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1000 Videos, die Stress mit Grund gemacht haben (1 bis 6)

Haftbefehl, Justice und viele andere beweisen, dass Gewalt manchmal auch einen pädagogischen Wert haben kann.

Es scheint, als seien schockierende Skandalvideos im Moment mal wieder mächtig im Kommen. Die können mal gut sein und manchmal sind sie auch einfach nur übetriebenes Waffengepose. Jüngste Beispiele: SadiQs Video zu „Charlie Hebdo“ und Nazars Video zu „La Haine Kidz“. Das eine pseudopolitischer Blödsinn, das andere wohl kalkuliertes und anspruchsvolles Provokationsmittel. Zwei Videos, viel Gewalt, aber nur bei einem ist wirklich eine Message zu finden (beziehungsweise eine intelligente Message).

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Musikvideos, die sich expliziter, beunruhigender und manchmal auch gewaltätiger Inhalte bedienen, sind keine Neuheit in der Musikbranche. Anlässlich der beiden Videos haben wir die einprägsamsten Musikclips der letzten Zeit Revue passieren lassen. Diese Art von Videos nämlich, die einerseits unseren Kopf gefickt, ihn dann aber auch wieder angemessen gerade gerückt haben.

M.I.A.—„Borders“

Künstlerin M.I.A. hat sich von Beginn ihrer Karriere an das Thema Flüchtlinge auf die musikalische Agenda gesetzt. Als kleines Kind floh sie mit ihrer Familie selbst aus politischen Gründen aus Sri Lanka nach Großbritannien. Mit „Borders“, ihrem letzten großen Opus in Videoform von 2015, hat sie allerdings mehr als nur eine Kontroverse angestoßen. Der Song und das Video beschreibt, wie der Westen sich einerseits mit Themen wie „Baes” und Kim Kardashians Internet-Break auseinander setzt, aber gleichzeitig Millionen von Menschen an unseren Grenzen stehen und krepieren werden, wenn wir sie nicht einlassen und ihnen helfen. Dass dieses ästhetische Video mit seiner west-kritischen Haltung ausgerechnet bei Apple Music exklusiv lief, verstörte allerdings einige Fans.

Justice—„Stress“

1995 hat es das Banlieue-Drama La Haine vorgemacht, 2007 klatschen es Justice den Franzosen wieder ins Gesicht: Unsere Integrationspolitik ist für den Arsch, also kümmern wir uns endlich darum! In ihrem Video zu „Stress“ zog eine Bande Jugendlicher mit uniformen Bomberjacken durch Paris und ging auf alles los, was ihnen in die Quere kam. Das war schockierend und provozierte harte Kritik: Es sei rassistisch, weil es vor allem dunkelhäutige Jugendliche negativ repräsentiere. Es würde Leute zum Nachahmen anstacheln. Und es sei sowieso ein billiger Promostunt. Zu kurz gedacht. Ganz am Ende reden die Protagonisten mit dem Filmenden, also auch direkt mit dem Zuschauer: „Du Hurensohn, macht es dich an, sowas zu filmen?“ Gute Frage. Denn: Wie geil sind wir denn eigentlich alle auf Gewalt? Und wie geil sind wir auf Ghetto-Romantik, solange sie niemals unser Viertel betritt?

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Haftbefehl—„Lass die Affen aus'm Zoo“

Die Grenze zwischen gewaltverherrlichend und gewaltdarstellend ist sehr dünn und Haftbefehl vollführte darauf mit seinem Video zu „Lass die Affen aus'm Zoo“ einen Drahtseilakt. Trotz des Einblenders am Anfang des Videos waren viele wegen der expliziten Gewaltszenen schockiert und nicht wenige empört. Haftbefehl wurde Gewaltverherrlichung, Effekthascherei und stumpfe Provokation vorgeworfen. Dass das Video auch als wertfreier Kommentar zur Lebensrealität gewisser Menschengruppen gesehen werden könnte, wollten einige nicht sehen.

Vince Staples—„Señorita“

Die Romantisierung des Ghettos ist ein Prozess, der sich parallel mit HipHop entwickelt hat und der einen erheblichen Teil dazu beigeitragen hat, dass gut situierte Mittelstandskinder mit verklärtem Blick Richtung Compton, Banlieue oder Kottbusser Tor starren. Man holt sich dort seinen Ayran, beglotzt die Junkies und sieht fasziniert aus sicherer Distanz den Bangern beim Streiten zu. Wenn man dann abends wieder in seiner Altbauwohnung sitzt, fühlt man sich lebendig und doch wieder ganz erleichtert, dass die Ghetto-Safari vorbei ist. Vince Staples führt in seinem herausragenden Video nicht nur jene Ghetto-Touristen, sondern auch das amerikanische Gesellschaftssystem vor.

Thy Art Is Murder—„Holy War“

Eigentlich sollte man denken, dass es für eine Metalband doch ziemlich schwer sein sollte, im Jahr 2015 noch mit einem Video derart zu provozieren, dass Leute vor Wut ihren Bildschirm anspucken. Aber die australischen Deathcorer Thy Art Is Murder haben mit ihrem Video zu „Holy War“ eben auch verdammt viel Batteriesäure in die Wunde gekippt. Der erste Ekelschauer läuft einem schon schmierig den Rücken runter, als gezeigt wird, dass sich die komplette Band den Mund zugenäht hat. Doch mit derart eindeutiger Symbolik nicht genug. Es wird auch ein Kind mit Sprengstoffweste, ein Kopf-abschneidendes IS-Mitglied und ein US-Soldat vor gefolterten Häftlingen erschreckend drastisch in Szene gesetzt, während Sänger CJ aus voller Kehle „Die for Christ/ Die for Allah / Die for Jerusalem / Die for Torah“ brüllt. Religionskritik klang selten so hasserfüllt.

Kendrick Lamar—„Alright“

„Alright“ und die Darstellung von Kendrick Lamars konfliktgebeutelter Heimatstadt Compton, ist eine Parabel auf das Leben von US-Afroamerikanern im Allgemeinen. Die Ausgrenzung und Missachtung von Persönlichkeitsrechten der Schwarzen ist auch im Jahr 2015 noch so relevant wie eh und je. Die Bildgewalt des Videos, sowie die simple Botschaft des Songs sprechen aber für sich: „We gon’ be alright“, egal wie oft man versucht die Menschen dort zu knechten! You go, Kendrick!