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Wer den deutschen Rap bald (wieder) töten wird

Deutscher Rap ist am Ende, Mann. Wer wird ihm den Gnadenschuss geben? Chimperator, Jimi Blue oder doch Xavier Naidoo?

Deutscher Rap befindet sich aktuell auf einem beeindruckenden Hoch. Wer bereits ein paar Jahre die deutsche Musiklandschaft beobachtet, wird sich unweigerlich an eine Zeit vor etwa 12 Jahren erinnert fühlen, damals war Rap aus Deutschland schon einmal sehr groß—bis die Blase platzte. Und wie. Vielleicht war der Knall damals auch so gigantisch, weil gleichzeitig durch den unaufhaltsamen Aufstieg von Share-Plattformen im noch einigermaßen neuen Internet der gesamten Musikindustrie plötzlich die Luft ausging … aber die Parallelen zum aktuellen HipHop-Hype sind trotzdem erdrückend.

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Es scheint, als würden wir uns dem Peak nähern (wenn wir ihn nicht längst erreicht haben), eine gewisse Skepsis macht sich breit, was die weitere Entwicklung des deutschen Rap angeht: Überall schießen Rapper und Möchtegern-Rapper aus dem Boden und wollen ein Stück vom leckeren Erfolgskuchen. Doch wir sind uns sicher, dass der Hype sehr bald vorüber ist und Rap (wieder) sterben wird. Es wird der Moment kommen, an dem jemand dem Rap den Hahn zudreht und er wieder elendig in sich zusammenfällt. Irgendwo gibt es einen Judas, der Rap im Zweifel verrät, einen Brutus, der im entscheidenden Moment das Messer zückt, einen gefallenen Engel, der seine Chance sieht, zur Konterrevolution aufzurufen.

Wir haben uns auf die Suche nach dem potenziellen Rap-Mörder gemacht.

Bushido und/oder Sido

Damals Ende der 90er war Deutschrap so richtig groß, vor allem der damals typische Mainstream-Pop-Spaß-Wortspiel-Rap der Mittelschicht-Kids mit Abi in der Tasche. Neben ein paar Leuten, die wirklich etwas bewegt haben und überhaupt dazu beigetragen haben, dass Rap so unfassbar groß wurde, sprießte in Raps Kräutergarten plötzlich jede Menge Unkraut. Das lag vor allem daran, dass die Industrie auf Teufel komm raus am Trend verdienen wollte und alles und jeden mit einem Plattenvertrag und einer Nase Koks ausstattete, der nicht bei drei auf dem Baum saß und annähernd vier Worte aneinanderreihen konnte. Irgendwann platzte die Blase mit einem riesigen Knall. Ein Trend ging rum und er hieß Battle-Rap. Harte Jungs wie Azad oder Kool Savas beendeten die Langweile und harte Jungs wie Sido und Bushido besetzten früh den Bereich des Gangsta-Rap. Das Land war sehr fasziniert und sehr schockiert von den Texten der Aggro-Crew. So fasziniert und schockiert, dass niemand merkte, dass keiner der -idos außergewöhnlich talentiert war.

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Zehn Jahre später ist Letzteres unter Rap-Fans Common Sense, trotzdem mischen die Herren noch immer irgendwie im Biz rum—Sido versucht sich inzwischen an der Art von Musik, die er damals kurz und klein geschlagen hat: Pop und sieht dabei aus wie Schwiegermutters Traum höchstpersönlich. Hätten wir damals geahnt, das dieser Mensch sich unter der Maske versteckt, wir hätten ihn niemals ernstgenommen. Und Bushido? Der lässt sich immernoch ein paar Zeilen schreiben, die es ansatzlos auf den Index schaffen und in ganz Deutschland die Moralglocken klingeln lassen.

Wird das den Rap töten? Vermutlich nicht. Wird es den Rap am leben halten? Niemals. Bushido und Sido lassen den Rap einfach altern und irgendwann von selbst sterben.

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Chimperator

Mal kurz Ironie beiseite: Wir haben ehrlichen Respekt für Chimperator, Respekt für Cro, Respekt für diesen unfassbaren Aufstieg von unten nach ganz oben. Da steckt ehrliche Arbeit und viel Herzblut hinter und damit ist alles, was im letzten Jahr geschehen ist, verdient. Chimperator hat sich ein Geschäftsmodell erarbeitet, es erfolgreich gemacht und jetzt wird das ausgenutzt. Aber nach den Cro-Klonen Sam jetzt mit Weekend den nächsten rauszuschmeißen, der genau so klingt und ähnlich inhaltsvolle Songs veröffentlicht!? Das kann nicht gut gehen.

Wird Chimperator den Rap töten? Wir hoffen mal, dass Cro und seine Klone dafür zu harmlos sind. Aber wir befürchten, dass sie gefährlicher sind als wir ahnen. Also: durchaus.

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Jimi Blue

Irgendwann wird der Tag kommen, an dem alle sagen, dass Jimi Blue ein verdammt guter Rapper geworden ist, an dem sich urplötzlich und vollkommen ohne nachvollziehbare Gründe die allgemeine Einstellung zum verzogenen Ochsenknecht-Sprössling ändern wird. Es wird der Tag kommen, an dem es cool ist, Jimi cool zu finden. Anfangs mit der natürlichen Ironie moderner Großstädter, die sich nach außen hin über JB lustig machen und ihn insgeheim feiern, dann mit betrunkenen Spätnacht-Gesprächen, in denen zugegeben wird, dass man JB schon ewig für unfassbar talentiert hält, dann mit Blogeinträgen darüber, wie gut und verkannt doch dieser junge Mann ist. Problem: Er ist es nicht.

Wird er den Rap töten? Ja, wird er.

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MC Fitti

Mal ganz locker, eigentlich ist Fitti echt lustig, nimmt das Leben leicht, bringt ein wenig Sonnenschein, Flamingos und jede Menge Konfetti in unser Leben und das ist doch cool. Aber was, wenn die Kids anfangen zu glauben, dass es sich hier um Rap handelt? Was wenn die Kids die Ironie nicht schnallen und statt an ihren Worten und Flow nur noch an ihrem Bartwuchs feilen?

Wird eine Welle von Möchtegern-Fittis dieses Land und mit ihm die komplette Rap-Welt plattwalzen? Sehr wahrscheinlich.

Xavier Naidoo

Xavier ist ein von Gott gesandter Rache-Engel, der einen nach dem anderen jeden großen deutschen Rapper mausetot machen wird. Weil wir uns aber nicht mehr in den Zeiten des Alten Testaments befinden, spritzt dabei weder Blut noch wird irgendjemand an irgendein Kreuz genagelt. Xavier arbeitet brutal, aber subtil: Er ködert seine Opfer mit Geld, Erfolg und Ruhm, lässt sie am Leben, macht sie zugleich aber als Rapper tot. Angefangen hat er mit diesem perfiden Plan gleich mit einem der größten Rapper, die dieses Land je gesehen hat: Savas aka KKS aka Kool Savas. Gottes Rache für „Lutsch-mein-Schwanz“-grölende Kinder und „Meine Style ist wie AIDS und fickt als allererstes Schwule“. Der unblutige Pfad Xaviers, sozusagen. Rapper dieses Landes, nehmt euch in Acht, wenn ein Brief aus Mannheim bei euch auf dem Schreibtisch landet.

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Wird Xavier Naidoo den Rap töten? Vermutlich. Die Mischung aus Judas, Brutus und Lucifer ist nicht aufzuhalten. Das besagt schon ein flüchtiger Blick in die Weltgeschichte.

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Casper

Im Grunde sind wir uns sicher, dass der Brutus, der den letzten Stich tut, jemand sein wird, von dem es niemand erwartet. Jemand, der nicht nur groß ist, sondern auch angesehen. Klar, schon jetzt wird die Diskussion, ob Casper dem Rap im Allgemeinen eher gut tut oder schadet, im Internet sehr intensiv und voller Inbrunst geführt. Aber im Grunde wissen wir doch alle, dass Casper geilen Scheiß macht und—auch wenn er musikalisch gar keinen Rap macht—ein verdammt guter Rapper ist. Und genau da liegt die Gefahr: Er beherrscht ein Genre, das ihn selbst aber offensichtlich langweilt.

Wird Casper irgendwann so gelangweilt sein, dass er zusticht? Gegenfrage: Könnte man es ihm verübeln?

Moneyboy

Moneyboy arbeitet ziemlich offensichtlich am Tod des Rap. Er ist wie eine wandelnde Panzerfaust, die allerdings (bisher) immer daneben schießt.

Wird Moneyboy den Rap töten? Solange er nicht irgendein göttliches Zielwasser trinkt, schießt er hoffentlich bis an sein Lebensende daneben.

Fünf Sterne Deluxe

FSD sind quasi die prädestinierten Retter des Rap, wohl deshalb starten sie nächste Woche ein Comeback—göttliche Fügung. Gut, erstmal spielen sie nur ein Reunion-Konzert, aber the word is on the street, dass sich daraus ein ernsthaftes Comeback entwickeln könnte. Uns als alte FSD-Jünger freut das natürlich erstmal. Aber wenn wir länger darüber nachdenken, löst sich unsere Freude schnell in Skepsis auf. Die Lust auf neue Musik von Fünf Sterne ist vermutlich größtenteils der guten alten Nostalgie gewidmet und man stelle sich mal vor, noch mehr Rapper aus den goldenen Neunziger würden auf die Idee kommen, jetzt, wo Rap wieder richtig groß ist, neuen Shit rauszubringen: Die Firma, Too Strong, Massive Töne, Afrob, Nico Suave, Toni L (merkt ihr was?) … Muss das sein? Ich denke nicht.

Wird FSD den Rap töten? Mit Sicherheit.

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