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You Need to Hear This

Benjamin Clementine ist der neue Bob Ross der Musik

Der Singer-Songwriter aus London wirkt auf den ersten Blick zwar selbstironisch-witzig, steckt aber voll ernst gemeintem Wahnsinn und Genie.

Wahrscheinlich hast du noch nie etwas von Benjamin Clementine und seinem außergewöhnlichen Songwriting gehört. In meinem Umfeld blicke ich jedenfalls immer in unwissende Augen, wenn ich den Pianisten aus London erwähne. Doch deswegen muss sich keiner grämen, schließlich ist das zum Großteil seine eigene Schuld.

Der Singer-Songwriter, der inzwischen in Paris wohnt, hat keine große Promomaschinerie hinter sich stehen oder gibt besonders viel dafür, schnell und vielerorts bekannt zu werden. In Frankreich hat er bereits eine relativ große Fanbase, passend zu seiner beinah schon an den Haare herbeigezogen klingenden Geschichte, wie er als Straßenmusiker in einer Pariser Metro von seinem Label Behind entdeckt wurde. Aber der Persona Benjamin Clementine nimmt man so eine Geschichte ab und trotzdem beschränkt sich seine Bekanntheit außerhalb von Frankreich nur auf einen kleinen Kreis. Dabei ist dieser junge Herr mehr als interessant, nicht nur musikalisch.

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Benjamin Clementine macht auf den ersten Blick beeindruckende, herzzerreißende Klaviermusik, wie wir es zugegebenermaßen schon öfter erlebt haben. Doch auf den zweiten Blick scheint alles anders zu sein, was nicht nur die Art liegt, wie fast übertrieben emotional er sich in seine Songs lehnt und aus seiner Stimme mehr herausholt, als Detlef D! Soost aus einer Schreitherapie je könnte. Auch die Texte sind beim genaueren Hinhören keine gewöhnlichen Herzschmerzballaden von gebrochenen Singer-Songwritern. Vielmehr verzichtet er auf unnötig ausschmückende Poesie, nennt die Kinder bei Namen und singt zwischenzeitlich sogar fast banale Feststellungen. Verbunden mit seiner emotionalen Stimmfärbung und geschickt platzierten Lauten wird aber eben genau diese Formel zu ungewöhnlicher und herausstechender Songwriterkunst, wie wir sie doch nur selten erleben.

Um das genauer zu positionieren, könnte man sagen, was Bob Ross in der Malerei und Rafiki in Der König der Löwen ist, das ist Benjamin Clementine in der Musik. Teilweise wirkt er wahnsinnig, seine Aussagen sind bei Zeiten scheinbar banal, in Wirklichkeit steckt aber stets ein Genie dahinter, mit Weisheiten, die einen ganz anders treffen, als all das, was uns Morrissey beizubringen versucht. In Aussagen wie „The wind blows to the east from the west“ oder „Your cup is full“ steckt nicht viel mehr als das Offensichtliche. Aber recht hat er damit und es ist wichtig, so etwas mal festzustellen.

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Benjamin Clementine singt über seine Jobsuche, über Beschwerden, über Alleinsein oder Hoffnung. Ganz alltägliche Dinge, und auch wenn es nicht seine Intention ist, muss man sich beim Zuhören hier und da ein Grinsen verdrücken, ähnlich wie bei Bob und dem lustigen Affen.

Ob es nun der repititive Gebrauch des Wortes ,Hope’ in „Cornerstone“ oder der kontradikatorische Subtext in „I Won’t Complain“ ist, Clementine scheint selbstironisch zu sein und sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall. Seine Worte meint er mit so einer Ernsthaftigkeit, dass er fast sauer wird, wenn jemand darüber lacht. Auf einem kleinen Konzert im Privatclub in Berlin vor ein paar Wochen war er durchweg verwirrt, als das deutsche Publikum zwischendurch über seine Ansagen in der trockenen, fast geflüsterten und scheinbar ironischen Art lachen musste. Aussagen, dass er den deutschen Humor nicht verstehe und ein angepisstes „I’m not here for jokes“, konnte das deutsche Publikum aber auch nicht davon abbringen, ihn zu lieben, und nach einer Zeit ließ sich der Musiker auch darauf ein. Die Vermutung liegt nahe, dass der Ghanaer auf der Bühne eine Rolle spielt, tatsächlich bin ich aber inzwischen der Meinung, dass er eine liebenswürdige Diva ist, die sich und seine Kunst eben sehr ernst nimmt. Kommt ihm und der Kunst aber viel Liebe entgegen wird er ganz zahm.

Es scheint unnötig zu erwähnen, dass die Liveshow beeindruckend war, sind doch die einzigen Videos, die es von dem Sänger gibt, Liveaufnahmen. Noch gibt es keine Musikvideos und auch noch kein Album, nur eine EP—Cornerstone.

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Wenn es soweit ist, dass ein Album kommt, wird vielleicht auch die Promomaschine angeworfen. Bis dahin spielt Benjamin Clementine ein paar weitere kleine Shows, die wichtigsten Newcomer-Festivals, sagt frohgemut Interviews ab und versucht den deutschen Humor zu verstehen. Und wenn es dann soweit ist, wird er bestimmt auch außerhalb von Frankreich bekannt und uns mit der ganzen Fülle seiner Musik berühren. Hier und da malt er bestimmt auch noch eine Babywolke dazwischen.

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