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Das war 2014

Das Jahr 2014 in: R'n'B

Von wegen R'n'B ist tot—R'n'B ist so lebendig, dass er gleich diverse andere Genres mit erneuert.

Letzte Woche fuhr ich mit einem Mitarbeiter der Plattenfirma Sony Music sowie einigen Journalisten mit dem Taxi durch London und gemeinsam talkte man den üblichen Auskenner-Abchecker-Talk über Verkaufszahlen und die Welt, als irgendwann der Satz „R'n'B ist doch sowieso tot“ fiel. Ich habe das in dem Moment einfach so durchgewunken, muss meine Meinung aber definitiv revidieren. Ende letzten Jahres kamen sowohl R. Kelly als auch Beyoncé mit neuen Alben um die Ecke. Er mit Höschenschnüffel-Zoten und Kekssexfantasien, sie mit Selbstermächtigungssongs und Surfboard—also alles beim Alten.

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Doch 2014 hat dann recht deutlich gezeigt, dass im zeitgenössischen R'n'B, im Soul und im Funk—mal abgesehen vom ewiggleichem Gebalze auf Guetta-Geboller—gerade die meiste Innovation überhaupt stattfindet. Was Frank Ocean und The Weeknd schon vor ein paar Jahren vormachten, findet immer mehr Anklang. Ausgehend von einer geschichtsträchtigen Grundlage wird der Sound des zeitgenössischen R'n'B immer weiter expandiert und mit ihm in alle erdenklichen Richtungen experimentiert. Nenn es Future-, Alt- oder sonstwie-R'n'B. Gute Musik ist es allemal. Und von der gab es in den vergangenen 12 Monaten jede Menge.

Aber der Reihe nach. Ist ja auch nicht so, als wenn es Zwovierzehn nicht doch ein paar echte, originäre und klassische Breitwand-R'n'B- und Soulscheiben gegeben hätte. Allen voran: G I R L von Pharrell. Denn auch wenn jede 15.000-Seelen-Kleinstadt sich mittlerweile asynchron zu „Happy“ verrenkt und das kesse und pfiffige Endergebnis auf YouTube gestellt hat, muss man anerkennen, dass das wirklich ein starkes Album war—vor allem war es eines, dass den Burschen endgültig vom Produzentengenie mit Hook-Qualitäten zum ernsthaften Popstar mit Hut avancieren ließ, dessen Omnipräsenz mitunter wirklich enervierende Züge annahm.

Etwas, das man von Tinashe und Jhene Aiko seltsamerweise nicht behaupten kann. Und dass, obwohl beide Alben herausgebracht haben, die sich vor den Grande Dames ihrer Zunft nicht verstecken mussten. Während Tinashe sich auf Aquarius dem klassischen Club- und Kuschelsound widmete, der stellenweise sehr an Mya oder Christina Milian erinnerte, klang Jhene Aikos Souled Out irgendwie organischer und verspielter. Genau wie die Alben von SZA oder MNEK, während sich Prince in der Bedeutungslosigkeit verlor und Mariah Careys Me. I Am Mariah… The Elusive Chanteuse leider nicht viel mehr als die ewiggleiche Pfeifregisterdemonstration entpuppte—aber es geht ja auch ganz anders.

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Zum Beispiel mit FKA Twigs. Die täuschte 2012 schon mit zwei wahnsinnig guten EPs an und demonstriere mit ihrem Debütalbum LP1 in diesem Jahr, wohin die Reise gehen kann. Auf den mit Arca, Clams Casino, Sampha und Paul Epworth produzierten Songs wurden R'n'B- und TripHop-Grundgerüste unter Zuhilfenahme von Klanghölzern grün und blau geprügelt und dann mit Wolfsgeheule, dem Britzeln von Glühbirnen, surrenden Mücken so wie Tahliah Barnetts technisch verfremdeter Stimme zu ätherischen Arrangements vermengt, die sicherlich nicht ganz ohne Grund an Massive Attack, Björk und Aaliyah gleichermaßen erinnerten.

Auch Tom Krell aka How To Dress Well legte in diesem Jahr mit What Is This Heart? ein beeindruckendes drittes Album vor, auf dem er den endgültigen Abschied vom Dasein als frickelverliebter Bedroomproducer vollzog und sich endgültig als ernstzunehmender Alt-R'n'B-Künstler etablierte. Songs wie „Words I Don’t Remember“ demonstrierten auf wunderbare Weise die musikalische Sozialisation Krells mit Michael Jackson, R. Kelly, Mariah Carey, The-Dream oder Miguel, aber eben auch Coco Rosie, Tim Hecker oder Ezekiel Honig.

Nicht ganz so experimentell und abgedreht, dafür aber grundsolide lieferte in diesem Jahr auch SOHN ab. Tremors, das Debüt des in Wien lebenden Engländers, war melancholische Future-R'n'B für die Generation Landflucht. Organisch atmende Sounds trafen auf beeindruckende stimmliche Vielfältigkeit und kreierten in Kombination mit SOHNs Hang zum Verspielten eine Melancholie, die man so zuletzt auf dem ersten James-Blake-Album gehört hatte. Etwas, das auch Chet Faker mit Built On Glass gelang, das in die gleiche Kerbe wie sein geniales „No Diggity“-Cover schlug. Mit Querverweisen auf britische Bassmusik, Dylan-Melancholie und Downtempo-Electronica von den Café del Mar-CDs seines Vaters lieferte der Australier ein augenzwinkerndes, ernsthaftes und vor allem superentspanntes Debüt. Wer SOHN und Chet Faker sagt, muss auch Banks sagen: Die aus Los Angeles stammende Sängerin galt lange als riesiger Internet-Hype, konnte auf ihrem Debütalbum Goddess den Internethits allerdings weniger folgen lassen, als erhofft.

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Aber auch abseits der Charts tut sich 2014 was. Jungle vermengten auf dem gleichnamigen Debüt ihr Discofaible mit Kopfstimmen zu einem groovenden Novum, das es locker mit den spitzbübischen Sounds eines Pharrells aufnehmen konnte, während die Songs auf Ghettoville, dem neuen Album des „r&b concrete“-Erfinders Actress, zwischen technoidem Traditionsbewusstsein und schlechtgelaunten Breakbeats auch immer noch ein Quentchen Soul aufblitzen ließen. Und wo wir gerade schon in UK sind: dort halten Sam Smith, Kwabs, Jessie Ware und Sampha dem R'n'B die Stange, während Drake in Toronto weiter fleißig Gesangsunterricht nimmt und sich mit The Weekend, PARTYNEXTDOOR, ILoveMakonnen und Majid Jordan seine eigene kleine R'n'B-Armee heranzüchtet.

2015 dürfte all das munter so weiter gehen. Den Namen Jay Stones sollte man sich genau so merken wie Elijah Blake. Und Frank Ocean hat ja mit „Memrise“ unlängst auch schon angedeutet, dass im nächsten Jahr mit ihm zu rechnen sein wird. R'n'B ist also vieles, nur tot, das ist er ganz sicher nicht.

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