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Politischer Deutschrap ist immer noch schwierig

Wenn sich deutsche Rapper an politischen Zusammenhängen versuchen, wird es schnell peinlich.

Von Marcus Staiger stammt der schöne Satz: „Bevor ich mir von irgendeinem Rapper den Nahostkonflikt erklären lasse, hör ich lieber einen Song übers Ficken.” Natürlich will niemand Rappern den Mund verbieten. Es ist prinzipiell vorbildlich, wenn sich Künstler in ihren Texten noch mit anderen Dingen als Drogen, Geld oder Sex befassen und ihre Reichweite auch für bedeutendere Themen nutzen. Wie gut das gelingen kann, haben zuletzt erst Bands wie die Antilopen Gang oder Zugezogen Maskulin demonstriert. (Wenn dich Ken Jebsen für deinen Song verklagen will, ist das definitiv so was wie ein Ritterschlag.)

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Gerade kommerziell sind die genannten Künstler jedoch nur wenig mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Insgesamt gilt nach wie vor: Wenn sich Deutschrapper an politischen Zusammenhängen versuchen, wird es schnell peinlich. Das liegt nicht nur daran, dass Deutschrap schrecklich reaktionär sein kann, wenn es um Themen wie Nationalismus, Israel oder Homosexualität geht, sondern auch daran, dass vielen Deutschrappern schlicht das Handwerkszeug zu fehlen scheint, um das politische Geschehen zu analysieren und musikalisch zu verarbeiten. Selbst ein Künstler wie Blumio, dem man weder die Intelligenz noch den guten Willen abstreiten möchte, verzettelt sich in seiner Rap-Da-News-Reihe auf Yahoo! und auf seinem neuen Album Blumiologie regelmäßig in schwer erträglicher Stammtisch-Polemik—was ihm schon viel eloquenter gesagt wurde, er aber naturgemäß anders sieht.

Blumio ist aber nicht das einzige Problem. So wie in politischen Reden kannst du auch im Deutschrap viel falsch machen, kombiniert man die beiden Sachen, ist sogar oft Sodom und Gomorrah angesagt. Hier ist ein Überblick, welche Probleme der deutsche HipHop mit politischem Rap hat:

Ein Song kann keine komplexen Hintergründe erklären

In einem Rapsong den gesamten Nahostkonflikt erklären zu wollen, ist ungefähr so, als würdest du an der Uni eine Seminararbeit schreiben namens „Der Zweite Weltkrieg“: Um dem Thema gerecht zu werden, müsstest du dich vermutlich jahrelang mit seltsamen Männern, die noch seltsamere Schnauzbärten tragen, auseinandersetzen, und am Ende wäre das Ergebnis immer noch scheiße. Nun ist ein Rapsong natürlich keine wissenschaftliche Arbeit, aber an der Uni hat man wenigstens einen Professor, der einen von so einem wahnsinnigen Unterfangen abhält. Außerdem hat man dort mehr Platz zur Verfügung als zweieinhalb Strophen und einer Hook.

Wenn etwa ein Blumio in einem Song wie „Religion“ versucht, die Probleme des konfessionellen Hintergrunds im Israel-Palästina-Konflikt zu erklären, wird also klar, dass der zur Verfügung stehende Rahmen eigentlich nicht ausreichen kann. Um diesem Thema gerecht zu werden, müsstest du die Tora, den Koran und auch die Bibel studieren, du müsstest dich ernsthaft mit der Jerusalemfrage auseinandersetzen und dem Herrschaftsanspruch monotheistischer Religionen, in denen Koexistenz eigentlich nicht vorgesehen ist—aber das wäre dann schon Stoff für ein ganzes Album (oder eine Abschlussarbeit), statt nur für einen Song.

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Aber warum immer so groß anfangen? Politik beginnt im Kleinen, und dort gibt es schon genügend Stoff für politische Songs. Zugezogen Maskulin lösen dieses Dilemma auf ihrem Album Alles Brennt etwa ganz geschickt, indem sie auf Songs wie „Oranienplatz” den Konflikt um die steigende Anzahl von Asylbewerbern auf zwei Personen kristallisieren: Einerseits den Asylbewerber, der, in Deutschland angekommen, bemerkt, dass er hier alles andere als willkommen ist („Du hast viele Träume? Wir haben viele Zäune!“). Und andererseits den jammernden Deutschen, der es seiner Auffassung nach ohnehin schon schwer genug hat („Du schaust in meine Augen und steigst aus Mitleid vom Baum.”). Das ist natürlich keine faire Betrachtung des Problems, aber es gibt dem Ganzen einen Aufhänger, ohne die Problematik von ganz vorne erklären zu müssen.

Oder man macht es wie Credibil, der kein explizit politischer Künstler ist, aber in seinen Songs immer wieder die Trauer über einen in Syrien verstorbenen Bekannten zum Vorschein kommen lässt. Das kann den dortigen Bürgerkrieg weder erklären noch lösen, aber seine Dimension zumindest begreifbar machen. Mit so einer persönlichen Perspektive muss mit bedeutend weniger Halbwahrheiten um sich geworfen werden. Womit wir beim nächsten Problem wären …

Politik ist nicht einfach

Politik ist wahnsinnig kompliziert und keiner blickt mehr richtig durch, wahrscheinlich nicht mal die Politik selber. Wenn also eine einfache Lösung für ein kompliziertes Problem gefunden wurde, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass diese Lösung schlicht falsch ist. Die Folge daraus sind grobe Vereinfachungen und Halbwahrheiten, die uns als Rap-Fans eher blöder als klüger machen. Wenn Blumio (schon wieder) in einer seiner Rap-Da-News-Folgen den Wahlsieg von Israels Ministerpräsident Netanjahu ausschließlich darauf zurückführt, dass er so gut darin ist, den Wählern Angst vor den Palästinensern einzujagen, dann erklärt er die Israelis—und auch Netanjahu—für dümmer, als sie sind. Es gibt in Israel tatsächlich eine lebhafte Debatte über die Sinnhaftigkeit der Besetzung von Palästina, aber es ist sicher nicht so, dass die friedliebenden Intellektuellen auf der einen und tumben Schlägertrupps auf der anderen Seite stattfinden, wie Blumio suggeriert.

Generell gibt es gibt in politischen Debatten immer wieder die Tendenz, Entwicklungen auf einzelne Akteure zu reduzieren, weil diese die ganze Zeit im Fernsehen zu sehen sind. Da ist dann der Nahostkonflikt nicht die Folge von komplexen historischen Entwicklungen, sondern das Werk von durchtriebenen Bösewichten wie (wahlweise) Netanjahu, Obama oder auch Angela Merkel. Das ist praktisch, weil es einem wahnsinnig komplizierten Sachverhalt konkrete Gesichter gibt, aber es ist eben auch falsch. Der Palästina-Konflikt lässt sich nicht dadurch lösen, einfach Netanjahu abzusägen, und weder unsere Kanzlerin noch Tony Blair (!) können viel ausrichten, um ihn zu beenden, wie Haftbefehl mal gefordert hat. (Tony Blair ist sowieso die ärmste Sau—sogar sieben Jahre nach Ende seiner Amtszeit wird er noch von Fard und Snaga beleidigt.)

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Auch „contra Israel” und „Tel Aviv” zu sein, wie es Fard und Snaga auf „Contraband” fordern, ist ein bestenfalls halbgarer Lösungsansatz, zumindest solange auf die nachvollziehbare Israel-Kritik nicht auch eine Palästina-Kritik folgt. Endgültig abstrus wird es, wenn Fard in derselben Strophe „pro Martin Luther King“ rappt—der nämlich war Zeit seines Lebens „pro Israel“.

Niemand will den Zeigefinger sehen

Niemand will einen Rapsong hören, der wie eine Vorlesung aus dem Soziologie-Grundstudium klingt. Das war immer das Problem, das eine eigentlich hochintelligente Rapperin wie Sookee zurückgehalten hat—also neben der Tatsache, dass sie eine Frau ist. Du kannst nicht in Songs mit Definitionen und Fremdwörtern um dich werfen und dann erwarten, dass die Leute sich das gerne anhören. Ein bisschen weniger Pathos und heiliger Ernst würde politischem Deutschrap wirklich gut tun.

Wie es gehen kann, demonstrieren Ali As und Pretty Mo. In „Deutscher/Ausländer” nehmen die beiden sich der schwierigen Integrationsdebatte an, indem sie dermaßen übertrieben mit Stammtischparolen um sich schmeißen, dass wirklich auch dem letzten Hinterwäldler klar wird, wie dämlich diese ganze Diskussion eigentlich ist.

Ein anderer Ansatz ist es, seine politische Botschaft in Wut zu verpacken statt in Humor. Das ist wirklich die einzige Tatsache, die für einen sonst eher bedenklichen Song wie „Contraband“ von Fard und Snaga spricht. Der blanke Zorn, der den beiden anzumerken ist, verschafft dem Song eine krasse Energie und relativiert gleichzeitig manche Aussagen wie „kontra Tel Aviv” in gewissem Maße. Der Hörer verzeiht es dir viel eher, dass du gerade Blödsinn verzapfst, wenn er merkt, wie aufgewühlt du in diesem Moment bist.

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Im Rap gibt es kein [citation needed]

Wo wir gerade beim „Blödsinn verzapfen“ sind: Die absolute Goldmedaille in dieser Disziplin gehört wohl immer noch dem berühmt-berüchtigten Hidden Track „Wo sind sie jetzt” von Xavier Naidoo und Kool Savas aus dem Jahr 2012. Nicht nur ist der Song ein homophobes Machwerk erster Güterklasse („Warum liebst du keine Möse?” etc.), er demonstriert perfekt, was passiert, wenn Menschen sich von den angeblichen Lügenmedien abwenden und ihre Informationen von nebulösen Internet-Seiten holen.

Nun ist bei Xavier Naidoo wahrscheinlich ohnehin schon Hopfen und Malz verloren, und der Gute hat sich geistig mittlerweile nicht nur aus der BRD GmbH verabschiedet, sondern auch von unserem Planeten. Aber mit was für einem Eifer das uralte Märchen, die Mächtigen der Welt würden in einem Geheimbund okkulte Ritualmorde an Kindern durchführen, als sensationelle Tatsache verkauft wird, ist schon abenteuerlich. Früher waren es Juden und Adlige, heute sind es anscheinend Banker und Bundestagsmitglieder. Wäre dieser Song ein Wikipedia-Eintrag, der gesamte Text würde die Anmerkung [citation needed] benötigen.

Wenn du also irgendwo eine total spektakuläre Geschichte über Chemtrails oder Aliens oder Bilderberger lest, die im Geheimen die Welt beherrschen, der Artikel aber als Quelle nur www.jüdische-weltverschwörung.info (nicht klicken, keine Ahnung, ob’s die Seite wirklich gibt) ausweist—dann kannst du davon ausgehen, dass die Geschichte das Hirngespinst irgendeines Verrückten ist, der in seiner Freizeit gerne Hüte aus Alufolie trägt. Entweder das, oder du bist unverhofft auf einen perfekt orchestrierten, weltweiten Komplott gestoßen, der von der Lügenpresse totgeschwiegen wird, weil die aus irgendeinem Grund keinen Bock auf den Scoop des Jahrtausends hat. Musst du selbst entscheiden, was wahrscheinlicher ist.

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