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Isolation Berlin finden das Leben nicht schön und haben auch irgendwie Grund dazu

Bands wie Isolation Berlin machen musikalisch nichts falsch und werden trotzdem nur von ein paar tausend Menschen gehört. Warum eigentlich?

Berlin im Januar. Oftmals kein schöner Ort. Grau in Grau, nur Wolken, Großstadtbewohner, denen man den Sonnenentzug an den lustlos heruntergebogenen Mundwinkeln ansieht, das übliche Gehetze. Zu sehen sind eilig umher wuselnde Konsumenten am Kurfürstendamm, Touristen, die mit leuchtenden Augen am Kottbusser Tor umherschauen, dazwischen wiederum gehetzt wuselnde Kreativ-Individuen und dann die Kopenhagener Straße in Prenzlauer Berg. Hier: nichts dergleichen.

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Vorne am U-Bahnhof Schönhauser war da immerhin noch eine Andeutung von urbaner Abgefucktheit zwischen all den Kaffeeläden, trotz der wohligen Gemütlichkeit, mit der die mitten im Leben stehenden Menschen hier ihren Alltag bestreiten. Auf der Kopenhagener Straße wiederum: totale Dorfidylle. Kopfsteinflaster, kaum Menschen, ein paar Radler, einige aufgeräumte Lokal-Büros am Wegesrand, ja, hier scheint gar die Sonne. Kein Grund für Trübsal, will man meinen. Der Moloch Berlin? Ganz weit weg. Möchte man meinen. Isolation Berlin meinen da etwas anderes:

„Ich nehm die nächste U-Bahn und fahr zum Bahnhof Zoo. Dort nehm ich mir 'nen Strick und häng' mich auf im Damenklo“, so geht eine der besten Zeilen von Und aus den Wolken tropft die Zeit, dem Debütalbum von Isolation Berlin. Lakonischer, rotziger Selbsthass—die große Stärke der Texte von Sänger Tobias Bamborschke, der in der Nachbarschaft lebt und an diesem Wintertag gemeinsam mit seinen Bandkollegen in eine Vorderhaus Erdgeschosswohnung auf der Kopenhagener geladen hat, um mit der Presse zu sprechen. Das Interesse an der Band ist groß, seit sie 2014 ihre ersten Songs auf Bandcamp veröffentlichten, zumindest seitens der Medien.

Die größtmöglichen Vergleiche wurden bald gezogen: zu Rio Reiser, zu Element of Crime, zu Joy Division und weiß Gott wem noch. Die Band macht dem Musikjournalisten Vergleiche wie diesen recht einfach: Von der Aufnahmetechnik über das Gitarrenspiel, bis hin zu den Melodien hallt in jedem Aspekt der Isolation Berlin-Musik das Früher, die großen Jahrzehnte von Bands und charismatischen Songwritern nach. Die Texte von Bamborschke, sie sind es dann, die diese Musikgruppe zu mehr als einer von vielen machen, die das analoge Früher reproduzieren und der digitalen Alltagskultur anno 2016 widerspenstig die Vergangenheit entgegen halten.

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Isolation Berlin sind sehr gut darin, dennoch wären sie kaum eine so gut besprochene Band, wäre da nicht dieser junge Mann mit der bewährten Helmut Schmidt-Schiffer-Mütze, der im Mittelpunkt der Songs steht und da wütet und trauert und leidet. Letzteres vor allem anderen. Viele von Bamborschkes Songs erzählen vom Leiden an sich selbst. Im Vordergrund steht dabei regelmäßig die vergangene Liebe, klar. Im Kern schlussendlich dann aber doch immer wieder vor allem ein Ich, das seine eigene Unzulänglichkeiten beklagt, selbst dann, wenn es sich von der als unwirtlich empfundenen Gesellschaft abzunabeln versucht.

Manchmal wird er dabei auch sehr selbstreferentiell: „In manchen Nächten frage ich mich: Bin ich Poet oder einfach nur besoffen?“ Insgesamt aber ist es immer wieder ein wohliger Graus, diesem jungen Typen beim Äußern seiner Misanthropie zu lauschen. Isolation Berlin machen Außenseiter-Musik, so wie Außenseiter-Musik sein sollte: Abgeranzt und hoffnungslos. Der einzige Haken an der Sache: Prenzlauer Berg, oder nicht?

Immerhin sitzt man immer noch in der Kopenhagener Straße, in der objektiv als Idylle wahrgenommenen Gegend inmitten des Berliner Dauerrauschens. Dass Bamborschke hier lebt, ist aber nur scheinbar ein Widerspruch. Immerhin ist dem Weltverzweifelten seine Umgebung schon immer herzlich egal gewesen. Man nimmt seine Umgebung immer auch ein wenig so wahr, wie es in einem selbst aussieht. Der gefährlichste Stolperstein für diese traurigen Menschen ist immer derselbe: Durch all das Ich-bezogene Lamentieren geht schnell das Wissen darüber verloren, dass man, ob man will oder nicht, dazu verdammt ist, immer auch ein Teil seiner Umgebung und somit Teil der Probleme zu sein. Alles, was man dem liberalen Bürgertum vom Prenzlauer Berg vorwerfen kann, kann man auch einer Band wie Isolation Berlin vorhalten: Dass sie ihre an sich privilegierte Stellung nicht produktiv nutzen und genauso protektionistisch, wie auch privatistisch agieren.

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Ganz ähnlich wie der Familienvater mit großzügiger 4-Zimmer-Altbauwohnung in der Kopenhagener Straße versteht sich auch der mit heiligem Ernst durch die Straßen flanierende Misanthrop als Mittelpunkt seiner Lebenswelt. Diese ist dementsprechend eine vergleichsweise kleine, nach festen Kriterien funktionierende. So spürt man in der Musik von Isolation Berlin wenig vom modernen Leben in zwei Welten, der digitalen und der analogen, die unser Denken prägen, ob wir nun wollen oder nicht. Die Texte von Bamborschke spiegeln nur die eine Hälfte der modernen Existenz: die des Menschen als Teil der Stadtgesellschaft. Das Isolation Berlin zum Vorwurf zu machen, wäre selbstverständlich Unfug, vermutlich ist Bamborschke einfach keiner von denen, deren dritte Gehirnhälfte ihr Smartphone ist.

Nichtsdestotrotz dürfte diese Feststellung die beste Erklärung dafür sein, warum sich für von sämtlichen Kritikern geliebte Indie-Bands wie Isolation Berlin nur ein paar Tausend Menschen begeistern lassen: den Zeitgeist treffen momentan andere. Das macht Berliner Schule/ Protopop, die etwas affektiert betitelte Sammlung früher Isolation Berlin-Singles, und Und aus den Wolken tropft die Zeit natürlich nicht zu schlechterer Musik. Im Gegenteil: Eigentlich ist bei dieser Band jeder Song zumindest „gut“. Echte popkulturelle Relevanz geht dennoch anders. Die entsteht vor allem dann, wenn Musik einen mit Fragezeichen hinterlässt, was bei Isolation Berlin selten der Fall ist. Was wiederum vielleicht erklärt, warum ich eine knappe halbe Stunde nach Beginn meines Interviews ein wenig ratlos über die Kopenhagener Straße zurück zur U-Bahn streune. Natürlich, ich habe professionelle Fragen gestellt und gute Musiker-Interview-Antworten erhalten. Aber sagte eine davon mehr aus, als: gute Musiker, gute Jungs, gute Band? So viel Selbstkritik muss sein: Diese Erkenntnis kommt leider zu spät und das wirklich Interessante blieb ungesagt—wie so oft im privilegierten Kuschelbiotop Musikjournalismus.

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