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Kunst ist auch nur ein Job: Musiker und Label-Besitzer Justin Pearson über die Musikindustrie

Das Urheberrechtsthema brodelt weltweit: Wer sollte bezahlen, wer sollte bezahlt werden. Wir diskutieren mit.

Fotos von Nick Zinner

Ich mach die Einleitung kurz. Justin Pearson war in einigen der besten Hardcore/Grind/Artfuckery Bands der letzten fünfzehn Jahren, von Struggle über The Locust und Head Wound City bis zu seinem aktuellen Projekt_ RETOX_. Er ist einer der Gründer von Three One G Records. Außerdem hat er den Ruf ein großmäuliges Arschloch zu sein. Da es ihm nicht fremd ist der Hauptleidtragende von idiotischen Internet-Attacken zu sein und ich eigentlich immer auf der Seite der großmäuligen Arschlöcher stehe, konnte ich es kaum erwarten mit ihm über den momentanen (in Zeitangaben aus dem echten Leben, nicht aus dem Internet) Twitter Storm zu reden, im Speziellen über den offenen Brief von David Lowery gegen Online-Diebstahl und über zwanzigjährige Praktikanten. Es hätte ein viel längeres Interview gebraucht, um diesem Thema gerecht zu werden, aber Justin hat, wie ich finde, trotz seines absolut ungerechtfertigten Ruf (wenigstens der „Arschloch“-Teil) eine neue Perspektive eingebracht, die weder in das „Freies Zeug für alle! Wir leben in dem Zeitalter. LOL!“-Camp noch in das „Ich bin von Grund auf ein A&R Typ und öffentliche Bibliotheken sollten für die älteren Hefte des Rolling Stone bezahlen“-Camp reinpasst. Okay. Die Camps habe ich mir ausgedacht. Aber Pearson hatte trotzdem viel interessantes zu erzählen.

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Hey JP, ich weiß wir sind ein bisschen spät dran, aber solche Angelegenheiten sind schrecklich und das hier war wahrscheinlich die schlimmste von allen, also…Hast du den Brief von David Lowery gelesen? Was denkst du darüber? Lass uns streiten!
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Das Thema ist ziemlich umfangreich und ich stimme fast allem zu, was in dem Artikel stand. Wir können uns gerne streiten, wenn du anfängst. Ich werde mich bei dieser Thematik definitiv nicht Lars anschließen.

Na gut. Vielleicht hat der Typ Recht, aber ich komme nicht darüber hinweg, dass trotz seiner „Ich will dich nicht in der Öffentlichkeit blamieren“ Reden die gewählte Verkörperung von allem Bösen der Musikindustrie… eine NPR Praktikantin ist. Ich konnte nicht aufhören zu denken „Der Kerl würde sich bestimmt nicht mit Steve Albini anlegen.“

Und was ist der Unterschied zwischen seiner Stellung und der von Lars? Bis auf, dass er in einer Band war, auf die von Intelligenten nicht herab geschaut wird, und Lars bei Metallica ist, die nicht wirklich als Denker oder so was akzeptiert werden.
Die komplette Auseinandersetzung kann man ohne Probleme als First-World-Problem verbuchen, vor allem wenn es aus dem Mund eines reichen unbedeutenden dreckigen Schlagzeugers kommt. Ich stimme aber dennoch zu; der Autor scheint ab und an ein Arschloch zu sein. Ich denke er liegt goldrichtig und stellt seinen Standpunkt klar, aber teilt dafür auch richtig aus. Ich persönlich glaube, dass ich mich mit dem Meckern so zurückhalte, weil das Thema so umfangreich ist. Kunst und Musik im Speziellen wurde über die Zeit sehr abgewertet und das hat sich mit dem Internet noch verstärkt.

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Sicherlich ist es scheiße, dass ich niemals einen dicken Scheck in der Hand halten werde für das, was ich tue, aber ich sehe das so: wenigstens habe ich das Privileg Musik zu spielen und auf Tour zu gehen. Ich wünschte, ich würde nicht immer nur gerade so über die Runden kommen. Aber zur Hölle, ich spende an NPR. Ich denke, wenn dieses Mädchen meine Musik kaufen würde, so wie der Rest ihrer Generation, würde ich Geld verdienen und müsste nicht das Radio ausschalten, wenn sie ihre langweiligen Spendenaufrufe machen.

Du bist so vernünftig. Jetzt fühle ich mich wie ein Schwein wegen meiner ganzen Anfeindungen gegenüber Lowery. Ich glaube die weinerlichen Kommentare haben mein kritisches Denken beeinflusst.

ABER ich denke trotzdem, dass hier ein Stück „Hausmädchen-Denken“ dabei ist. Der Kerl hat jahrelang im Management von Major Labels gearbeitet. Er war nicht bei Dischord und er hat es nicht selber geschafft. Und er hat kein Problem mit dem System. Jetzt vermisst er seine Asche und ist angepisst…Scheiße, ich werde schon wieder gemein. Für's Protokoll, ich fand Cracker irgendwie gut.

Wie auch immer, ich stimme dir zu, dass Kunst über die Zeit hinweg abgewertet wurde. Ich weiß nur nicht, wie ich das finden soll. Ich habe schon immer mit den New Bomb Turks im Bezug auf die Aussage „Kunst ist auch nur ein Job“ übereingestimmt, aber das kann auf beide Argumente passen. Entweder „Ja, es ist ein Job…Also bezahl uns, Motherfucker“ oder „Es ist ein Job, du Künstler-Motherfucker. Wenn du nicht davon leben kannst, dann ist das dein Problem.“ Ich bin trotzdem froh, dass die Leute über Kunst so unromantisch und rational reden können. Ich denke auf langfristige Sicht ist das gut. Auch wenn das falsch ist. Kunst ist verdammt hart, aber ich will nicht so pretiös sein.

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Sorry, ich schweife aus. Ich nage noch sehr an dem Thema.

Ich spende aber auch nicht an NPR. Ich höre es auch nicht. Ich höre nur Podcasts von alternden Hardcore-Typen, die Scheiß reden.

Ich denke, es sollte eine Ordnung geben, wie man sich diesem riesigen Thema annimmt. Ich würde gerne mit der Tatsache anfangen, dass aus irgendeinem Grund die Musik abgewertet wird und die Probleme der Künstler größtenteils nicht berücksichtigt werden. Die alte Idee „Labels sind böse“ wurde einfach angenommen, aber was ist mit den guten Labels? Ich, zum Einen, spüre beide Seiten, da ich Three One G leite. Also krieg ich es manchmal von beiden Seiten ab. Oder noch besser, ich habe Künstler, dessen Platten ich veröffentliche, die denken ich hample nur so rum und bezahle und unterstütze sie gar nicht so wie ich sollte.

Das ist fair. Das bringt mich auch zu einer wichtigen Frage. Kaufen die Leute die Platten von 31G? Oder gab es einen Abwärtstrend speziell bei euch? Für CDs natürlich, aber auch für Vinyl?
Es ist seltsam; die Leute kaufen fast nur auf unserer Homepage ein. Nicht viele gehen in die Läden, was wirklich traurig ist. Vinyl holt dennoch wieder auf und das ist großartig. Jetzt muss ich nur noch herausfinden, wie ich neue Sachen pressen und releasen kann.

Ist das Geld das Problem oder der Künstler? Und ich möchte nochmal zu einem Punkt von vorher zurückkommen: die „Probleme“ der Künstler. Von wem werden sie nicht beachtet? Von der Masse? Von der Elite? Ja und? Wessen Probleme werden denn beachtet? Es ist ja nicht so, dass David Lowery (und übrigens auch du und ich) in den 90ern eine Bewegung gegründet hat, um sich gewerkschaftlich zu organisieren. Wer soll denn den Wert anerkennen? Der Konsument? Soll der es festlegen? Die Labels und das, was von ihnen übrig ist? Die Praktikanten?

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Die Sache ist die: das Geld und der Künstler sind das Problem. Aber ich denke das eigentliche Problem ist die Aufbereitung und vielleicht die Kontrolle, die die Industriestandards für die Musikkonsumenten aufstellen. Es ist die eine Sache, sagen wir mal, Ian MacKays Moralvorstellungen zu folgen und es auch legitim, billig und so weiter zu halten. Oder man ist ein Arsch, erhöht die Preise und geht diesen Weg. Beide Seiten sind für den Arsch. Und das ist genau der Punkt aus meiner Sicht. Es ist als ob man jemanden ausraubt oder ob man bei Wal Mart stiehlt; es ist einfach nicht dasselbe.

Lowery, du, ich oder wer auch immer kann die Situation nicht verändern und auch nicht anführen. Die Sache hat schon viel zu viel Schwung bekommen. Zum Beispiel sind die Leute so damit beschäftigt das neue iPhone zu bekommen, und dass obwohl das davor eigentlich gut war. Aber nein, jeder braucht es. Also wer will noch Geld für eine CD ausgeben, wenn sie ihr hartverdientes Geld für ein strategisch aktualisiertes Gerät verschwendet haben, das dann schlichtweg als Ort dient, an dem der „freie“ Scheiß gelagert wird. In meinen Augen reden wir hier von Klassenproblemen. Die Arbeiterklasse ist auf der einen Seite und auf der anderen stehen die Unternehmen. Und die Leute oder Konsumenten sind in der Mitte. Der letzte Kommentar war nur Spaß…irgendwie.

Der Schwerpunkt liegt jetzt nicht auf der Kunst oder auf den Musikern, die in den Augen einiger das kriegen sollten, was sie verdienen. Der Schwerpunkt liegt auf den Förderungen und dem aufgesetzten Trottel, der auf seinem Laptop eine Ladung Musik von anderen Künstlern spielt und für einen Haufen Kohle stagedived oder sogar eine zweitklassige Reunion von einer Band, die es beim ersten Mal nicht auf die Reihe gebracht hat.

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Siehst du, dieser Scheiß ist extrem. Ich würde sagen wir gleichen alles aus und wer übrig bleibt oder die Eier/Eierstöcke hat weiter zu machen und das mit Würde und Integrität tut, wird definitiv ein paar moralische Standards für Musik und Kunst setzen, die die Leute schätzen können.

Danke Justin. Dein hoffnungsvoller Fatalismus gefällt mir. Ich werde dir bei deiner Erwartung vom großen Ausgleich beistehen… so lange es nicht meinen Auftritt als Online-Musikjournalist gefährdet.

Hey! Wir schreiben uns jetzt seit ein paar Tagen E-Mails…Es ist der 4. Juli! Ich feiere, indem ich Thor schaue und alleine indisch esse. Was machst du? Und, da wir das Thema Reunion vorher schon angeschnitten haben, will ich dich an dem Tag, wo wir die größte Hardcore Band überhaupt feiern, nämlich Amerika, fragen: über welche Bandreunion freust du dich am meisten? Und wann können wir die_ Swing Kids Reunion _erwarten?

Ich bin in Montreal, wo die Leute keine Ahnung von dem Feiertag haben, was echt krass ist. Ich habe gerade bei Vans gespielt, irres Essen gegessen und bin dann ein paar Stunden nach Toronto gefahren. Jetzt bin ich fertig.

_Zu den Reunions…Es wird keine Swing Kids Reunion geben. Swing Kids hat diese eine Benefiz Show vor ein paar Jahren gemacht in Bezug auf das Buch _Burning Fight. Das Line-Up hat uns garantiert zu spielen (Unbroken, Undertow, Festival of Dead Deer) und, da wir 25K für einen guten Zweck eingenommen haben, fühlte ich mich so, als hätte ich meine Integrität nicht verloren. Dennoch gab es eine Inkarnation oder so etwas namens Blue Note, was aus den restlichen Mitgliedern der Swing Kids und unserem Freund Nathan Joyner bestand, der auf ein paar Liveshows die Songs von Blue Note gespielt hat. Das Projekt wurde mit diesen Schritten erneuert und relevant gemacht. Ich weiß nicht, was die Originalversion der Swing Kids noch so drauf hat, zumindest mit dem musikalischen Handwerk aus der Zeit, in der wir anfingen. Und ich denke, die Dinge haben sich zum großen Teil weiterentwickelt, also haben wir das, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, aktualisiert und haben weiter gemacht, unseren Namen und unser Zeug geändert, besonders nach dem Eric Allen, der originale Gitarrist, verstorben ist.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Reunion in meinem Fall Sinn machen würde. Ich meine, ich würde mir wie ein Scheißkerl vorkommen, nach freier Musik zu fragen, um eine alte Band zurück von den Toten zu holen. Und ich habe überhaupt nichts dagegen uns selber das Genick zu brechen, indem wir unseren Namen ändern, das Line-Up und etwas moderneres machen. Ich würde auf alle Fälle nicht das tun wollen, was wir in der Vergangenheit getan haben. Das überlasse ich den zweit- und drittklassigen Bands, die über Antioch Arrow und Born Against ein bisschen zu spät gestolpert sind und jetzt aus der Sache Kapital schlagen. Das Zeug ist einfach langweilig.

Danke JP!

_RETOX _Ugly Animals_ ist bei Ipecac und Three One G erschienen._