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Ein Tag im Gorillakostüm—Ein Selbstversuch

Du kennst diese Deppen, die sich in Ganzkörperkostümen aufs Festivalgelände begeben? Ich war einen Tag lang so ein Depp.

„Es wird sehr heiß, bis zu 37 Grad. Denkt an Sonnenschutz und Kopfbedeckung“, mahnt die Highfield-App während der Anreise. Natürlich denke ich daran. Ich bin ja nicht bescheuert. Mein Sonnenschutz ist ein schwarzes Fell („100 % plush. Dyes might not be colourfast“ stand auf der Packung). Und die Kopfbedeckung ist eine Gorilla-Maske, ebenfalls mit Fell besetzt, innen gummiert, mit zwei Nasenlöchern und kleinen Schlitzen für die Augen.

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Ich bin also doch bescheuert. Denn ich will endlich das rätselhafte Phänomen des Festivalganzkörperkostüms ergründen. Was zur Hölle treibt die ganzen Deppen an, die du ständig als Krokodil auf dem Zeltplatz siehst, die dich als Schlumpf anrempeln oder dir als wandelnder Penis die Sicht versperren? Haben die wirklich mehr Spaß? Leben die einen Fetisch aus? Wie pissen, kacken und essen die? Und was tragen sie drunter? Deshalb: ein Tag als Gorilla auf dem Highfield. Willkommen in der Affenhitze.

Gleich morgens geht es los. Echte Gorillas schlafen in provisorischen Nestern, die nur für eine Nacht genutzt werden. Genau so sieht auch der Zeltplatz beim Highfield aus: wacklige Behausungen, ein Boden voller Essensreste und ein paar dekorativ verstreute Bierdosen. Ich klettere aus dem Zelt und höre sofort motivierende Worte von den Umstehenden: „Du bist ja völlig irre, bei der Hitze. Das hält doch kein Mensch aus!“ Wer da ruft, der weiß nicht: Ich bin kein Mensch. Ab jetzt bin ich Gorilla.

Auf geht’s zum Festivalgelände. Durch die kleinen Löcher in der Maske sehe ich nur, was unmittelbar vor mir ist. Links, rechts, oben und unten ist es dunkel wie in einem Affenarsch. Wer hat mir da gerade auf die Schulter geklopft? Bin ich eben in Scheiße getreten? Läuft neben mir jemand in einem noch ärgeren Kostüm? Das alles kann ich nur erkennen, wenn ich den Kopf genau in die passende Richtung drehe. Ich kriege also optisch nur einen winzigen Ausschnitt der Welt mit (dafür aber mit anderen Sinnesorganen die kompletten Ausdünstungen der Dixieklos am Wegesrand).

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Die ersten Gesichter, die mir entgegen kommen, sehen erstaunlich unbeteiligt aus. „Hallo, ich mache mich hier zum Affen und schwitze wie ein Schwein. Schaut gefälligst hin!“ will ich schon brüllen, da wird es besser: Die Blicke der anderen Besucher richten sich öfter auf mich und werden dann amüsiert bis geschockt. „Hey, du Affe, du siehst scheiße aus“, sagt ein Typ (ausgerechnet) im Donots-T-Shirt. „Du solltest mich mal ohne Maske sehen“ kann ich gerade noch röcheln. Nach gut 100 Metern, mit einer Limbo-Einlage als Zwischenstopp, ist zum Glück der Einlass erreicht. Mein Fell sieht schon nach dieser ersten Etappe ordnungsgemäß versifft aus, also noch authentischer.

Zwischen Handschuh und Kostüm kann man noch mein silbernes Presse-Bändchen erkennen, deshalb darf ich die Abkürzung aufs Gelände benutzen. Endlich habe ich mir den Spitznamen „Der Affe von der Presse“ mal wirklich verdient. Später erzählt mir ein Security-Mann, dass Leute in Ganzkörperkostümen am Einlass „einem ganz normalen Bodycheck“ unterzogen werden, wie alle anderen Besucher auch. Sie müssen die Maske absetzen, das Oberteil ausziehen und werden dann abgetastet. Und sie versuchen gerne, unter ihrem Fell reichlich Pyrotechnik, Messer oder Schnaps reinzuschmuggeln. Wie alle anderen Besucher auch.

Schon nach einer knappen Stunde ist mein Durst so groß und unausstehlich wie das Ego von Kanye. Draußen herrschen weit über 30 Grad, im Kostüm (ich trage nur eine Badehose drunter) um die 50 Grad. Trinken ist allerdings ein noch größeres Problem. Das Kostüm hat keine Taschen, ich habe also kein Geld bei mir. Zum Glück begleitet mich ein sturzbetrunkener Fotograf, der mir 50 Euro für zwei Bier und eine Cola in die Tatze drückt. Bei der etwas verwunderten Dame am Beck’s-Stand bestelle ich außerdem einen Strohhalm dazu. Denn die bekackte Gorilla-Maske, an deren Innenseite mittlerweile mein Schweiß runterfließt, hat keine Öffnung für den Mund. Ich versuche, den Strohhalm in den Becher, durchs Nasenloch der Maske und dann in meinen Mund zu bekommen. Der Fotograf bepisst sich vor Lachen, so idiotisch und ekelhaft sieht das aus. Aber dann schaffe ich es, ein paar Milliliter finden den Weg in meinen Rachen. Für solche Momente wurde wohl der Satz „You can’t beat the feeling“ erfunden.

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Und Futtern? Blätter und Früchte, die Hauptmahlzeiten auf dem Gorilla-Speiseplan, sind beim Highfield schwer aufzutreiben (es gibt nicht einmal Mario’s Pizza). Dafür schenkt mir eine Security-Dame eine Banane. Ohne Mundöffnung kann ich die zwar auch nicht essen, aber immerhin sieht das auf den Fotos lustig aus, die wir machen, als ich hinter der Bühne auf ein paar Kisten und Paletten klettere, um mich endlich mal wie ein afrikanischer Waldbewohner aufführen zu können. Auf der Verpackung meines Kostüms stand schließlich auch: „Serious fun. For the wildest of parties!“

Die Verpackung hat zu diesem Thema (außer „Keep away from fire“) kaum Ratschläge zu bieten, aber das ist nicht weiter schlimm. Denn ein sehr ausgeprägtes Sozialverhalten ergibt sich ganz von selbst, wenn man verkleidet über ein Festivalgelände läuft: Alle haben dich lieb. Mir wird klar: Festivals sind der natürliche Lebensraum für Freaks. Sie werden hier nicht nur akzeptiert, sondern bejubelt. Und wer bei diesem Wetter mit dickem Fell herumläuft, muss ein Freak sein und wird entsprechend verehrt.

Die Security meckert nie, sondern grinst. Die Polizisten erzählen mir nichts vom Vermummungsverbot, sondern grinsen. Die Baywatch-Lookalikes auf dem Beachvolleyballplatz, deren Match ich mit dem schlagkräftigen Argument „Ich kann gut springen“ bereichern will, grinsen. Schnell lerne ich die Vorzüge des Ganzkörperkostüms: Wer da drin steckt, gilt automatisch als harmlos, kontaktfreudig und schmerzbefreit. „Ich trage ein Kostüm, bei mir ist Party“, scheine ich stillschweigend zu kommunizieren.

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Sehr sonnenverbrannte Männer im „Helene Fischer Ultras“-Shirt wollen mit mir abklatschen. Alle wollen Fotos mit mir machen. Ein Typ, der als Schildkröte verkleidet ist, will mir Tipps zum Pinkeln geben (ist nicht so schwierig, mein Fell hat vorne einen Klettverschluss). Überall höre ich überraschtes „Hey, schau mal!“ oder „Arg, Alter“ und ganz oft „Du musst doch total schwitzen!“ So viel spontane Aufmerksamkeit und Sympathie von den Mitmenschen kriegen sonst wahrscheinlich allenfalls die Femen-Aktivistinnen. Das ist locker ein paar Liter Schweiß wert. Besonders faszinierend ist aber: Im Kostüm siehst du genau, wer dich anredet, aber die Leute haben keine Ahnung, wer du bist. Mann oder Frau? Alt oder jung? Schwarz oder weiß? Cro oder Moneyboy? Keiner weiß es. Du bist deine Verkleidung.

Abgesehen von der Hitze fühle ich mich als Festival-Affe aber sehr wohl: Man kann ein bisschen klettern, es gibt viel Auslauf und sogar einen Badesee. Ich setze mich kurz ins Wasser (Gorillas können nicht schwimmen) und genieße die Abkühlung. Nachteil: Danach ist das Kostüm so schwer, dass ich kaum noch laufen kann. Außerdem rieche ich jetzt ein bisschen wie der Tourbus von The Offspring.

Zum Trocknen geht es vor die Bühne. Es spielen leider nicht die Gorillaz, aber immerhin ist das Programm mit Congoroo, Alligatoah und der Antilopen Gang an diesem Festival-Tag halbwegs tierisch. Apropos tiertisch: „Die Paarung ist saisonal nicht eingeschränkt, kann also das ganze Jahr über erfolgen“, lehrt Wikipedia. Das sind ja schon mal gute Voraussetzungen. Gorilla-Weibchen sind auf dem Highfield aber nur schwer zu finden. Dafür haben die anderen weiblichen Primaten eine erkennbare, pardon, Affinität zu pelzig verkleideten Besuchern. Berührungsängste gibt es nicht.

„Der ist ja süß“, höre ich mehrmals pro Stunde (also zugegeben öfter als ohne Kostüm). Zwei Blondinen streicheln mir ungefragt den Bauch, zwei Mädels in Bikinis bieten an, mir mit ihren Wasserpistolen eine Abkühlung zu verschaffen, unzählige wollen Selfies machen und grapschen dabei gerne auch mal an den entscheidenden Stellen ins Fell. Natürlich habe ich Men & Chicken gesehen und werde den Teufel tun, die Gattungsgrenzen zu überschreiten. Aber wer auf einem Festival dringend Anschluss sucht und Spaß dran hat, wahl- und gefahrlos rumzubaggern (oder einfach sehr hässlich ist), der ist mit einem Plüschkostüm eindeutig gut beraten. Vor allem, wenn es vorne einen praktischen Klettverschluss hat.

Als ich das Fell endlich ausziehen kann, habe ich locker fünf Liter Flüssigkeit verloren. Überall kleben künstliche Haare. Ich will sehr dringend duschen, kaltes Bier trinken und etwas anderes als Bananen essen. Die ersten Minuten ohne Kostüm sind eine Erleichterung. Der Rest des Tages ist allerdings seltsam: Wir haben etliche andere Kostümträger nach ihren lustigsten Erlebnissen gefragt und die Antworten reichten von „Ich kriege ständig einen ausgegeben“ über „Wir haben jetzt Fans“ bis hin zu „Ein paar Mädels haben ihre Möpse gezeigt“. Auch ich merke erst jetzt, wie spaßig die Zeit als Gorilla war. Einfach so über das Gelände zu laufen, ohne besonders zu sein, fühlt sich plötzlich erschütternd langweilig an.

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