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Romano ist der Untergang eurer engstirnigen Genre-Grenzen

Romano, der Typ mit dem drollig-ernstem Olaf-Schubert-Gesicht und den beiden geflochtenen Zöpfen, will trotz Major-Vertrag kein Sell-Out sein.

Romano ist die Kunstfigur, die keine sein kann. Der Junge von der Ecke, der in der kalten Betonstadt Berlin zum Kultur-Junkie mutierte. Wie sehr seine Aura vom Fieber Vielfalt zittert, zeigte uns das kuriose Wesen selbst. Mitte März ließ der Köpenicker die Musik-Nerds unseres Landes in einen prismatischen Spiegel der Selbstentblößung blicken, als er mit dem bizarren „Metalkutte“-Video wie ein tobsuchtsanfälliges Gewitter durch die digitalen Verstandsverdreher aka Medien herrschte. Mit drollig-ernstem Olaf-Schubert-Gesicht, sein blondes Haar zu zwei Zöpfen geflochten, rappt er in goldglänzender San Francisco 49er-Jacke auf minimalstem Grime-Beat über derbe Death-Metal-Bands wie Deicide und Black Metal-Terror von 1349. Im Hintergrund tanzen Headbanger mit Corpsepaint. Der Anfang allen Untergangs, der Albtraum aller Talentscouts.

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Kann der das ernst meinen? Ist der noch ganz sauber? Der kriegt doch nachts den Unterkiefer über die Nase geklappt! Tatsächlich nicht: „Komischerweise erlebe ich auf der Straße sehr sehr viel Liebe“, bleiben die Arme von Romano offen. Wie kann das sein? Keine Hasstiraden engstirniger Musikfreunde? Kein Shitstorm? Nein, Wildfremde fallen ihm seit Jahren um den Hals, Metaller in der ELSE grüßen ihn und Schlager-Muttis schenken ihm Rosen auf der Bühne. Romano weicht mit seinen schamlosen Stil-Verwirbelungen Neidern und Hatern gleichermaßen aus. Heute ist er der Mann in der Mitte der Musikwelt, ohne Fixpunkt, aber immer geradeaus. Die goldene Gans, die mit dem Trüffelschwein gejagt wird. Aber: Aus welchem Nest kommt der bunte Vogel gekrochen?

Romano, Cornerboy, MC Ramon, Left Coast sind ein paar seiner Pseudonyme. Roman Geike heißt er wirklich; ein gepflegter Mann Mitte/Ende 30 aus Berlin Köpenick, ein Sekt-, Kaffee- und Erdbeerkuchen-Liebhaber, Imbissbuden-Versteher und Musik-Nerd. Einer, der so offen auf Stilmittel zugeht wie auf Leute. Als Erstklässler schnappte sich Roman unverblümt den Zeigestock und sang „I Want Your Sex“ von George Michael. „Ich hatte einfach Bock, die Leute zu unterhalten“, gibt Geike seinen Lebensinhalt wieder. Später ist Romano überall zu sehen: Auf der Straße singt er Schlager, in Tschechien gibt er Drum and Bass-Partys, in Australien wird er als Techno-Rapper berühmt, in Los Angeles wütet er mit seiner Crossover-Kombo übers Parkett. Romano ist ein Nimmersatt der Nischen, der alles mitnimmt, was in seine trainierten Tanzbeine dringt.

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Von der Mutter bekam der junge Roman Geike 80er-Jahre-Pop mit auf den Weg, auf dem Rücken vom Vater entdeckte er Beatboxing: „Kr ch tiki kr, mich hat Rhythmus gereizt, das war entscheidend. Rhythmus hat mich weitergetragen. Im HipHop kann man Worte wie ein Schlagzeug verwenden.“ So fand Romano zu seiner größten Liebe. Breakdance, Graffiti, Skaten, alles mitgemacht. Als Kiddie wanderte er aus dem sozialistischen Wohnblock-Ghetto Köpenicks vorbei am Stadion An der Alten Försterei zum all eins eV, was heute der Mellowpark ist. „Da konntest du das Mikro einfach in die Hand nehmen und rappen.“ Mit 15 war das, da hat Romano seine ersten Texte auf Deutsch geschrieben, „Im Schritt alles fit“.

Das war alles nach der Wende, wo er auch anfing, in Baggypants und im vom Taschengeld gerade so bezahltem lilanen Vikings-Windbreaker zu Raves zu gehen. In all den Kellerlöchern Berlins, die durchs vereinte Deutschland Freiheit atmeten. Und da war von abartig bis urkomisch alles dabei: „1992 war ick zum ersten Mal im Bunker. Ein alter Luftschutzbunker in der Friedrichstraße, der jetzt privat ist. Unten lief Techno-Acid, in der zweiten Etage Gabba und oben waren Gang-Bang-Partys und homoerotische Aktionen am Start.“ Damals noch, bevor der kleine Bursche die halbe Welt erkundete, durfte er selber so etwas wie einen Schockmoment fühlen. Zu krass war der Kontrast zu seinen sonstigen Steckenpferden Zulu Nation und Hip-Hop-Jams: „Ick bin mit meiner Thermojacke da rin, ick hab die Welt nicht mehr verstanden.“

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Das Feuer der Vielfalt war entfacht, Geike aber noch lange nicht am Ende seiner Mission: „Parallel hab ick och immer wieder Metal-Sachen geguckt. Von Morbid Angel gab’s so ein krasses Video: ‚God Of Emptiness‘. Wo der Dämone sich entblößt, diese doomige Nummer. Was war das denn Krasses?“ Chaos war Romano aufs Gesicht getackert, der 90er Black Metal seine dunkle Welt zum Ertrinken der Gedanken. Norweger, die „was anbrennen“ ließen, scherzt er. Oder wie die befreundeten Linken aus dem Café Köpenick, die mit fackelnden Autos in die benachbarte NPD-Filiale Deutschland gebrettert sind. „Da hat oft die Luft geraucht zu der Zeit.“

Kurz nach der Wende blühten Szenen auf wie Klee im Sommer. Fast alle trafen sich in wenigen Klubs, Spannungen vorprogrammiert. Hip-Hop-Heads, Metaler, Grufties, Sharp Skins, alles vereint. „Bunte Mischung“, und Romano war überall. „Nach 1989 sind eine Menge Einflüsse auf so ein Kind eingestürmt und ick hab nichts sofort abgelehnt. Ick hab’ das mal so auf mich wirken lassen“. Ein moderner Hippie gedieh, der bis heute pro Toleranz wirbt. „Unter den ganzen Szenen, die es gibt, ist man ja auch Mensch. Das verbindet uns, die Grundessenz von allem.“

Romano ist eine Art Schmetterling auf Acid, seine fiebrigen Fühler zu allen bunten Farben und Formen ausgestreckt, um jede Essenz gierig zu verschlingen. Dank dessen schloss sich der Genre-Genießer 1996 der Rock-Rap-Reggae-Reisegruppe Maladment an, die sogar Unterschlupf beim Major Label BMG fanden, „erstes Videodreh in Los Angeles.“ West Coast, genau sein Ding. N.W.A., Eazy-E, Body Count, Too Short, Bay Area. „Ich war der smoothe Boy von der Westküste. Wenn der Beat gesurrt hat. Snoop Dogg, Palmen, Sonnenschein.“ Für Maladment ging es Schlag auf Schlag: das legendäre South By Southwest Festival mit den Guano Apes gespielt, einen Hit mit „Babe“ gelandet, auf Sampler wie „Crossing All Over!“ neben Korn und Fanta 4 aufgetaucht, in „Polizeiruf“ mitgespielt, Viva Zwei-Interview mit Kafka, als „Lord Of The Bords“ rauskam, die „Crossover-Deutschland-Hochphase“ mitgenommen, bevor dann „knapp ein halbes Jahr später Limp Bizkit rüberkamen.“ Maladments einziges Album hieß passend „2 Hang & Bang 2“. Kam beim Label aber gar nicht an. Stattdessen waren glattgebügelte Boygroups zum Glattbügeln in, „die Idee der Plattenfirma war sehr poppig, unser Ansatz war: ein Sixer Bier hingestellt und Musikmachen.“

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Vorbei der Traum. Im Taumel der Erfolgsverwöhnheit ging’s zurück zum Drum and Bass-Gewitter. MC Ramon wurde Teil der Jungle-inspirierten Hitek Crew mit Lars Lavendel, die zusammen im Ostblock zwischen Polen und Tschechien unterwegs waren. Dann lernte Roman 2003 Jan Driver über seinen Kindheutsfreund Moritz Friedrich aka Siriusmo kennen. Eine Kollabo, aus der ein echter Hit fruchtete: „Ladies Want It“ ist „in Australien bei der Firma Just Jeans—sowas wie H&M bei uns—zur Werbung geworden.“ Romano rappt: „all the players everywhere, let’s do it, ladies want it“. Heute würde man den spaßigen Gesellen darin nicht mehr erkennen, zwischen leicht verfremdendem Autotune und Reggae-angehauchtem Rap auf Englisch.

Nach Rap, Metal und Drum and Bass war das Herz des Tausendsassas immer noch nicht mit Lebenselixier gefüllt. Er musste krasser seiner eigenen, unergründlichen Person entfliehen. Also Schlager. Wieder mit Techno-Tier Jan Driver. Offiziell ist davon aber nur die EP Blumen für dich erschienen, eifrig unterwegs war Romano trotzdem, tauschte sogar die 49er-Jacke mit dem faltenfreien Hemd in weiß. „Maßgeblich waren wir in Thüringen und Sachsen unterwegs.“ Aber auch bei legendären Partys in der Bar 25 und im Kater Holzig war seine sanfteste Stimme zu Gast, für die Druffies, die schon drei Tage am Stück umherwankten. Fast eine Stunde gingen seine Gigs. Nach all der guten Laune in Liedgut wie „SOS ich liebe dich“, „Halt mich“ oder „Worte der Liebe“ fiel Romano aber mit dem Abstreifen des Hemdes auch ein Stein vom Herzen: „War lustig, ich hatte die Schlager-Auftritte, aber im Auto immer noch eine gute Black Metal-CD. Zum nächsten Auftritt habe ich mich wieder neutralisiert. Eine alte Satyricon, um wieder auf Level zu kommen.“

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Blumen für dich-EPs gab Romano in Köpenick beim verlebten Imbiss an der Ecke ab. Wo Otto Normalverbraucher höchstens mit verachtendem Blick hinschielt, quatschte der Cornerboy sich fest: „Einer hat gesagt, er hat aufgehört zu trinken, da hab ich ihn umarmt und mich gefreut.“ Mitleidstour? Von wegen. Das Wunder Weltoffenheit in persona. Damit ging Romano aber nicht hausieren. Nach Anerkennung schrie er nie, lauschte nur seinen Leidenschaften. Was ihn umso interessanter machte. Jene Exklusivität begriff „Supergeil“-Erfinder Jakob Grunert ziemlich schnell, der zuvor den lustig-verschrobenen Friedrich Liechtenstein in die Edeka-Werbung und später bis zum Medienwitz ECHO 2014 brachte. Jakob lernte Moritz alias Siriusmo kennen und Anfang 2013 dann Romano. Schnell war er vom Original hingerissen, wollte ihn wie Liechtenstein in seinem natürlichen Habitat ablichten.

Also sollte sich der Cornerboy unverblümt in seiner Hood Köpenick zeigen, beim Waschgang, Pediküre und Kaffee und Kuchen mit den Tanten. „Itchy/Cornerboy“ heißt das exotische Video aus dieser sonst farbleeren Heimat. Vor dem Dreh hatte Romano richtig Bammel. „Ick bin ja kein ausgebildeter Schauspieler“, aber das war auch nicht sein Job. „Wir entschieden uns, meinen Alltag zu zeigen. Keiner in dem Video ist ein gecasteter Schauspieler.“ Im Juni 2013 feuerte das Dreiergespann Friedrich, Grunert und Geike das auffallend leichtblütige Video raus, bis August waren hunderttausende Klicks generiert. Euphorie ging in Ekstase über: „Jakob rief mich dann früh um 9 Uhr an: ‚Wollen wir nicht mal was Geiles machen? Mit Moritz?‘ Moritz ist ja für mich der Beatbauer vor dem Herren“, leuchteten die blauen Augen vom Blondschopf. Grunert hatte eine knackige Idee, gab die Marschrichtung vor: „Sing über das, was dich interessiert. Lass die Leute so nah ran, wie du willst.“

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Und das tat Romano mit dem ungreifbaren „Metalkutte“. Mit eigenwilligen Tracks wie diesem ging Jakob Grunert dann bei ein paar Labels hausieren und konnte tatsächlich Virgin Records überzeugen, den Paradiesvogel ins Roster zu nehmen. Eigentlich ja ein komischer Schachzug für solch einen Kauz wie Romano, der jahrelang im Untergrund sein Glück fand und will.i.am bei uns schon als „sell-out-whore“ bezeichnete. „Wir haben allen Freiraum, den wir uns nehmen wollen“, und dann noch mehr Möglichkeiten, blockt Romano etwaigen Ausverkauf ab. „Nicht mal bei Maladment verfielen wir Sell-­out, wir haben die Plattenfirma verlassen, weil die eine Boygroup wollten. Ich frage mich, was könnte man mir vorwerfen?“, lacht er herzlich und weist den Weg in die Zukunft: „Sell­-out müsste man mal bei mir in den nächsten Jahren beobachten, wenn ich permanent in einer Ariel-Werbung auftauche.“

Der Mann hat gut lachen. Am berühmt-berüchtigten 11. September erscheint sein Debüt „Jenseits von Köpenick“. 13 Songs voll straightem Rap über flirrend-freundliche Grime-Beats („Klaps auf den Po“, „Brenn die Bank ab“) bis zu poppigem Schlager („Romano & Julia, „Köpenick“) sind alle Facetten dieser einzigartigen Type enthalten. Zwei Jahre wurde dafür im Geheimen getüftelt, Promo gab es seit Video-Veröffentlichung von „Metalkutte“ bis auf ein Metal Hammer-Interview nicht. Sogar den Spiegel ließ Romano abblitzen. Erstmal das explodierende Interesse verdauen: „Ick hab gestaunt bei ‚Metalkutte‘, weil’s für mich das Normalste ist, was es gibt, über das zu singen, was ich gerne mache.“

Romano ist Profi, kein am Reißbrett zusammengeplanter Werbe-Fuzzi-Quark. Eher ein authentischer Aktivist für Empathie: „Ich möchte die Facetten des Lebens mit einer positiven Attitüde zeigen. Was ich ganz schlimm finde: über Szenen zu urteilen oder sich lustig zu machen. Grenzen setzt man sich nur im Kopf.“ Mauern kennt er nur aus der DDR. Nach einer Post-Sozialismus-Sozialisierung in „90er-Metal, Techno, Hip-Hop, der Grunge-Kultur, der Jungle-Geschichte, Garage, hat’s mich nochmal richtig 2004 gepackt. Das Grime-Ding hat mich abgeholt.“ Was ihn geflasht hat, waren die „eigenartigen, abstrakten Beats und krassen Raps“, so beschreibt Romano Grime und irgendwie auch seine Mucke zusammen mit Beatbauer Siriusmo. Wenn wie bei „Metalkutte“ genau das passiert: „Wow, mein Hoodie fällt ab.“

Romano ist „wie ein dickflüssiger Sirup, der zusammengekippt wird mit Essenzen. Mit allem, was jetzt hier ist, das ist der Stand aus der gesamten Musiksache, die ich in 18 Jahren erlebt habe.“ Und weil Romano so wild mixt, was da in ihm wuchert, traut sich auch kaum einer, auf seine Schwächen loszugehen. Worüber auch lustig machen, wenn Leidenschaft ungreifbar ist? „Ich mach’ mir keinen großen Kopf, was geht und was nicht. Da bin ich ein Kind, das einfach macht. Ich brauche keine Mutti, die sagt, das ist verboten. Wenn ich mich entscheide, jemandem einen Klaps auf den Po zu geben, dann treffe ich die Entscheidung mit aller Konsequenz.“ Genau so, wie er sich für den Wahnwitz Romano entschied. „Musik ist wie das Wasser im menschlichen Körper, das Lebenselixier. Musik ist für mich Leben, Leidenschaft, Liebe.“

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