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Das war 2014

Das Jahr 2014 in: Hardcore

Die politische Lage der Welt ist denkbar beschissen—ideale Vorraussetzung für die Wut des Hardcore.

Selbst wenn du dich auch nur ab und zu auf Nachrichtenseiten verklickt hast, dich beim Durchzappen Claus Kleber zufällig mit ernsten Blick fixierte oder dich der dreieckäugige Typ eines jeden Freundeskreis dank deiner Unachtsamkeit auf einer WG-Feier mit Dan Brownschen Theorien „erleuchtet“ hat, weißt du, dass 2014 ein ziemlich beschissenes Jahr war. Ob nun die bürgerkriegsähnlichen Zustände in der Ukraine, der Aufstieg der Geiseln hinrichtenden IS, der endlose Bürgerkrieg in Syrien, das Wiederaufflammen des Gaza-Konfliktes oder die Unfehlbarkeit der US-Polizei sowie des folternden US-Militärs, es sah düster aus in dieser Welt. Währenddessen erhoben wir in Deutschland unser Glas auf die Fußballnationalmannschaft und die brasilianischen Sicherheitskräfte während immer mehr besorgte Deutsche auf die Straßen rannten. Endlich hatten sie wieder den christlichen Mut gefunden, sich als ewige Opfer zu stilisieren und Flüchtlingsheime anzuzünden. Wenn es eine Musikrichtung versteht, die Ohnmacht und Wut angesichts solcher Zustände treffend zu bündeln, dann ist es Hardcore. Leider war es musikalisch gesehen nur ein durchschnittliches Jahr ohne echte Klassiker und begann mit einer ziemlich beschissenen Ansage.

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Denn im Januar bestätigten die Hardcore-Legenden Black Flag offiziell, dass Skater-Proll Mike Vallely von nun an das Mic schwingen wird. Darüber freuten sich wahrscheinlich nur Tattoo-Laserentfernungspraxen und Leute, deren Black Flags letztes Album What The… aufrichtig gefallen hat. Also Niemand. Dann doch lieber die neue Platte Wasted Years von Off! auf den Plattenteller legen, den kompromisslosen 80s-Oldschool-Hardcore-Sound genießen und sich in der wohligen Vergangenheit suhlen. Moderneren Oldschool gabs dieses Jahr zwar auch, doch blieb der trotz Releases von Madball, Sick of it All, Obey The Brave, Backtrack, Expire und Cruel Hand erstaunlich blass und ideenlos. Lediglich die Franzosen Rise of The Northstar versprühten mit Welcame erfrischend selbstironischen Thrash-Charme, ohne albern zu wirken. Wer „Simon Says“ in einen derart dumpf stampfenden Smasher verwandelt, verdient Aufmerksamkeit.

Wenn es aber eine Band gibt, die gewaltig-moshenden Hardcore auch auf den Dancefloor alternativer Clubs etabliert hat (zu bewerten, ob das gut oder schlecht ist, bleibt elitären Szenewächtern überlassen), dann ist das wohl The Ghost Inside. Nicht ganz zufällig hieß ihr neues Album Dear Youth, erfreut sich die Band aus Los Angeles vor allem in den jüngeren Altersschichten sektengleicher Beliebtheit. Natürlich geben sie ihren Fans auch mit dieser Platte genau das, was sie wollen: Groovende Breakdowns, mitreißende Melodien und Hooks, bei denen du schon Musik hassen musst, um nicht anerkennend mit dem Kopf zu nicken.

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Wesentlich bedächtiger ging es bei den neuen Alben der „The Wave“-Bands zu. Inzwischen waren ein paar Jahre seit dem großen Hype vergangen, wie gingen die Musiker also mit dem schwierigen Erbe um? Gewohntes abliefern oder neue Pfade betreten? Nun, La Dispute aus Michigan boten mit Rooms Of The House die logische Weiterentwicklung ihres sehr eigenständigen Sounds. Das Album war zwar musikalisch über jegliche Kritik erhaben, doch klang insgesamt ein wenig zu angestrengt nach bemüht tiefgründigem Konzeptalbum. Ihre Kollegen Pianos Become the Teeth veröffentlichten dagegen mit Keep You ihr bisher bestes Werk. Obwohl oder eben gerade weil ihre Musik sich immer weiter von den Screamo-Wurzeln entfernt hat und sie ihren eigenen Sound mittlerweile nahezu perfektioniert haben.

Im Gegensatz zum Oldschool scheint die Popularität des melodischen Hardcore ungebrochen und auch dieses Jahr gab es zahlreiche Platten, die dieses Genre bereicherten. Beispielsweise durch den starken Dear G-d-Nachfolger How We Both Wondrously Perish der Kalifornier Being As An Ocean, das überraschend fette Shadowed by Vultures der umtriebigen Engländer Polar, die mit Block Out the Sun & Sleep verlässlich abliefernden To The Wind aus Seattle und die Kalifornier No Bragging Rights, die mit The Concrete Flower nachlegten. Selbst More Than Life aus England hatten sich von ihrer Kreativpause erholt und ließen mit der Videosingle „Do You Remember“ viele Fans neuverliebt aufhorchen. Leider konnte die folgende Platte What Left’s On Me das Versprechen der Single nicht vollends einlösen, sondern bot nur gewohnten, wenn auch gut gemachten Whinycore. Wesentlich angepisster kam das geniale Album All Over der Geheimtipp-Band Kids Insane aus Israel daher, dass allen gerade genannten Bands höhnisch ins Gesicht spuckte, wenn diese zu einem schwermütigen Gitarrenzupf-Part ansetzten. Was manchmal vielleicht bitter nötig ist.

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Und in Deutschland? Da erinnerten uns die Hamburger Light Your Anchor mit ihrer kleinen Indian Summer EP, warum ihr Album Homesick vom letzten Jahr ständig im Plattenspieler rotieren musste. Die Post-Hardcorer The Tidal Sleep aus Mannheim releasten mit Vorstellungskraft eine erwartungsgemäß gute Platte, genau wir ihre This Charming Man Records-Labelkollegen Fjørt aus Aachen, deren Screamo-Debüt d’accord eine echte Überraschung war. Final Prayer aus Berlin feierten ihr zehnjähriges Bandbestehen mit der XV EP und dazugehöriger Dokumentations-DVD.

Überraschend war auch die Ankündigung unseres Lieblingslabels Deathwish Inc., mal eben eine neue Platte von Cold World aus Pennsylvania mit dem treffendem Namen How the Gods Chill zu releasen, auf der diese streckenweise verdammt nach Twitching Tongues klangen. Überhaupt bewies das Label mit Veröffentlichungen von Punch, Cult Leader, Young And In The Way (kein Hardcore, trotzdem sehr gut) und natürlich Code Orange seine Qualitäten. Dabei stehen vor allem Letztere beispielhaft für die weiter fortschreitende musikalische Radikalisierung von Teilen des Genres und deren Honorierung durch eine stetig wachsende Hörerschaft. I Am King ist ein verdammter Hardcore-Bastard, der gierig Elemente aus Drone, Sludge Metal und Death Metal aufsaugt, um sie sinnvoll zu verbinden und eine extrem morbide Nahtoderfahrung zu orchestrieren. Kein Zufall also, dass Code Orange-Drummer Jamie Morgan bereits vorigen Sommer das Deathwish-Sub-Label Harm Reduction Records gründete und auf diesem 2014 ein paar erwähnenswerte Platten rausbrachte. Vor allem die Sewage EP von Purge. ist derart abstoßend in ihrem ungezügelten Hass, dass Converge direkt nostalgisch werden dürfen. Bleibt abzuwarten, welche vielversprechenden Neuentdeckungen 2015 noch aus der Label-Hydra Deathwish Inc. wachsen werden.

So wie es aussieht, wird sich auch 2015 die politische Lage in der Welt leider nicht entspannen. Grund genug für alte Helden, mal wieder ihre Gitarren in die Hand zu nehmen, um uns mit neuen Werken aufzustacheln. Verdammt, voriges Jahr waren Modern Life Is War plötzlich wieder da, dieses Jahr nur Body Count und Bane. Gut, besser als nichts, aber nächstes Jahr dürfen sich ruhig auch Andere aus dem Schaukelstuhl des Alltags erheben.

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