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Liebe Musiker, ihr zerstört das Erbe von Twin Peaks

Mit Twin Peaks wurde die atmosphärische Blaupause für alles von Dubstep bis Black Metal erschaffen. Die Serie ist inzwischen aber zu einem Insiderwitz für bescheuerte Kaffee-Enthusiasten verkommen.
Emma Garland
London, GB

Da ist diese Aura der Romantik, die alles umgibt, was mit Twin Peaks zu tun hat: Eine ganz eigene ästhetische Anziehung, die auch nach all den Jahren nichts von ihrer Wirkungskraft verloren hat und Zuschauer um Zuschauer in diesen lynch'schen Trancezustand versetzt. Mit seinen vielen markanten Charakteren und zitatwürdigen Momenten ist die wunderliche Welt von Twin Peaks etwas, das schnell zu einer Obsession werden kann. Als David Lynch und Mark Frost nach vielen Jahren und noch mehr Gerüchten dann endlich bekanntgaben, „that gum you like is going to come back in style”, schien es kein Halten mehr zu geben. Alles wurde von der Nachricht überschattet, dass Twin Peaks 2016 für eine dritte Staffel zurückkehren würde.

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Es ist schon bemerkenswert, dass eine TV-Serie, in der es um die sozialen Dynamiken einer amerikanischen Kleinstadt geht und von der vor über zwei Jahrzehnten gerade einmal 30 Folgen ausgestrahlt wurden, es schafft, eine so starke, allumfassende kulturelle Relevanz beizubehalten. Irgendwo zwischen Soap und surrealistischem Film Noir angesiedelt ist Twin Peaks so etwas wie Mord ist ihr Hobby für Menschen, die Tweets über Mondphasen posten—und diese ernst meinen. Jeder einzelne Charakter (bis auf James vielleicht) ist jemand, mit dem du auch im echten Leben abhängen wollen würdest, die Kostümausstattung gleicht einem Porno für Fashionblogger und der Soundtrack ist so erregend wie ein Vorspiel. Und obwohl die Eröffnungssequenz geschlagene zweieinhalb Minuten lang lediglich zeigt, was so in einem Sägewerk passiert, bezweifle ich, dass irgendwann mal irgendjemand auch nur eine Sekunde davon vorgespult hat. Das Titelmelodie gehört eben zu einem der stimmigsten Arrangements in der Geschichte musikalischer Arrangements. Allein die Abfolge der ersten vier Töne ist das musikalische Äquivalent zu einer Rückenmassage während der man einen ganzen Bogen Knallfolie zum Platzen bringt und sich immer und immer wieder den Tod von Joffrey Baratheon anschaut.

Der von Angelo Badalamenti komponierte Soundtrack ist für sich genommen schon ein Kunstwerk. Der Score, der sich musikalisch irgendwo zwischen Drone, Dark Ambient, Doom, Downtempo und Jazz bewegt—und das oftmals in ein und demselbem Lied—, führt auch in den dialogfreien Passagen stimmungsvoll die Erzählung weiter. Und auch wenn der Versuch, die Musik einem bestimmten Genre zuzuordnen, ungefähr so sinnvoll ist, wie Fische in einer Kaffeemaschine zu halten, gibt es nichtsdestotrotz einen konsistenten Faktor, der allen Songs zu eigen ist: Diese unglaublich dichte Atmosphäre und Fähigkeit, beim Hörer eine Art Schalter umzulegen. Ähnlich wie Burial es schafft, diese Atmosphäre von Kälte und Einsamkeit zu kreieren, die einen direkt „London“ denken lässt, gleichzeitig aber noch etwas viel tiefergehendes und allumfassendes transportiert, so lässt auch der Twin Peaks-Score die Serie aus den dichten Wäldern und provinziellen Städtchen Nordamerikas emporsteigen und begegnet so dem Zuschauer auf einer Ebene, zu der er umgehend einen persönlichen Bezug aufbauen kann. Seien es jetzt die sanften Töne Mount Eeries, die langsam voranschreitende Depression Groupers oder die tiefe Schwärze von Wolves in the Throne Room, sie alle erschaffen ihre jeweilige Atmosphäre auf eine Weise, für die Badalamenti damals mitunter die Vorlage geliefert hat. Gar nicht mal schlecht für etwas, das auf einem alten Fender Rhodes komponiert worden ist.

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Aber genau wie die Charaktere hat auch das musikalische Erbe von Twin Peaks seine Schattenseite. Auch wenn die Ästhetik so ziemlich alles von Dubstep bis hin zu Black Metal anspricht, ist sie gleichermaßen verantwortlich für einige der schlimmsten Songtexte, Songtitel, Bandnamen und Merch Designs, die jemals das Licht der Welt erblickten. Eulen, Donuts, Kirschkuchen und Kaffee sind nur einige der Dinge, die nach 1991 zum kulturellen Eigentum von Twin Peaks erklärt wurden. Kaffee sollte danach nie wieder einfach nur „Kaffee“ sein, nein, jetzt war es „verdammt guter Kaffee“—und repräsentierte damit automatisch alles, was irgendwie mit Dale Cooper zu tun hatte. Es war zu einem Element fiktionaler Folklore geworden, überliefert durch den popkulturellen Diskurs; eine Reliquie, die gleichzeitig trinkbar war. Die Hingabe, mit der Lynch und Frost das Surreale aus dem Alltäglichen zogen, ist wahrscheinlich die größte Stärke der Serie, funktioniert aber eben leider auch für jedes Arschloch, das seinen Milchkaffee instagrammt.

Twin Peaks' Fluch, wenn du so willst, besteht darin, dass sich quasi jeder, der sich die Serie anschaut, umgehend in sie verliebt und die ganze Welt wissenlassen möchte, dass sie existiert—und genau dieses Gefühl möchte die Serie auch in dir auslösen. Du sollst dich wie ein Fremder fühlen, der heimlich eine Gemeinschaft beobachtet, die komplett von der Außenwelt abgeschottet ist. Ja, du sollst dich fühlen, als würde es sich nicht gehören, diese Menschen zu beobachten, und gleichzeitig sollst du dich fühlen, als wärst du die einzige Person, die sie beobachtet. Gekoppelt mit dem modernen Bedürfnis, seine Persönlichkeit über Dinge zu definieren, die man gerne mag, führt das zu hunderten Künstlern, die alle darüber schwafeln, wie gut sie Laura Palma doch verstehen würden und, überhaupt, könnte doch mal bitte jemand den roten Vorhang zu ihrer Seele öffnen?

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Nein, nicht alle Twin Peaks-Referenzen sind furchtbar: Nicholas Jaar und Mount Eerie haben zum Beispiel Wege gefunden, den Soundtrack in ihre Arrangements einzubauen, ohne sich in abgedroschenen Klischees oder platter Lobhudelei zu verrennen, El-P und Biosphere haben Dialogzeilen aus der Serie so gesampelt, dass sie sich wunderbar in ihre Songs einfügen, und Sky Ferreiras verträumtes Meisterwerk „Night Time, My Time“ verdankt einen großen Teil seiner Textzeilen Fire Walk With Me. An irgendeinem Punkt aber hört das ständige Verweisen und Anspielen auf, kreativ zu sein, und wird lediglich zu einer Liste von Dingen, die alle schon in und auswendig kennen. Ich kann fast nicht glauben, dass es bis 2014 gedauert hat, aber endlich sind wir an den Punkt gekommen, dass eine Band sich gedacht hat, ‚Scheiß drauf, lass uns den ganzen Teil überspringen, in dem wir verzweifelt versuchen, eine ungenutzte Referenz zu finden. Wir nennen unsere Band ganz einfach Twin Peaks.’ Jetzt mal ernsthaft, selbst Bastille haben mittlerweile einen Song mit dem Titel „Laura Palmer“. Wenn das kein Indikator dafür ist, dass sich das ganze Phänomen erschöpft hat, dann weiß ich auch nicht mehr. Ich kann gar nicht abwarten, bis 2016 vor der Tür steht, damit es endlich ein paar Sachen mehr gibt, die man symbolisch ausschlachten kann.

Trotz allem, die Tatsache, dass die Referenzen aus so vielen unterschiedlichen Musikrichtungen kommen, ist nicht nur Zeugnis dafür, wie weitreichend der Einfluss der Twin Peaks-Ästhetik ist, sondern auch für die Stärke des Soundtracks selber. Angelo Badalamenti nahm sich universellen Themen wie Dunkelheit, Tod, Verzweiflung und Gewalt an und setzte sie musikalisch perfekt um. Es ist eigentlich eine Schande, dass dieses Vermächtnis mittlerweile auf Insiderwitze reduziert wird, die sich auf den Speisekarten schrulliger Cafés finden lassen.

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