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Wir haben auf dem weltweit einzigen Djent-Festival herausgefunden, dass Djent sterben wird

Between The Buried And Me, The Hirsch Effekt, Monuments und The Algorithm haben aufgestauten Frust rausgelassen, als wir sie mit Vorwürfen konfrontierten.

Als Nu Metal zu sterben begann, da lachten sie alle; die traditionsbewussten Trve Metaler, die scheuen Schwarzmaler und die ganzen Früher-war-alles-besser-Ignoranten. Gerade als die besorgte Heavy-Metal-Fraktion beruhigt ihre geballten Fäuste wieder in die Kutten stecken wollte, tauchten schon die nächsten Verrückten auf. Djent nennt sich das Geflirre, das sich seit der Jahrtausendwende langsam in die Playlisten der Headbanger schlich. Was das sein soll? Ein hyperaktives, vor Steroiden pumpendes akustisches Gebräu aus Fingerfertigkeit und gesundem Selbstbewusstsein. Musiker ergötzen sich mit polyrhythmischen Taktkonstrukten, furios schnellem Gitarrenspiel und dem Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip im Gesang (wildes Gegröle vs. lieblicher Singsang) an ihren eigenen Fähigkeiten. Zusammengepanscht klingt das, als wäre man auf der Kirmes, hört das Rattern der Fahrgeschäfte im undefinierbaren Beat und die heiteren Melodien der überladenen Süßwarenstände.

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Als die Urväter der Bewegung gelten Meshuggah, obwohl zu ihren Anfängen Ende der 80er der zweifelhafte Begriff noch gar nicht existierte. Djent sollen die Geräusche sein, die Meshuggahs abgedämpfte Riffs der Rhythmusgitarre so fabrizieren. Schon absurd, müsste dann Metal nicht auch Durrdurrdetetö heißen? Jedenfalls gaben die Schweden die Richtung vor, wie auch The Hirsch Effekt-Bassist Ilja Lappin weiß: „Genau, Meshuggah ist Djent, Periphery und all die anderen haben das—nicht böse ausgedrückt—ein bisschen nachgemacht. Dann kam eine Welle von ganz vielen ähnlichen Bands, die dem Ganzen ihr leicht anderes Gesicht verpasst haben.“ Und nicht nur das, nach Monuments-Songwriter John Browne—selbst Teil der Szene und schärfster Kritiker des Genres— haben diese Nachahmer das Klanggefühl verwässert. Böse Worte gegen solch ein winziges Subgenre sind leicht zu finden, besonders im Netz, wo Djent auch entstand. Da es schwer war, ähnlich tickende Nerds in der eigenen Kleinstadt zu finden, suchten die meisten Djent-Musiker via Computer im Kinderzimmer nach lustigen Spielfreunden.

Heute ist der lauteste Vorwurf, dass es viel zu viele Bands gibt, die sich alle viel zu ähnlich klingen. Alles nur Poser, die zeigen wollen, wie geil sie ihr Instrument wichsen können und noch nie was von musikalischem Verständnis in Sachen Harmonie und Emotionalität gehört haben—eben wie echte Programmierer-Pickelfressen.

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Eine bescheuerte Genre-Bezeichnung, austauschbare Bandmitglieder, fehlende Emotionen, uniformer Sound—weil es so viel an diesen Sonderlingen auszusetzen gibt, sind wir auf das weltweit einzige Djent- und Progressive-Metal-Festival namens Euroblast nach Köln gefahren und haben die Helden ihrer Zunft mit den Anschuldigungen konfrontiert: Bands wie Between The Buried And Me, The Hirsch Effekt, Monuments und The Algorithm haben dabei auch endlich aufgestauten Frust rausgelassen.

Alle Djent-Bands klingen gleich!

Obwohl er selbst ein geachteter Star der Progressive-Metal-Schiene ist, möchte sich Between The Buried And Me-Sänger Tommy Rogers sofort abgrenzen: „Von Anfang an wollten wir eine imposante Band sein, die Neues ausprobiert. Im Djent dreht sich alles um tiefgestimmte Gitarren, das waren wir nie.“ Dabei wird dem Interview-scheuen Menschen doch vorgeworfen, selbst Teil der Djent-Szene zu sein: „Djent-Bands sind nicht mein Fall.“ Dunkle Rhythmen und helle Melodien, ohne Pause, das wirke auf Dauer doch sehr eintönig. Zumal jeder seinen Erguss zu leicht online stellen könne: „Das Internet hat jedem Einzelnen viel zu viel Auswahl geschenkt, es gibt viel zu viele Bands, die dasselbe machen. Jede kopiert sich gegenseitig und dann wird es gepanscht“, meckert auch Monuments Browne. Dass dabei aber alles gleich klingt, möchte Drummer Martin Lopez von der Progressive-Rock-Band Soen abwehren: „Das sagen Menschen, die nicht sehr interessiert an der Musik sind und sie nicht analysieren. Das kannst du auch über Death Metal- oder Pop-Bands sagen.“ Oder wie es Gredin, der entspannte Franzose der Experimental-Metal-Band Hypno5e, fortführt: „Jede Musik hört die gleichen Kritiken. Für dich klingen Rap- oder Reggae-Songs vielleicht alle gleich. Entweder magst du es oder nicht.“

Technik-Nerds wollen nur ihr Können zeigen!

Nach ernst gemeinter Gegenwehr klingt das alles noch nicht, die Bands des Djent-Dunstkreises prügeln lieber noch auf ihre Kollegen ein. Tommy Rogers lässt selbst dann nicht locker, als ihm unterstellt wird, nur seine musikalischen Muskeln spielen lassen zu wollen: „Ich weiß, wir sind progressiv. Aber genau das hat mich seit Jahren von technischer Musik ferngehalten: Viele Bands vergessen das große Bild, dass es um Songs geht. Sie sorgen sich darum, zu zeigen, was sie können.“ Dem kann sich der wirre Hypno5e-Sänger Emmanuel Jessua nur anschließen: „Im Djent und bei progressiver Musik steht die Technik an erster Stelle. Sie wird wichtiger als die musikalische Komposition. Selten stecken Persönlichkeiten dahinter, eher das Reason-Programm. Ich sehe nicht den Menschen, der hinter der Musik steht. Vielleicht ist das nur ein Eindruck, aber die Identifikation fehlt oft.“

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Bei Djent wird nachgedacht und nicht gefühlt!

Damit sind die Fakten geklärt. Schlimm daran ist nur, dass es Normalsterbliche einfach einen Scheiß interessiert, was die Musiker da abfeiern. Wer will sich schon erst in Kompositionen hineindenken müssen? „Musik ist in der heutigen Welt so zugänglich“, erklärt unser weiser Mann Tommy, „Alles ist so schnell heute, Informationen. Es braucht Zeit, um in unsere Platten zu kommen. Viele Leute wollen sich diese Zeit nicht nehmen.“ Wer nach jahrelangem Touren mit kunstvoller, intelligenter Musik merkt, dass sich damit kein Geld verdienen lässt, der kann leicht fuchsig werden. Monuments-Fachmann Browne regt sich auf, dass die moderne Gesellschaft „dramatisch die Aufmerksamkeitsspanne runterregelt. In den Social-Media-Welten achten Leute nicht mehr auf Musik, sie liken lieber Memes oder halbnackte Mädels, weil dies schnell und einfach geht.“ In diese Wunde sticht auch The Algorithm-Mastermind Rémi Gallego: „Mainstream-Medien wie TV und Radio waschen die Gehirne der Leute, damit sie weniger nachdenken. Darum ist scheiß Musik so populär, weil sie so einfach zu produzieren und zu hören ist, sie faul macht und Leute nicht über Dinge nachdenken müssen. Es geht eben immer ums Geld.“

Aber zurück zum Wesentlichen. Was Vollblutmusiker nämlich kaum begreifen können: Nicht überall spielt die Musik. „Ich glaube, viele Menschen wollen sich gar nicht mit Musik beschäftigen“, mimt The Intersphere-Drummer Moritz Müller den Allwissenden. „Nicht aktiv und vor allem nicht kognitiv. Das hat extrem was mit Geschmack zu tun. Das darf man gar nicht so hinterfragen.“ Sein Bandkollege Chris Hessler ergänzt: „Jemand, der mit Musik nichts zu tun hat, findet ja nur den Zugang über irgendeine Melodie oder Emotionalität.“ Und eben an der soll es bei Djent mangeln. „Leute, die Musik emotional wahrnehmen, interessiert das einen Scheiß, ob da ein tolles Tapping oder komische Verschiebung drin sind“, nickt Moritz. Aber ist das denn überhaupt Aufgabe von Musik? Soll sie dich in Sinnkrisen stürzen, zum Nachdenken und Fühlen zwingen? „Ich weiß nicht, ob es darum in Musik geht“, grübelt The Hirsch Effekts Songwriter Nils Wittrock, „Musik ist eine Sprache, sehr vielseitig, komplex. Mit ihr kann man sehr unterschiedliche Sachen ausdrücken, man kann sich auch nur Smalltalk-mäßig berieseln.“ Die Frage ist ja: Müssen Menschen immer allem ihre volle Konzentration widmen?

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Djent ist was für Streber!

Wir können ja nicht immer über alles grübeln. Das Problem liegt sowieso woanders: „Es geht um die Neugier, sich einem unbekannten Raum zu erschließen“, gibt Hypno5es Emmanuel das Wort an Gredin weiter: „Komplizierte Musik öffnet deinen Horizont, Dinge zu verstehen. Dein Geist kann sich entfalten. Ich habe gemerkt, dass Metal- und besonders Djent-Hörer viele verschiedene Arten von Musik hören. Wenn du umgekehrt nur Dance Music hörst, bleibst du dabei und schaust selten über den Tellerrand.“ Im Prinzip ist das aber auch völlig egal, beschwichtigt Tommy Rogers: „Manche mögen Metal, weil sie ihren Frust bei Shows rauslassen können. Andere sind junge Musiker, die neue Techniken lernen, eine Band gründen und Songs schreiben wollen, um sich selbst und Freunde anzutreiben. Das sind zwei Gruppen, keine davon ist richtig oder falsch.“ Damit seien die Wogen geglättet. Genau den Gedanken greift auch Hirsch-Nils nihilistisch auf: „Es gibt Menschen, die machen sich mehr Gedanken um alles, und Menschen, die machen sich weniger Gedanken. Aber ich würde da gar keine Wertigkeit zuordnen. Ich kann nicht sagen, dass die Welt besser wäre, wenn alle sich mehr Gedanken machen würden. Philosophie ist auch so ein Erste-Welt-Problem. Wenn man sich dauernd Gedanken machen muss, wie man ans Fressen kommt, dann denkt man nicht, wofür das Leben eigentlich gut ist.“

Euroblast Festival | Foto: Vincent Grundke

Insgeheim sind das doch alles Pop-Fans!

Also ist das alles Geschmackssache. Aber leider (oder zum Glück) fallen auch die größten Klangkonstrukteure der Zugänglichkeit zum Opfer. Ewig die Sonderstellung beibehalten, das will keiner. „Unsere Musik ist etwas zahmer geworden, nicht mehr so chaotisch“, gibt BTBAM-Rogers zu. „Mit dem Alter lernt man, wann es reicht, einen Part auszureizen.“ Er spricht Soen-Sänger Joel Ekelöf aus der Seele: „Man kommt an einen Punkt, an dem es nicht mehr Spaß macht, gut in dem zu sein, was man macht, und es zeigen zu wollen. Du möchtest Emotionen mit der Musik vermitteln.“ Da kann sich Algorithm-Remi nur anschließen: „Es ist wichtig, die Balance zu finden.“ Deshalb entwickelt sich sein völlig psychopatischer Mix aus Midi-Effekten und Djent-Gitarre Richtung Groove: „Ich will, dass mehr Leute es verstehen.“ Genau das ist der Knackpunkt und irgendwie auch scheinheilig. Warum katapultieren sich die Djent-Fantasten erst in ihre eigene surreale Welt, um dann doch wieder der Masse gefallen zu wollen? „Die Mischung macht's“, sieht es Nils Wittrock gelassen. „Verrückten Kram mit sehr eingängigem verbinden. Das ist kein Kalkül, um sich schneller Hörer zu erschließen, dann würden wir ja ganz andere Musik machen. Damit bringen wir eine Kernaussage unter, was ja auch inhaltlich Relevanz hat.“

Djent wird sterben!

Netter Versuch. Doch selbst wenn die versiertesten Musiker Verständnis mit vereinfachten Songstrukturen schaffen wollen, ist das Genre Djent dem Untergang geweiht. Weil—laut den befragten Fachmännern—Menschen eben immer dümmer werden und keinen Bock auf Hirnkrämpfe haben. „Der Zenith von Djent ist erreicht“, überreicht Hirsch Effekt-Ilja seinem Kollegen Moritz Schmidt das Wort: „Das ist so ein Modeding. Wird es weiter geben, aber sich irgendwo einpendeln. Der Markt ist irgendwann übersättigt und daraus entwickeln sich dann andere Sachen.“ Vola, die sich selbst aus dieser Schlinge mit pop-rockigen Indie-Djent-Songs ziehen wollen, um eine breitere Masse auditiv zu beglücken, sehen auch schon die Sterbezeremonie am Ende des Tunnels: „Für Bands, die ihr Fundament in Djent finden, werden harte Zeiten anbrechen. Weil der Hype woanders hingehen wird. Es zeugt von großem Wert der Band, wenn sie mit speziellem Sound Outsider anlocken. Aber die Bands, die im Grunge oder Nu Metal überlebt haben, sind die, die einen etwas anderen Sound für die breite Masse haben.“

Darum winken wir dir feierlich zum Abschied, lieber Djent, und vergießen ein, zwei Tränchen. Aber so ist es nunmal. Das Böse gewinnt immer, Avicii wird noch so einige Großraumdiskotheken vergewaltigen und Helene Fischer eure Familienfeiern im Heimatdorf in die tiefste Grube der Hölle reißen. Man kann Menschen leider nicht dazu zwingen, anspruchsvollere Musik zu hören. Man kann sie nur wie eine Katze mit dem Näschen in die Milch tunken. Klammern wir uns an Gredins finale Weisheit: „Ich habe mich schon 2000 bei The Dillinger Escape Plan gefragt, wie lange die durchhalten können—ich dachte, DAS wäre zu kompliziert für die Massen.“