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Warum die Musikwelt mehr Typen wie Herbert Grönemeyer braucht

Herbert poltert bei Jauch à la Till Schweiger und zeigt den Jungen damit die Macht, die man als Popstar besitzt.

Herbert Grönemeyer ist der typische Vertreter einer unter Rockstars seltenen Spezies: Er ist einer, dessen Musik zwar von Millionen gemocht, aber von kaum jemandem so richtig gehasst wird. Während normalerweise parallel zu seiner steigende Popularität der Hass auf einen Popmusiker größer wird, ist es bei Herbert Grönemeyer eher so, dass heute selbst die, die seine Musik sterbenslangweilig und viel zu pathetisch finden, sagen: „Dis'n dufter Typ.“ Vielleicht ist er für Deutschland das, was Bruce Springsteen für die USA ist: Ein dem „einfachen Bürger“ zugewandter Star, der Allgemeinverständliches für die breite Masse aufbereitet und dabei mit genug Kunstfertigkeit vorgeht, um selbst mich, der Grönemeyer über seine Eltern kennengelernt hat (und mit deren Musikgeschmack allgemein nicht allzu viel anfangen kann) anerkennen zu lassen, dass ich über seine Musik eigentlich kein schlechtes Wort verlieren kann.

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Grönemeyer weiß um die große Meinungsmacht, die seine Rolle als Konsens-Rockstar, als „Volksdichter“ mit sich bringt: Seine dank dieser Position laute Stimme nutzt er regelmäßig, um der Gesellschaft ins Gewissen zu reden; so auch am Sonntag, als er in Günther Jauchs ARD-Talkshow saß, um zum Start der schon vom Titel her arg ungenießbaren „Heimat-Woche“ des ersten deutschen Fernsehens in illustrer Runde über Flüchtlingspolitik zu diskutieren.

Bereits letzte Nacht um vier schrieb das Online-Feuilleton der F.A.Z. von einem „bizarren Auftritt“. Für mich, der die Dinge wiederum etwas anders sieht als das bürgerlich-konservative Leitmedium, war der Auftritt des laut polternden Grönemeyer hingegen ein schöner Abschluss für ein Einheitsfeier-Wochenende, an dem sich Medien und Politik ein wenig zu sehr in schwarz-rot-goldener Deutschland-Romantisierung verloren hatten.

Zwischen Jauch und Kanzleramtschef Peter Altmaier sitzend, setzte er mit deutlichen Angriffen in der Sendung die entscheidenden Akzente beziehungsweise produzierte gute (weil klare) zitierbare Sätze wie: „Es war ein historischer Moment, dass (in der Flüchtlingskrise, Anm. d. Red.) die Gesellschaft den Politikern diktiert hat, wie es geht.“ und „Das, was er (Horst Seehofer, Anm. d. Red.) sagt, ist verbale Brandstiftung, um im rechten Lager zu fischen“. Außerdem stellte er, um die Finanzierung der Versorgung der Flüchtlinge zu sichern, eine Reichensteuer zur Debatte und bezeichnete den Islamischen Staat als „Resultat des Westens“.

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Natürlich kommen seine Aussagen nicht ganz ohne Schwächen aus. Als in London lebender, wahnsinnig erfolgreicher Star eine Reichensteuer für Deutschland zu fordern, das sagt sich natürlich leicht. Trotzdem: Er positionierte sich eindeutig, was eine Praxis ist, die ihn natürlich angreifbar macht, was gerade im allwöchentlichen Interview- und Talkshow-Zirkus viel zu selten praktiziert wird. Das gilt selbstverständlich für Politiker wie Altmeier, aber im Prinzip auch für Deutschlands größere Popstars.

Insbesondere unter Deutschlands aktuellen Superstars sagt man, so scheint es, eher ungern deutliche Sätze über Politik. Natürlich, wenn es darum geht Flüchtlinge zu unterstützen oder sich gegen Fremdenhass zu positionieren, dann sind viele schnell dabei. Weil dies der leichteste Teil der Aufgabe ist: sich einer beschissenen Entwicklung entgegenzustellen. Der schwerere Teil aber, für den man sich für etwas einsetzt und somit konkret werden muss, den überlassen die Jungen bisher, so scheint es, in erster Linie den älteren Semestern.

Selbstverständlich stehen Musiker nicht in der Verantwortung, politisch zu sein. Sie müssen sich nicht mal zu politischen Debatten äußern. In vielen Fällen wollen wir nicht mal wissen, was Musiker über die großen alltäglichen Probleme unserer Gesellschaft denken—sie sind halt Künstler. Trotzdem hat es etwas für sich, wenn ein Popmusiker sich regelmäßig auf das politische Parkett bewegt. Nicht unbedingt, wenn er, wie einst Freundeskreis, billigen Revolutionskitsch auffährt und keine Substanz bietet, wohl aber, wenn er/sie sich wie Grönemeyer klar zum Tagesgeschehen positioniert und im besten Fall sogar seine politischen Wünsche an die Politik formuliert. Denn: Insbesondere im Jahr 2015 kann eine solche Äußerung durchaus schnell bei vielen Menschen Gehör finden. Es braucht nicht allzu viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie der richtige Satz zur richtigen Zeit, gesprochen durch einen Künstler, so schnell so viel geshared und geretweetet wird, dass die Medien darüber berichten und so wiederum Politiker gezwungen werden, ein unliebsames Thema auf die eigene Tagesordnung zu setzen. Könnte also ein Casper, wenn er denn wollte, Einfluss auf die politische Meinungsbildung nehmen? Ich bin mir ziemlich sicher.

Günter Jauch—„Flüchtlingsrepublik Deutschland: Wo liegen unsere Grenzen?“ in der ARD-Mediathek

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