunden. Vor kurzem war das vierte, ungeliebte, gern als „schwierig" überschriebene Album an der Reihe: Adore aus dem Jahr 1998, eine Platte, die nach dem Megaerfolg der Vorgängeralben den Beginn des künstlerischen und kommerziellen Abstiegs eines großen und größenwahnsinnigen Projekts einleiten sollte. Eine finstere Platte über Elektronik und Folk, über eine morsche Zukunft und romantischen Gothic-Schick, über Leid und Zersetzung. Dieses merkwürdige, orientierungslose, zerfahrene Album namens Adore ist viel besser als sein Ruf.

Kaum jemand wollte Adore damals hören, verglichen mit dem Millionen-Seller Mellon Collie and the Infinite Sadness drei Jahre davor setzte die Platte einen kargen Bruchteil um. Die künstlerische Konfrontation und Neuorientierung seiner Band/seines Schaffens waren dabei erklärtes Ziel von Billy Corgan. Die Parameter Eigensinn und Trotz und für einen selbst interessante Kunst und den unheilbaren Wunsch, von—dann doch—möglichst vielen geliebt zu werden, in Einklang bringen—diese ewiggültige vom Kosmos gestellte Knobelaufgabe hat sich Corgan verinnerlicht. Die Lösung hat selbst er nur dann und wann, bruchstückhaft, erhaschen dürfen.

Das Album Adore wird nun neu gemastered in die Welt geschickt, begleitet von ganzen fünf Bonus-CDs voller obligatorischem Zusatz-Material, Demos, Outtakes, alternativen Versionen, B-Seiten, Live-Tracks und sonstigem unter den Tisch gefallenen Ausschuss. Und einer DVD. Man ahnt es: Keiner braucht das, diesen Overload einer Band, die ihre Alben ohnehin schon in ihrer ursprünglichen Darreichungsvariante bis an die Grenzen des Fassungsvermögens eines Tonträgers mit Ideen, schönem Schmalz, Pauke und Trompete zugeladen hat. Abgesehen vielleicht von jenem Menschen, der sich eine schicke Deluxe-Box zu Repräsentationszwecken ins Regal stellen möchte. Allein: Wer ist mit Leidenschaft für die Smashing Pumpkins zu beeindrucken?

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Die Smashing Pumpkins waren nie cool. Die Teenage Angst, die Verzweiflung und die seelische Zerfurchung haben Billy Corgan und seine Erfüllungsgehilfen immer schon mit Pomp inszeniert, mit eitler Weinerlichkeit. In den Schmerzensliedern der Pumpkins war früh schon zu erkennen, dass die Stilisierung zum Outsider den Weg zum Superstardom, ins Stadion, ebnen soll. Es ist Musik, die man als ein noch bisschen junger Mensch unbedingt braucht, um die Eltern und die Schule zu verfluchen und warmes Bier im Park zu trinken.

Auf dem Doppelalbum Mellon Collie and the Infinite Sadness haben die Smashing Pumpkins 1995 so ziemlich alles gemacht, was in ihrer Macht stand, und mehr: Black-Sabbath-Geriffe, zerbrechlicher Kammerpop, krawalliger Powerpop. Glam als einziger goldener Funkenflug. Dreampop, Prog und Psychedelik. Die Auslotung der Möglichkeiten von Laut/Leise-Dynamik, Violinen, erste leise Flirts mit Elektronik, Lieder über Vampire und den Ozean. Eine Reise zum Mond, ein glorreiches Jauchzen in tausend Tönen und Spuren, ein Auskotzen des weltgrößten Füllhorns.

Danach mussten die Reduktion, die Kasteiung und schließlich der Zerfall folgen. Drummer Jimmy Chamberlain, bis dahin Corgans engster Vertrauter innerhalb der Gruppe, flog vor Adore aufgrund seiner nicht mehr zu tragenden Heroin-Sucht aus der Band. Bassistin D'arcy Wretzky und Gitarrist James Iha waren nach Jahren als akzeptierte Zulieferer und Stichwortgeber endgültig zu Statisten verkommen. Billy Corgans Mutter war an Krebs verstorben, seine Ehe lag in Scherben, Burn-Out und das gigantische Schlachtschiff Rockstardom plagten ihn. Eine alte Geschichte—nach der maßlosen Euphorie kommt der Come-Down—im Falle der Smashing Pumpkins mündete sie in einer sehr guten Platte: Kaputt und in den Sounds super datet, wird Adore aus dem Rückspielgel betrachtet ihrer Intention heute besser gerecht als zum Zeitpunkt ihres Erscheinens vor 16 Jahren. Wenig altert schlechter und spannender als die Science-Fiction von vorgestern.

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Adore gilt als die elektronische Platte der Smashing Pumpkins, was im Gesamtzusammenhang der Band sicher stimmt, aber auch nur eine halbe Wahrheit ist. Was da auf Adore an Beats und Gebrutzel zu hören ist, wird ein heute 15-jähriger mit Xbox im historischen Gedächtnis gleich neben Grammophon und Zeppelin abheften. Rührend, was damals für eine Rockband schon gewagt war. Corgan war also der aufgeblasenen Rockgitarre müde geworden und fand die Drum-Machine: Ein Weg zur schon längst zum Gemeinplatz gewordenen Hybridisierung von Mensch und Technologie. Da und dort wurden diverse Gastschlagzeuger ins Studio geholt, unter anderem Soundgarden/Pearl Jam-Mann Matt Cameron oder Joey Waronker, sie konnten und durften den Songs aber keine eigene Note geben, Corgans Ziel war die Entmenschlichung und Reduktion, begleitend zu dieser Mission trug er seine Nosferato-Kutte. Viele Songs werden so vom Ruckeln und Brummen der Drum-Machine dominiert, doch auch hier ist keine fantastische Beat-Magie zu erwarten: Was die Geräte hier hergeben ist selten mehr als taktgebendes Preset-Gepluckere aus dem Kinderkeyboard. Und das, obwohl Bon Harris von den englischen EBM-Pionieren Nitzer Ebb über weite Strecken für die Programmierung zuständig war. Das Kalte, Trostlose, Unaufregende war Plan. Das Mechanische, Emotionslose wollte Corgan schließlich mit eben doch intimer Herzensmusik aus der innersten, kleinsten Kammer kurzschließen, mit akustischen Wehmutsballaden, erdacht am einsamen Piano in der obersten Turmstube.

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So entstand eine Electro-Sleaze-Nummer wie die programmatische Single „Ava Adore", in der das Konzept in gruseliger Schönheit aufzugehen scheint. Ein Song wie „Pug", in dem sich viktorianische Nine-Inch-Nails-light Spuk-Elektronik und verschmuster Kuschelwave umschmiegen. „The Tale of Dusty And Pistol Pete“ ist einer der besten Songs im Werk der Smashing Pumpkins, hier treffen sich luftiger Fleetwood-Mac-Softrock und Billig-Geplonke, das schon 1998 nicht modern geklungen haben kann. Hört man die große Schmachtnummer „Crestfallen" (zu Deutsch: niedergeschlagen, geknickt), kann man sich sogleich den verhärmten Grübler Corgan am synthetischen Spinnet herbeiimaginieren, beim Tastendrücken in Zeitlupe, beim Herausfinden wie man einen Beat baut. „Perfect", der gut gelaunte Bubblegum-Popsong der Platte, war bloße Fortführung des Überhits „1979“ vom Vorgängeralbum, dazwischen gibt es das eine oder andere dann unvermeidlich doch wieder mit Streichern überfrachtete Stück wie „Tear“ und ein bisschen Depeche-Mode-B-Seitenmaterial und Tagebuchpoesie in dem Song „Apples + Oranjes“: „What if the sun refused to shine? /What if the clouds refused to rain?“

Adore ist eine traurige Platte, nicht bloß in dem Sinne, dass sie Traurigkeit transportieren will, sondern: Sie selbst ist traurig. Ein Dokument des Scheiterns, des Untergangs. Voll mit großartigen Songs und einigem schief aus der Kurve geschlittertem Prätenziösitäts-Quatsch. Wenn es gut geht, dann geht es gut. In „To Sheila“, dem hochzarten, minimalen Eröffnungssong, gelingt Corgan schon in der ersten Strophe das gewaltige Kunststück „Avalon“ auf „Autobahn“ zu reimen. Davon handelt diese Platte, „Avalon“, mystisches Zauberreich und der Titel der letzten schwülstigen und zärtelnden Platte von Roxy Music, Fortschrittsglaube, Modernität, Kraftwerk. Mit ihren 75 Minuten Spieldauer ist Adore natürlich auch wieder einmal viel zu lange. Das musste aber so sein. Was danach folgte, war nur mehr Fußnote in der Karriere der Smashing Pumpins.

Aus dieser Platte ist einer von mehreren Epilogen einer Ära herauszulesen: Kaum eine Band ist so emblematisch für die 90er-Jahre wie die Smashing Pumpkins, die Definition von Alternative Rock, der Mainstream ist. Nu-Metal kam 1998 mit dem dritten Album von Korn endgültig ebendort an, Radiohead hatten Ok Computer schon ein Jahr zuvor veröffentlicht, ebenso wie die Chemical Brothers ihren Megaseller Dig Your Own Hole und The Prodigy Fat of The Land. Man kann dem Fließen in der Geschichte der Musik nicht mit angeblichen Wendepunkten oder harten Einschnitten beikommen, Adore war aber so ein zu spät gekommener, wenig beachteter Kristallisationspunkt komisch durch die Luft fliegender Teilchen. Die Haltestelle, an der sich Gestern und Morgen noch einmal kurz drücken möchten, die Platte, auf der eine wichtige Band, ein Künstler noch einmal so richtig gut war, der Niedergang draußen vorm Fenster schon mehr als schemenhaft auszumachen. Die letzte große Classic-Rock-Band und ihr Anklopfen an der Drum-Machine, um mit Zögern zu erfragen, ob da drin nun tatsächlich die Zukunft zuhause sei.

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