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Interviews

Aaron Carter würde sich schämen, wenn er mit der Musik aufhören würde

Aaron Carter ist kein kleines Kind mehr. Er ist ein erwachsener Mann geworden, der sich heute mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt und noch immer Musik produziert.

Es ist der kleine, blonde Junge mit der Topffrisur und der orangenen Latzhose, der uns dank seines Bruders Nick und einer steilen Musikkarriere als Aaron Carter im Gedächtnis geblieben ist. Heute ist weder von der Karriere noch von dem kleinen Jungen viel übrig geblieben, stattdessen sitzt vor uns ein junger Mann, der ungeahnt offen mit sich selbst und seiner Vergangenheit umgeht. Aaron Carter ist inzwischen 27 Jahre alt, erwachsen, hat eine angemessene Frisur und trägt sehr enge Hosen, die nicht orange sind, was ebenso angemessen ist. Er ist gerade auf Europatour und spielt in einer kleinen Location in Berlin. Im Gegensatz zu früher hat er nicht seine Eltern dabei, die ihn damals managten und ihm unter anderem verboten, über seinen Bruder und die Backstreet Boys zu sprechen. Dafür ist heute seine Tänzerin, die auch seine Freundin ist, und ein neuer Manager dabei, dem es offenbar nicht ins Konzept passt, wenn Aaron über ernstere Dinge redet. Aber Aaron selbst hat nichts dagegen, er scheint es sogar gern zu machen und so spricht er mit uns über seine Kindheit, das Gefühl, eine Verantwortung auferlegt bekommen zu haben, und seine seltsamen Kindervideos.

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Noisey: Erst einmal, wie geht es dir?
Aaron: Sehr gut. Ich freue mich in Berlin zu sein. Das letzte Mal, als ich hier war, ist schon lange her. Es ist ein bisschen wie Zuhause.

Deine allererste Liveshow war in Berlin, als Support der Backstreet Boys. Erinnerst du dich noch?
Natürlich, das war die Show, die mir ein Plattenvertrag einbrachte. Es war verrückt. Es war die erste Show, die ich je hatte, vor 50.000 Leuten. Ich will wieder öfter hierher kommen.

Wie sind deine deutschen Fans? Ich erinnere mich, dass die Backstreet Boys immer mehr deutsche Fans hatten.
Ich weiß es nicht. Ich muss gucken, wie es wird. Aber ich liebe die deutschen Fans. Ich liebe sie mehr als amerikanische Fans (lacht).

Warum?
Warum? Weil sie einen mehr wertschätzen und sie mich viel länger kennen. Es ist einfach anders.

Was machst du denn heutzutage musikalisch? Du hast schon lange kein Album mehr veröffentlicht.
Ja, es ist eine Weile her, dass ich Musik veröffentlicht habe. Ich warte darauf, dass die richtige Situation kommt, statt schlechte Musik herauszubringen. Ich warte lieber für immer und veröffentliche gar keine Musik, als dass ich schlechte Musik auf den Markt bringe. Ich denke, dass ich mich ständig verändere und je älter ich werde, desto mehr verändern sich auch meine Ideen.

Weißt du inzwischen, in welche Richtung du gehen möchtest?
Es ist momentan schwer zu sagen. Ich will einfach Musik machen, gute Musik machen, gute Musik spüren. Ich will nicht so viel Druck darauf legen, wer ich vorher war und was ich vorher gemacht habe. Ich will mich mehr darauf konzentrieren, was mich jetzt beeinflusst und was ich jetzt gerne höre.

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Was hörst du denn gern?
Ich liebe R’n’B-Musik. Ich war schon immer auf der R’n’B-Seite, ob es darum geht, die Musik zu schreiben oder sie zu produzieren, ich mache nämlich auch Beats. Ich gehe also immer in diese Richtung.

Ist es für dich schwieriger, deinen eigenen Musikstil zu finden, da du so früh mit der Musik angefangen hast? Ich kann mir vorstellen, dass du mit neun Jahren noch nicht die Macht hattest zu entscheiden, was du genau machen möchtest.
Das Problem mit Kinderstars ist, dass sie sich zu sehr auf die Meinung anderer Leute fokussieren, weil sie nicht wirklich wissen, wie sie sich mit sich selbst identifizieren sollen. Wenn sie aufwachsen, machen andere Leute alles für sie, treffen alle Entscheidungen für sie, kaufen ihre Klamotten. Es muss einen Punkt geben, an dem du deine eigenen Identität findest und bei der bleibst du dann. Ich freue mich darauf, einen Teil von mir zu zeigen, den nicht viele Leute kennen. Ich habe zwei verschiedene Seiten. Es gibt die akustische Seite des Songwriting, die ich mache, Ed Sheeran-mäßig, und dann habe ich noch die Fähigkeit, meine eigene Musik zu produzieren, meinen eigenen Stil. Ich kann selbst Beats bauen und die sind ziemlich gut… meiner Meinung nach. Und andere Leuten sagen das auch. Ich könnte das auf ein nächstes Level bringen, was ich auch wirklich machen möchte. Viele Leute wissen nicht, dass ich produziere, aber es ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Das hilft mir, kreativ zu sein und meine Gedanken bei der Musik zu halten. Ich bin auch ein Pianist.

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Foto: Aljoscha Redenius

Die ultimativ beste Version von mir selbst wird sein, wenn ich an den Punkt komme, an dem ich mein Songwriting und meine Stimme auf einen Beat legen kann, den ich selbst gemacht habe. Und dann bin ich ein richtiger Künstler, finde ich. Viele Leute bekommen Musik von anderen Leuten, aber ich kann wirklich alles selber machen, aber ich warte immer noch, bis ich an diesen Punkt gelange. Und wenn ich an diesen einen Punkt gekommen bin, will ich ein Album machen, das ganz allein von mir kommt.

So kann dich auch niemand auf das kindische Pop-Ding reduzieren, das du damals hattest, denn wenn du alles selbst machst, bist du unabhängig davon ein Künstler.
Ja. Das ist das erste Mal, dass ich darüber in der Tiefe gesprochen habe, aber du hast mich dazu gebracht, darüber nachzudenken. Wie ich gesagt habe, wird das die ultimative Version von mir sein, ich wachse noch und komme erst an diesen Punkt. Wenn es um das Veröffentlichen von Musik geht, ist der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen. Ich hatte immer noch mit Dingen aus der Vergangenheit zu tun, die ich noch verarbeiten musste, aber das habe ich jetzt. Das hat mich daran gehindert und es mir nicht ermöglicht, Musik zu veröffentlichen. Jetzt habe ich die Chance das zu tun und ich hoffe, ich mache es richtig.

Performst du noch deine alten Songs?
Ich performe noch zwei, „I want Candy“ und „Aaron‘s Party“.

Wie fühlt sich das an?
Es ist cool, es ist schön, die Reaktionen zu sehen. Viele Leute sagen immer, dass es so toll ist, wenn ich die alten Songs spiele. Es muss sie irgendwann in ihrem Leben berührt haben. Aber ich war damals auch da, also erlebe ich das Gefühl jedes Mal, wenn ich auf der Bühne bin, wieder. Jedes Mal, wenn sie nostalgische Energie versprühen, erlebe ich das Gleiche. Es ist ein bisschen wie mit ihnen zurück in der Zeit zu gehen.

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Ich habe ja gehofft, dass du „Crush On You“ spielst.
Ich weiß, wenn ich zurückkomme, spiele ich „Crush On You“. Ich war schon lange nicht mehr hier, ich will langsam zurückkommen. Ich werde all das Zeug zurückbringen. Erstmal sage ich „Hallo“, gehe zurück in die Staaten, komme mit mehr neuer Musik zurück und bringe dann die Remixe und „Crush On You“ und „Crazy Little Partygirl“ und „I’m Gonna Miss You Forever“. Ich kann es jetzt noch nicht machen. Ich will mich irgendwie rückwärts reintegrieren.

Es macht auch Sinn. Die meisten Leute, die heute hier sind, erwarten wahrscheinlich auch, dass du all deinen großen Hits spielst.
Ich nehme die Herausforderung an, Songs zu performen, die niemand zuvor gehört hat. Dann bin ich wie ein neuer Künstler, nicht anders als der Typ, der heute für mich Support spielt.

Wer ist er eigentlich?
Ganz genau (lacht). Das ist ja mein Punkt.

Du hast 2006 eine Realityshow House of Carters mit deinem Bruder und deinen Schwestern gedreht. Wie blickst du darauf zurück?
Es ist einfach ein kleiner Moment aus meinem Leben, der im Fernsehen festgehalten wurde. Es war einfach die Familie, die in einem Haus lebt. Es war cool.

Du kommst ja aus einer sehr berühmten Familie. Wie wichtig ist Familie für dich?
Familie ist sehr wichtig. Aber es ist auch sehr wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen, mich mit mir selbst zu identifizieren und meinen eigenen Weg zu gehen. Das ist auch wichtig.

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Wann hast du begonnen, deinen eigenen Weg zu gehen?
Als ich nicht mehr mit meinem Bruder auf Tour ging… 1999. Ich war ungefähr 11. Ich war schon ewig nicht mehr mit Nick auf Tour.

Und du denkst, dass du seitdem auf eigenen Beinen stehst? Das ist sehr früh.
Ja, absolut. Meine Manager früher, sogar meine Mutter, haben immer gesagt, sie wollen nicht, dass jemand Fragen zu Nick oder den Backstreet Boys stellt. Das haben sie immer gesagt, also konnte ich nicht darüber sprechen. Sie wollten mich immer davon trennen. Sie wollten, dass ich mein eigenes Ding mache.

Hat dich das gestört?
Manchmal, ja. Aber gleichzeitig auch nicht, weil ich nicht möchte, dass mein Erfolg oder mein Talent von irgendetwas anderem abhängt als von meinem Bemühungen.

Stört es dich jetzt?
Nein. Als kleines Kind war es die eine Sache, aber jetzt ist es mir egal.

Wolltest du mal etwas anderes werden? Du hast so jung angefangen, andere Kinder wollen mit neun Jahren vielleicht Arzt werden.
Es ist schwer zu sagen, theroretisch ja. Theoretisch wollte ich mal ein Meeresbiologe werden. Aber wahrscheinlich ist der einzige Grund, warum ich das gesagt habe, weil ich diese Frage immer gestellt bekommen habe, als ich so jung war. Ich musste irgendwas sagen, was ich mochte. Ich dachte, es wäre cool, sich mit dem Meer zu beschäftigen, weil ich dort aufgewachsen bin. Ich habe so jung angefangen, dass es schwer war, irgendwas anderes für mich zu finden. Es fühlt sich fast wie eine Pflicht an, die mir von oben von einem König, einer Königin oder einem Prinzen übergeben wurde, als hätte ich keine andere Wahl. Ich muss das tun. Es war wie eine Verantwortung, die mir auferlegt wurde. Ich sollte kein Kaufmann sein, ich sollte ein König sein.

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Da du aber wirklich sehr jung warst, hättest du zum Beispiel mit 20 Jahren noch die Option gehabt, dir etwas anderes auszusuchen. Hast du da jemals darüber nachgedacht?
Für mich hat es sich angefühlt, als ob ich niemals etwas anderes tun könnte, das wäre so peinlich.

Warum wäre es peinlich? Für dich selbst?
Ja, hell yeah. Ich glaube, das wäre seltsam, es wäre mir peinlich. Wenn jemand kommt und sagt, „Hey du bist Aaron Carter…

…und du bist jetzt mein Zahnarzt.“
(lacht) Ja, weißt du, was ich meine… Nein, das geht nicht. Das ist meine echte Antwort: Es wäre mir peinlich. Ich muss. Das ist so eine Sache.

Wegen der Verantwortung oder der Liebe zur Musik?
Ich liebe die Musik. Ich liebe es, wenn Leute mich belohnen und loben, weil ich performt habe. Wenn jemand sagt, „Oh mein Gott, es ist so gut“, dann freue ich mich. Es ist gut, weil es die Musik ist. Es geht immer um die Musik. Ich identifiziere mich mit der Musik. Ich habe kein normales Teenagerleben geführt, in dem ich irgendwann zur Musik kam, so wie viele andere. Ich habe so jung angefangen, es war fast wie eine Sprache. So schnell habe ich das gelernt.

Ist es sehr seltsam, diese frühen Songs zu hören?
Oh mein Gott… (lacht)

Wenn ich zum Beispiel an meine Kindheit denke, sehe ich all diese schrecklichen Fotos als Kind, aber du hast Musikvideos…
(lacht) Ja, es ist ziemlich lustig. Manchmal spiele ich Leuten die alten Videos vor. (Zu seiner Freundin) Habe ich dir mal Musikvideos gezeigt, in denen ich wie ein kleines Mädchen aussehe?

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(Sie schüttelt den Kopf.)

Das ist wahrscheinlich auch gut so. Es ist fast wie Kindervideos von Zuhause zu sehen. Es ist so seltsam, weil die meisten Leute Kinderfotos haben. Ich habe auch Fotos, aber meine sind anders. Auf meinen sind Mädchen um mich herum. Es gibt keine Homevideos, es gibt nur Musikvideos. Wenige Leute können sich in mein Leben einfühlen.

Deine Kindheit hat in der Öffentlichkeit stattgefunden.
Ja, natürlich. Und die Kindheit, die ich zuhause hatte, war so isoliert, dass sie sich nicht mal wie eine Kindheit anfühlte. Es war auf jeden Fall eine seltsame Dynamik.

(Manager: Letzte Frage)

Was meinst du mit isoliert?
Ich hatte nicht viele Freunde, viele wussten, wer ich war, deswegen waren ihre Intentionen oft nicht so gut. Meine Mutter und mein Vater, meine Manager, wollten mich beschützen. Es war sehr schwer, ich konnte nicht zu Footballspielen in High School oder aufs College gehen. Es war anders. Und deswegen fühle ich mich auch so, als müsste ich das machen. Egal was passiert und wie schwer es wird, ich muss weitermachen.

Das sind schöne Schlussworte.
Das war auch meine Intention (lacht).

Du bist so ein Profi.
Ja, ich weiß.

(Zu seinem Manager) Hast du gesagt, das Interview war viel zu ernst?

(Er nickt)

Nein, das ist schon okay.

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