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Ich habe versucht, 24 Stunden Mixery Raw Deluxe zu schauen und lernte Deutschrap hasslieben

Zurück in einer Zeit, als Falk Schacht noch Caps trug, Kollegah „soliden Rapshit“ machte, Bushido von Schmerzen sprach und Rapjournalismus kritikunfähig war.

Es wird Zeit, Jan Wehn vom HipHop-Journalisten-Thron zu schubsen und ein seltsames 24-Stunden-Experiment zu machen. Wenn ich das richtig sehe, ist das die übliche Feuertaufe für berühmte HipHop-Journalismus-Koryphäen, also werde ich dadurch immerhin nun sehr bekannt und reich. Daher willige ich ein: Ich werde 24 Stunden lang Mixery Raw Deluxe auf YouTube ansehen. Ich schreibe das hier zu Beginn dieser 24 Stunden und habe wirklich große Angst, wie es mir morgen um diese Zeit gehen wird.

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17 Uhr

Der Tag beginnt mit einer herben Enttäuschung: Zur Entspannung wollte ich mir zuerst den legendären Taktloss-Auftritt anschauen. Das Problem: Das war auf Viva 2 bei Supreme. Die YouTube-Suche nach „Mixery Raw Deluxe“ gibt mir stattdessen die Auswahl aus einem Shindy-Interview über Kay One, einem Interview mit Fler und Godsilla (was für ein geiler Künstlername, warum hast du den geändert, Bruder?), die damals noch bei Aggro Berlin waren und Südberlin Maskulin hießen, einem Video mit Ferris MC und Stylewarz und einem Kollegah-Interview. Eigentlich sollte ich Oldschool sein und mir zuerst Ferris anschauen, aber ich will lieber etwas entspannter anfangen. Ich klicke auf Kollegah, 2008. Das könnte ganz interessant werden.

17:16

Kollegah nennt Falk seinen Freund und macht ironische Sprüche darüber, wie toll der Ort des Zusammentreffens ist. Glaubte er da schon an die NWO? Chemtrails? Zumindest seine Entwicklung zum Deutschrap-Stephan-Raab ist bereits abzusehen. Auch der war Anfangs ja gern etwas nervös. Er trägt ein Hemd und sieht auch wie eines aus (im Vergleich zu heute, nicht im Vergleich zu mir). Und er hat noch den geilen Sonnenbank Flavour samt Glitzerohrstecker. Kollegah den Asi hatte ich fast vergessen. Ich erinnere mich, warum ich den mal geil fand. GESTÄNDNIS: Kollegah ist kein Zuhälter, alles war nur Spaß. Er rappt scheinbar nicht das, was er ist. Somit: Fake. Versteht wieder keiner. „DU FOTZE!!!“

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Er sagt, er macht keinen Gangsterrap, sondern „ganz normal, einfach soliden Rapshit“. Gleich holt er bestimmt einen Magerquark aus dem Rucksack und kickt einen Freestyle auf dem Parkplatz im Schnee. Falk sagt: „Aber wir Journalisten brauchen doch Schubladen.“ Er hat Recht: Sie brauchen Schubladen, das ist gleichzeitig konstituierendes Merkmal und das größte Problem des deutschsprachigen Rapjournalismus. Leider hat Falk aus dieser Einsicht scheinbar nicht genügend Schlüsse gezogen und konnte weder Rapupdate noch hiphop.de verhindern. Man möchte es ihm zurufen, ins Jahr 2008 zurück: Hört mal Musik und labert nicht nur Scheiße, erzähl das auch mal den anderen! Er hört mich nicht.

17:28

Wenn Kollegah noch einmal „Tester“ sagt, lösche ich Zuhältertape 1 aus meiner Musiksammlung.

17:29

Okay, doch nicht. Aber es nervt sehr. Das war eine schlimme Zeit um 2007 bis 2010, als viel über Credibility geredet wurde und Rapper immer erzählt haben, wie Menschen, die sie als Rapper kennen, in ihr Privatleben eindrangen. Und testeten, ob die wirklich so hart waren. Was sie natürlich nicht waren, daher das Problem. Da gab es auf Carlo Cokxxx Nutten 2 einen Song von Fler und Bushido darüber, Titel vergessen.

17:34

Falks Cap ist ganz schön. Ihm stehen Caps ähnlich schlecht wie mir, weil er eine ähnlich schmale Kopfform hat. Dennoch rockt er sie selbstbewusst. Das ist nice, vielleicht hole ich meine Caps auch mal wieder raus. Falk gibt keinen Fick. Falk stellt kritische Fragen bezüglich Kollegahs islamischer Lebensweise. Kritische Fragen!!! Hallo, Rooz, schau dir das doch auch nochmal an! (Kleiner Scherz, Bruder, du weeeißt)

17:39

Kollegah redet von Rap. Ich bekomme Diarrhoe. Zufall?

17:55

Liegt das an YouTube oder sah das damals echt alles so scheiße aus und klang so bescheuert?

18:00

Kollegah lobt Farid Bang und Casper. Huss und Hodn? Nicht so sehr. Die Lines findet er gut, aber er kann sich das nicht anhören. Grund: Beats. „Geh'n mir nich rein“. No homo. Wenn man den 2015-Kollegah schon kennt, hätte man sich das aber denken können. Er mag nur Sachen, die mathematisch berechenbar gut sind.

18:08

Die Homophobie-Diskussion steckte damals echt noch in den Kinderschuhen. Kollegah sagt, bi geht bei Frauen klar, bei Männern nicht. Uff. Falk sagt, das sei nicht homophob. Good one!

Zwischenfazit I

Allgemein merkt man, dass Rap seit 2000 zwar wesentlich härter geworden ist und die berühmten Rapper nun der Szene entstammen, anstatt majorfinanziert und (gefühlt) gecastet zu sein, aber ein kritischer Umgang mit sich selbst noch fehlt. Klar, Rap musste sich ja auch erstmal als Kulturform abgrenzen gegen die Darstellung als Ghetto-Fantasie-Gimmick. Da ist es auch verständlich, dass Falk Kollegah verteidigt: Er ist hier nicht sein politischer Gegner, sondern vor allem Vertreter der Szene, der beide angehören. Hoffentlich bestätigt sich meine Annahme im Laufe des Abends noch, dass Rap 2000 total naiv war, 2008 in einer Emanzipationsphase steckte und bis 2013 endlich Zeit hatte, sich mal in Ruhe mit sich selbst als (inzwischen relativ etablierter) Kunstform zu beschäftigen.

18:12

Fler jetzt. Hahaha. Das wird geil!

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18:13

„Ich bin ein Rapper!“ Nice. Einfach nice. Bushido/Saad-Seitenhieb wegen „Nie ein Rapper“. Heute gibt Fler zu Recht Props für den Snaresound des Tracks, der sozusagen eine Street-Version der „Aaliyah“-Snare war.

18:14

Silla sieht schlimm versoffen aus. Der akkurat geschnittene Rand seines Bartes erzeugt eine verwegene Doppelkinn-Optik. Er braucht dringend jemanden, der ein besoffenes Telefonat von ihm auf YouTube lädt. Sie reden über Müslirap. Sie wollen keinen Müslirap. Heute gibt es keinen Müslirap mehr. Fler hat es geschafft.

18:17

Schlechte Verkaufszahlen. Gangsterrap in der Krise. Wie kann man sich eigentlich so eine Sinnkrise bei Gangsterrappern vorstellen? Hey Graphizzle oder sonst ein kecker Karikaturist, mal sowas doch mal! Aber dabei dann die Ronaldo-Gedächtnisfrise bei Fler nicht vergessen. Überall 3 mm, nur vorne einen Mini-12-mm-Pony-Ellipsen-Streifen.

18:22

Ich werde langsam verrückt, dabei sind erst weniger als 90 Minuten geschafft. Wie soll das weitergehen?

18:25

Was haben die alle geile Riesenhosen an. Es ist wirklich sehr lustig.

18:36

„Meine Idee. Alles ist meine Idee, alles.“ (Fler, 2008) Schade, dass es 2008 ist, noch keiner Twitter hat und niemand hashtaggen kann.

18:41

Fler spricht offen über seine psychischen Probleme und beweist dabei mal wieder, dass er nicht dumm ist, sondern einfach zu impulsiv. Dabei holt er ein monströses Slider-Handy aus der Tasche und drückt darauf herum. 2008, das Jahr vor Smartphones.

18:46

Es geht um eine GNTM-Kandidatin und darum, ob Fler und sie Nummern ausgetauscht haben. Das ging damals also: Rap war am abkacken, aber taff-Gossip ging locker. Ganz komisch alles, habe ich nie verstanden. „Lass ma nich über so’n Kack reden, lass ma über Rap reden“ (Fler). Recht hat er. Hätte er mal auf sich gehört.

18:56

Fler redet von Psalm 23. Ich trage ein Psalm 23 Shirt. Swag.

18:59

Bald wird es keine CDs mehr geben, und dann verdienen nur noch die Geld, die ihr Album für mehrere Millionen an Webhoster verkaufen können. Dafür, dass ich 2001 meine ersten Lieder illegal heruntergeladen habe (und das mit Neun), ist es echt erstaunlich, dass bis 2008 noch kein digitaler Vertrieb zu existieren schien. Dafür musste erstmal alles schön crashen. Eigentlich lächerlich. Fler tritt aber einfach auf der GamesCom beim Rapidshare-Stand auf. Nice. Ich werde melancholisch und denke an die Zeit, als ich noch zur Gamescom ging und um 9:00 Uhr ins Bett musste. Dann merke ich dass es erst 19 Uhr ist. Ich stelle eine Prognose auf: Mixery Raw Deluxe wird gewinnen, ich werde verlieren.

Dann rechnet Fler, ganz 2008, vor: 300 000 illegale Downloads seines Albums über Rapidshare: Sie schulden ihm 3 Millionen.

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19:07

Ferris MC. DJ Stylewarz. Herbertstraße. Ferris sagt, er geht jetzt in den Puff. Stark! Der Moderator ist nicht Falk. Dafür rockt er einen nicen Bucket Hat. Stylewarz eine The-North-Face-Funktionsjacke. 2000. Ihrer Zeit voraus! Es geht um Unehrlichkeit (weit verbreitet in der Szene) und Realness (wenig verbreitet in der Szene). Ich bin überrascht von den Geistern der Vergangenheit, das hatte ich nun in einem Deutschrapinterview thematisch eher nicht erwartet (ironisch gemeint).

Rap war noch Nische, die Szene sehr underground. Komisch, dass dafür dann im Fernsehen Platz war. Aber gut, wo auch sonst, etwa im Volksempfänger?

19:14

Ferris kommt zurück und sagt „Oaaah“ und macht sich die Hose zu. Sowas war damals wahrscheinlich die Sahnehaube deutschsprachigen Raphumors. Kommt mir mal nicht mit Jahrtausendwende-Nostalgie, da war es auch schön scheiße (also langweilig).

19:20

Der Moderator („Dr Whatsn Lousn“ aka MC Rene) macht einen Sex-Shop-Freestyle. Ich zweifle an meiner geistigen Gesundheit, zu diesem Artikel „Ja klar, gerne!“ gesagt zu haben. Dann interviewt Rene seine Gäste am Hamburger Hafen. 16 Jahre später schließt sich der Kreis und ich interviewe nur wenige Meter weiter Haiyti. Geschichte wurde geschrieben!

Ferris sagt immer Dinge wie „da hast du derbe schwer gerockt“. Da hat Oli Schulz also sein Rapvokabular her: Hamburg 2000. Die fehlende Professionalität kommt vermutlich daher, dass alle Beteiligten in jeder Drehpause gemeinsam derbe krass Einen durchziehen. Hammerhammerhart.

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19:30

Jetzt eine Freestyle-Battle-Runde von der Jahrtausendwende. Alle, die cool sind, rappen wie MOR. Ein anderer Typ taktlost ein wenig zu sehr und verkackt. Sein Rappername ist Denis. Der Moderator in Vokuhila und Mütze und allgemein seltsamem Wollepetrystyle ist MC Rene.

Der eine MC rappt immer zu viele Zeilen. Die kriegt er jetzt wieder abgezogen oder so. Das ist nice. Battle, Community. Ich höre aber lieber gute Songs, daher werde ich zunehmend genervt.

Ich koche mir den ersten Kaffee. Das ist eigentlich zu früh.

19:55

Kool Savas und Jack Orsen im Interview. Reen hat einen anderen Bucket Hat auf, der ebenfalls nice ist. Damn!

20:02

Rene wird mir langsam unangenehm. Die Freestyles, die inhaltsleer so viele gleiche Reime wie möglich aneinander reihen sind noch nerviger als Silbenzählerrap.

Der 2009er Freestyle von Kay One dagegen ist sehr gut. Aber das wissen ja schon alle.

20:20

Jetzt ist es Zeit für das 2003er Interview von Falk mit Bushido und Flare (sic). Mein erstes Rapinterview, das ich damals auf Germanrapvidz gesehen habe. Flare sagt, man muss die Schultern breit machen in Berlin, sonst lässt einen keiner durch.

„Alles Gassen, ich hab noch keine Hauptstraße hier gesehen.“ In Köln. Voll geil. Jetzt kommt die Stelle, wo Bushido erklärt, dass auch die CCN-Crew Schmerzen kennen und Gefühle haben. Ich habe Gänsehaut. Geschichtsträchtiger Moment. „Deutschrap geht’s schlecht, weil wir schlecht rappen.“ Kann man nicht mit ficken, der Mann hat einen Punkt.

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Ich muss kurz weinen, als Bushido und Flare eine Bushido-Tour mit Creutzfeld und Jakob und ein gemeinsames Mixtape ankündigen, was Beides nie geschah. Sidos Debütalbum sollte ursprünglich Buh! heißen. Es ist alles pures Gold. Wie lang soll dieser Text denn noch werden?

20:30

Jetzt begrabe ich meinen Verstand, ab hier wird der Text vermutlich immer verstörender: Taktloss präsentiert BRP 56.

Schemenhaft erkennt man ihn in einem schlecht beleuchteten Raum, er setzt sich hin und hört über einen Mini-Ghettoblaster das Album über Kopfhörer. Er geht ab, er lacht, er summt mit, er kommentiert. Der Zuschauer hört von der Musik nichts. Habe ich mal für ein Previewvideo zum letzten Album meiner Band eine Hommage zu gedreht. Hat keiner erkannt, fand keiner witzig.

Takti rappt mit. Die Hook zu „Weltrekordhalter“ ist tatsächlich ein Hit. Wie der komplette Song. „Da gibt’s noch ne dritte Strophe. Ich skippe mal weiter. Super Song, bis auf den Beat, der ist beschissen. Was kommtn jetzt? Ach ‚Der Anfang vom Ende‘, da hatte ich einen schwachen Moment, als ich den Text geschrieben habe. Und der Beat ist auch scheiße.“ Ich tanze zu einem schlecht gemischten Acapella von „Gangsta Boogie ohne Popschutz“. Der Kaffee war definitiv zu früh. Ich bestelle Pizza. Takti ruft gerade eh nur noch „yeah“ und „wooh“.

Ich denke darüber nach, dass bei Originalausstrahlung kein Smartphone zum Nebenbei-Grinden existierte. Ich wage also nun das Experiment, nach vollendeter Pizzabestellung die komplette „Präsentation“ mit voller Aufmerksamkeit zu konsumieren.

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Mir fällt vor Schreck das Durag vom Kopf, als mir bewusst wird, dass YouTube früher eine 10-Minuten-Zeitbeschränkung hatte. Ich muss also mehrfach auf „weiter“ drücken. Takti sagt oft, dass die Beats scheiße sind und auch die Gastrapper. Das ist wohl teilweise ein Scherz, aber auch nicht ganz falsch, oder!?

21.19

„Fußball ist besser als Hiphop!“

21:49

Nach 40 Minuten ist es endlich geschafft. Ich habe endlich gegessen, aber ohne auf den Geschmack zu achten. Als Takti das Video gemacht hat, gab es noch nicht einmal YouTube, und ich hatte gerade über unsere neue DSL-Leitung die Aggro Ansage 4 runtergeladen und heimlich auf meinen 256 MB-MP3 Stick gepackt, damit Mutti nichts mitbekommt. Ich war 12, Mutti wollte das nicht so gerne. Das war damals, als Eltern vor Rap noch Angst hatten. War ein bisschen cool, aber vor allem sehr nervig.

Flashmaster Ray ist ein Urgestein (sagt die Schrift). Er benutzt Formulierungen wie „Ich bin seit 20 Jahren bei der Sache dabei“ und meint mit der Sache HipHop. Er ist die Rosa Luxemburg des R A P. Aufgrund der komischen Gimmick-Brille fällt es mir schwer, ihn ernst zu nehmen. Aber auch sehr spacy. Falk sportet eine geile rote Hummel-Jacke, die aber unter der schlechten Videoqualität sehr leidet.

21:59

Ich google doch. Das ist von 2011. Ach du Scheiße, ich hatte auf Mitte 90er gehofft.

22:17

Das war eine Menge Space Shit. Jetzt bin ich satt und zufrieden und reibe meinen Bauch. Was würde da besser passen, als ein Shindy-Interview von 2013? Los geht’s, Falk, mach mich glücklich mit INVESTIGATION zu KAY ONE!

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Da fällt mir ein, dass ich vielleicht einfach parallel Falk antwittern könnte und ihm meine offenen Fragen stellen. Erstmal schauen, ob er Mr. Robot endlich gefunden hat.

Falk nennt Kay wirklich „Kai“. Ich muss kurz lachen.

22:30

Eine Viertelstunde mit Twittergrind verschwendet. Muss ich die jetzt hinten dran hängen? Sollten mir die Konditionen nicht passen, gründe ich vermutlich hinterrücks eine GmbH und erpresse den Chef.

Man merkt, wann Shindy Sachen sagt, die er von Bushido gehört hat oder ihm von Bushido erklärt wurden. Er wechselt dann in einen Bushido-Duktus und und redet mehr Stakkato. Sehr lustig. Hoffentlich gibt es noch ein paar Bushido-Interviews, die ich gleich ansehen kann.

Falk rockt eine geile Lacoste-Jacke. Shindys scheinbar lachsrote Jogginghose wirkt dagegen wie ein Vorspeisenteller für 29,95 €.

Zwischenfazit II

Falk ist in den 5fünf Jahren seit dem Kollegah-Interview wesentlich souveräner und vor allem reflektierter geworden. Er hat sich in diesen Jahren scheinbar für eine Weile aus der HipHop-Bubble herausbegeben und verfällt nicht mehr in veraltete rapinterne Argumentationsmuster. Sehr angenehm. Sehr gute Interviewführung. Außerdem ein gutes Zeichen für Rap als Kulturform an sich. Der 2013-Falk würde dem 2008-Kollegah nicht mehr bescheinigen, nicht homophob zu sein.

23:04

Sieh mal einer an, 2010 konnte Manny Marc sich noch die Haare schneiden. Es ist erstaunlich, wie viele Songs der „Atzen“-Hype damals abgeworfen hat, auch in Sachen Features. Wie konnte dieser limitierte Witz so lange halten? Schlagerkultur?

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2009 gab es auf dem Wacken-Festival eine Wohnwagensiedlung voller atzenbrillentragender Partyatzen, die die ganze Zeit Die Atzen hörten und dafür regelmäßig von den anderen Metal-Freunden angegangen wurden. Das war crazy.

23:31

Warum hängen die eigentlich immer in Plattenläden rum? Die sollten mal alle zeitgemäßer werden, Rapper bringen einfach ihren Laptop mit, man geht ihren Musikordner durch und hat die Sache in fünf Minuten abgehandelt.

23:35

Microphone Mafia, 2001. Al Dente Records. Champion. Eine Marke, die mit Aggro Berlin weg war. Zufall?

Was in Clips aus dieser Zeit auffällt, ist, wie unentspannt die meisten Accessoires noch verwendet werden. Wenn Chris „Aaaight“ sagt, wenn allgemein Anglizismen fallen oder USA-HipHop-Modetrends gerockt werden, wirken die Protagonisten selten, als würden sie sich dabei wohl fühlen. So wie damals, wenn Mama einen mit den hässlichen klobigen Winterschuhen zur Schule geschickt hat, weil man angeblich bei 20 cm Neuschnee keine Canvas-Lowtops mehr tragen kann. Irgendwie schafft Deutschrap es nicht, unverkrampft zu sein. Außer dem aufkommenden Straßenrap-Lager, die sich (verständlicherweise) von den Rap-Roots distanzieren und sich neue Helden wie Savas suchen (oder einfach sich selbst, wie Bushido und Fler).

Leider greift bei Innovation dann ja so häufig der Alman-Algorhythmus, und es wird ab dem ersten Hype nur noch stumpf und verkrampft kopiert. Das droht gerade durch den extremen Nimo-Hype vermutlich auch der schönen neuen Straßentrap-Welle.

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23:54

Gleichzeitig merkt man aber auch, dass deutschspachige Hiphopkultur von Anfang an (neben den Blödel-Rap-Gruppen des Mainstreams) sehr conscious war. Zwar wurde vor allem über Rap gerappt, trotzdem wurde sehr reflektierte Identitätsbildung geübt. So konnte der Name einer Gruppe (hier Kanack Attack) dazu führen, sich loszusagen, weil man sich selbst eher als Mensch oder MC definierte, als über die Abgrenzung als soziale Minderheit. Heute könnte „Maskulin“ eine Frau signen und keinen würde es stören. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, ist dabei aber auch unklar.

„Es ist alles nur Battlegelaber“. Zu wenig Inhalt, falsche Werte. Dann kam das Gangstergelaber, kurz Studentengelaber, zurzeit eben das Geld- und Versace-Gelaber. Alles wird Mainstream, die vier Elemente gehen unter. Seit 25 Jahren wird die wahre Hiphopkultur verfälscht durch Mainstream-Invasoren (Flüchtlinge). Im Internet kann man nicht sprayen und nicht tanzen. FAKT. Ohne Vinyl und MPC ist es kein Hiphop. FAKT. Freestyle. Graffiti ist das Realste, weil es illegal ist und sich so nicht kommerzialisieren lässt. Kann man so sagen. ABER BANKSY!!! …

Ich werde zynisch. sieben Stunden Mixery haben ihre Spuren hinterlassen. Als ich gerade verrückt werden will, kommt Pete Rock & CL Smooth—„They Reminisce Over You“. Weil der Song im Soundtrack der Demo von Aggressive Inline vorkam, hätte ich ihn eigentlich hassen müssen (offensichtliche Erklärung: Es ist ein Inline-Skater-Videospiel). Im Nachhinein macht der Song mich aber positiv melancholisch. Jetzt wird Seak, ein Sprayer, interviewt. Er sieht 1:1 aus wie ein Maler&Lackierer-Meister. Das finde ich geil. Das Interview nicht, ich schalte um.

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0:10

Deichkind nerven mich. Krass, wie uncool Rap war. „Ich drücke Tasten. Ich mache auch Beats. Mit dem Kerl da.“ Alle wollen betont lässig sein und liegen entspannt auf einer Wiese rum und grillen für die Kamera. Souveränitätslevel Jugendhaus-Band bei ihrem vierten Auftritt (machen auf dicken Hose wegen 2 qm Backstage und drei Freibier pro Person, halten ihre Musik für innovativ, aber fragen sich nicht eine Sekunde, warum ihre Musik nur von Leuten gefördert wird, die dafür vom Jugendamt bezahlt werden. Gegenseitige Bespaßung einer sich selbst obsolet machenden Szene oder so. Puh. Das ist aber ein langer Klammer-Einschub).

Alle haben sich schick gemacht für ihren großen TV-Auftritt und legen sich dann betont lässig auf eine Decke, was aber nicht so gut klappt, weil man ja AUCH dafür sorgen muss, dass die Klamotten (die eher zum Stehen bis Sitzen geeignet sind) perfekt sitzen. Hartes Schicksal.

Rene in Track Pants und offenem Hemd. Nina MC ist auch da. Der Flow erinnert Rene an Busta Rhymes. „Alles Kekos“ (Fler 2001 bis heute). Sie touren und nehmen immer den hauseigenen Lichtmann. RAP braucht keine Show. RAP ist real. Die gleichen Jungs machen jetzt mit Ferris MC bescheuerten Electropunk-Rapshit. Wie kann man sich nur so hart gönnen? Vom einen Scheißextrem zum andern. Aber jetzt wenigstens mit Hits, also okay.

00:24

Malte macht sich jetzt über sächsischen Dialekt lustig. Das ist wirklich hochnotpeinlich. Hoffentlich muss ich gleich mal auf Klo, damit ich etwas Pause machen kann, ich trinke schonmal präventiv viel Wasser.

0:45

Nina sagt, Kool Savas verstehe es besonders gut, seine weibliche Seite zu kompensieren. Was auch immer sie damit meint: Also da kommt DER Seitenhieb vom „Urteil“ her. Wieder was gelernt. Was war damals eigentlich mit den Mikros verkehrt, dass die nie ein zusätzliches Raummikro haben, damit man Leute auch versteht, wenn sie gerade kein Mikrophon haben?!

Jetzt machen alle Witze über Savas. Gottseidank ist er jetzt ein Star und eine Legende und hat die Grundlage für Battle- und Straßenrap mit gelegt, und Malte ist jetzt Gitarrist bei Texas Lightning. Ich denke, das kann man so stehen lassen.

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1:11

Ein Fettes-Brot-Interview. Beim Wikipedia-Faktencheck merke ich, dass die Hits „Nordisch by Nature“ und „Jein“ '95 und '96 rauskamen. Da war ich drei bzw. vier. „Nordisch by Nature“ war vermutlich mein erster nerviger Scheiße-Ohrwurm. Nachdem ich es zum ersten Mal gehört hatte (ich lag in meinem Hochbett) rutschte ich relativ wütend meine Schlossturm-Rutsche herunter und verprügelte meine Geschwister. Gottseidank hatte ich keine Geschwister. Das Lied ging mir dennoch nicht mehr aus dem Kopf (negativ gemeint). Was für eine schlimme Zeit.

Mein Gott Rene. Wann kommt denn mal wieder was mit Falk? Irgendwie gibt es nur Mixery-Videos von 2000/2001 und dann wieder ab 2008. Schade.

König Boris sieht eher aus wie „Mittlerer Verwaltungsangestellter Thorsten“. Die Features sind Absolute Beginner und Smudo. Na das passt ja, könnte man sagen, wenn es nicht längst Geschichte wäre, und nichts mehr, was sich zu analysieren lohnt.

1:32

Jetzt auch noch Fünf Sterne Deluxe. Was soll das, zur Hölle? Aber plötzlich wird es geil: Marcnesium ist offensichtlich viel zu breit, um noch irgendetwas auf die Reihe zu bekommen. Er und Rene bekommen schubartige kurze Lachanfälle, suchen ewig nach Worten. Marcnesium bricht sogar Antworten mitten im Satz ab, macht seltsame Geräusche und lacht dann. Wissen die wenigsten: Die vier Elemte des HipHop sind Rap, Kiffen, Kiffen und vom Majorlabel unnötig große Räumlichkeiten finanziert kriegen, in denen man Rappen und Kiffen kann. Es macht den Eindruck, als stünde mindestens einer der Beteiligten ganz kurz vor einer akuten THC-Psychose.

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Sie sind also in die Natur gefahren, um dort gemeinsam zu leben und zu produzieren. Das ist alles so scheiße und so Majorlabel und so wenig real und Selbstermächtigung, dass ich weinen könnte, wenn ich nicht so müde wäre.

Zwischenfazit III

Es ist wirklich erstaunlich, wie selbstgefällig die damals erfolgreichen Akteure dieser ästhetisch abseits einiger Pop-Hits total irrelevanten Rap-Gattung über ihre „Schmankerl“ und „Hits“ sprechen, weil ihnen irgendwelche Majorlabels tonnenweise Geld und Strukturen geben, um ihren verkifften Lifestyle „professionell“ weiterleben zu können. Das war Deutschrapland 2000. Da versteht man, warum um die Jahrtausendwende eine Generation junger Rapper entstand, die anfing zu battlen und in der öffentlichen Wahrnehmung (gipfelnd bei Aggro Berlin) versuchte, möglichst hart zu schocken. Und dabei auch noch beweisen mussten, dass HipHop eine lebendige Kultur ist und kein Haufen aus gutbezahlten, sich viel zu ernstnehmenden, halbgaren Rappern und paradiesvogelmäßigem Füllmaterial aus Szenehampelmännern, die die anderen Elemente des HipHop pro forma ab und zu in die Kamera hielten.

Die subversive Kraft des 90er Raps war ungefähr gleich null, was dazu führt, dass die „neue Generation“ Anfang und Mitte der Nullerjahre trotz des Verzichts auf roots-bezogenes Representen der anderen Elemente einfach die Wut der amerikanischen HipHop-Roots viel besser einfingen.

Die habsburgische Dekadenz stand noch; aber sie wurde bald zu Fall gebracht, und ihre Revolutionäre gruppierten sich schon im Bunker.

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2:16

Nach neun Stunden offenbart sich (neben dem fortschreitenden Wahnsinn) eine weitere Schwäche des Plans: Das Material geht zu Neige. YouTube bietet nicht so viel Mixery Raw Deluxe, wie man meinen könnte. Ein paar Old School Classics, einige legendäre Interviews, und das war es beinahe auch schon. Es gibt noch längere Interviews en masse, aber man findet sie meist nicht unter „Mixery Raw Deluxe“. Aber einen Channel voller kurzer Clips—vor allem von Farid Bang und Fler—gibt es immer noch. Und den kann man sich dann ja auch nochmal geben.

3:15

Es gibt noch Clips und ich bin auch nach wie vor eifrig dabei, sie mir anzusehen. Die Videos, die Klicks bringen und deshalb von dritten Leuten hochgeladen wurden, sind Interview-Ausschnitte, in denen von Falk interviewte Rapper Gossip betreiben und rumdissen. Nichts wirklich erhellendes.

4:08

Ich gebe auf. Selbst die JBG2-Interviews waren unspannend, wenn auch erheiternd. Ich habe Angst, dass ich bald anfange, zu halluzinieren. Ich bin sehr froh, kein Fünf-Tage-Experiment eingegangen zu sein und hoffe, das auch niemals tun zu müssen. Sage ich dann aber bestimmt sowieso wieder zu.

Fazit

Die Episoden der Deutschrapgeschichte, die in den auf YouTube verfügbaren Mixery-Ausschnitten zu sehen sind, zeigen drei wichtige Entwicklungsstufen: Rap kommt 2000 zum ersten Mal im Mainstream an, nimmt sich aber selbst nicht ernst und wird entsprechend nicht ernst genommen. 2008 nimmt Rap sich ernster, muss aber sein altes Image loswerden und dafür zusammenhalten. Deshalb ist er wenig selbstkritikfähig. Rapjournalismus ist 2008 noch sehr Szene-intern und im liebenswerten Sinne unprofessionell. Und 2013 ist endlich alles nice, zumindest bei Falk. Leider hören auf ihn scheinbar nicht viel mehr Leute, als auf Fler.

PS: Beim Redigieren fällt mir dann noch auf, dass ich das Huss&Hodn-Interview übersehen habe. Schaut es euch besser noch an, es ist bestimmt gut.

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