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Staiger vs das Elend der modernen Welt

"Alles Gute beim Ballettunterricht"—Staiger über Al-Gears Problem mit weiblichen Fußballkommentatoren

„Wir brauchen keine Frauen die unsere Fußballspiele kommentieren. Es reicht!!!!“, schrieb Rapper Al-Gear ans ZDF. Staiger antwortet.

Lieber Herr Al-Gear,

hätten Sie in Ihrem bisherigen Life nur halb so viel Energie auf Ihre Rapkünste verwendet, wie in Ihre unsinnigen Videos, in denen Sie ihre Rap-Konkurrenz Sperma schlucken ließen, dann hätte ich vielleicht schon viel früher über Sie geschrieben. Ich muss gestehen, dass mich die Penetranz, mit der Sie nach der psychischen Vernichtung ihrer Mitmenschen streben, zum einen fasziniert und zum anderen vollkommen abgestoßen hat. Fasziniert deshalb, weil ich in diesem Zusammenhang Ihre Detailversessenheit und Akribie bewundere, mit der Sie ihre "Versteckte Kamera Witze 4.0" vorbereitet und ausgeführt haben. Gleichzeitig hat mich aber auch die Niedertracht und Unmenschlichkeit Ihres Vorgehens abgeschreckt, was mich zum Schluss kommen lässt, dass Sie ein sehr, sehr, sehr, sehr schlechter Mensch sein müssen. Ich kenne Sie nicht und wahrscheinlich sind Sie in ihrem Privatleben als unglücklicher Rap-Artist eher umgänglich und liebenswürdig, aber das öffentliche Bild, das Sie von sich zeichnen, ist doch eher Absturz.

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So auch Ihre letzte öffentliche Äußerung, mit der Sie die Arbeit der Kommentatorin Claudia Neumann bewerteten. In einem offenen Brief an das ZDF appellierten Sie an den "gesunden Menschenverstand" der Sendeanstalt, die Moderatorin doch bitteschön in der Wetterabteilung zu lassen. Unter Verweis auf 99% der Fußballfans, die ihnen zustimmen würden, erklärten Sie, Originalzitat: "Wir brauchen keine Frauen die unsere Fußballspiele kommentieren. Es reicht!!!! Wenn das so weitergeht schicken wir bald unsere Söhne zum Ballett."

Nun sollte man bei Aussagen, in denen auf den gesunden Menschenverstand verwiesen wird, generell ein bisschen vorsichtig sein. Meistens geht es dabei dann nämlich um Dinge, die anscheinend schon immer so waren, weil biologisch und unveränderbar und dann so schwachsinnige Vergleiche herauskommen, wie dass Männer früher auf Mammutjagd gegangen sind und Frauen deshalb nicht einparken und keine Fußballspiele kommentieren könnten.

Selbstverständlich steht es jedem frei, die Arbeit anderer Leute zu kritisieren, denn dafür haben wir ja die Meinungsfreiheit in diesem Land, mit der man so schön kritisieren kann, ohne befürchten zu müssen, dass sich dadurch was ändert. Allerdings beschränkt sich Ihre Kritik an Frau Neumann ja nicht nur darauf, dass Sie ihr die Kompetenz absprechen, weil sie eine Frau ist, sondern genau darauf, dass sie eine Frau ist. Wissen Sie, Herr Al-Gear, wenn es um Kompetenz geht, dann müsste wahrscheinlich die Hälfte aller Führungspersönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft in dieser Gesellschaft abtreten und vor allem müssten hierzulande auch so einige Rapper ein paar Meter vom Mic zurücksteppen und das Rappen sein lassen—wenn es wirklich um Kompetenz ginge. Geht es aber nicht. In dieser Gesellschaft geht es nämlich darum, dass man aus einem guten Elternhaus kommt, um eine der Führungspositionen zu ergattern, oder dass man im Verbund mit anderen Männern sich gegenseitig die Eier krault, um sich gegenseitig die Pöstchen hin und her zu schieben. Oder es geht eben darum, sich so gut wie es geht zu verkaufen. Und davon, mein Lieber Herr Al-Gear, können Sie gewiss das eine oder andere Liedchen singen.

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Die Kritik an Frau Neumann dahingehend, dass sie eine Frau ist, habe ich ehrlich gesagt nicht ganz verstanden, aber offensichtlich sind Sie auch nicht der einzige, der sich an diesem Punkt gestört fühlte. So schreib der User @waldbeerenheini fachmännisch auf Twitter: "Weiber sollten Weiberfussball kommentieren und Männerfussball den Männern überlassen, liebe Frau Claudia Neumann" und in den Medien war zu lesen, dass der Arbeitgeber von Frau Neumann mit einem regelrechten Shitstorm überzogen wurde, auf den das ZDF erklärte, dass man zwar hinter der Moderatorin stehe, sie aber während dieser EM keine weiteren Spiele mehr kommentieren wird. Ich an deren Stelle hätte die gute Frau ja fürs Finale nominiert. Einfach so.

Abgesehen davon, dass es sich beim Beruf der Fernsehmoderation nicht um eine urwüchsig geartete Tätigkeit handelt, bei der es auf irgendwelche körperlichen Merkmale ankommt, wo man vielleicht sagen könnte, dass Frauen diese nicht ausführen könnten, verstehe ich Ihre Aufregung und die Ihrer 99% der Fußballfans wirklich nicht. Ich kann es mir nur so erklären, dass Sie und Ihre 99% tatsächlich denken, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn die Dinge so wären wie früher, als Mutti noch am Herd war und Papi das Geld nach Hause gebracht hat, weil es damals noch gereicht hat, dass nur einer arbeiten geht, um eine Familie zu ernähren. Heute müssen beide ackern gehen, damit genug Kohle rumkommt und Schuld daran ist der Feminismus. Nö. Schuld daran sind ein paar andere Sachen, über die man sich wirklich aufregen könnte und wogegen man sich auch richtig auflehnen müsste. Stattdessen wird aber darüber diskutiert, ob der Mensch am Mikrofon nun eine Vagina oder einen Penis zwischen den Beinen hat, ganz so, als sprächen die Leute mit ihrem Unterleib. Da Sie aber nicht alleine mit Ihren Vorbehalten sind, scheint es da auf gesellschaftlicher Ebene noch einigen Diskussionsbedarf zu geben, weshalb ich an dieser Stelle mit einem Kommentar der Userin Kathi Vice* schließen möchte, die Ihnen folgenden guten Rat mit auf den Weg gegeben hat: "Rapper mit Sexismusproblemen sind so 2005, gönn deiner Street Credibility mal ein Update!"

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In diesem Sinne. Alles Gute beim Ballettunterricht, wünscht Ihr

Marcus Staiger

*Kathi Vice ist weder verwandt noch verschwägert mit unserer Mutterseite VICE.com. Die Namensgleichheit ist rein zufällig.

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