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Stereotypen, große Gesten&Gekotze—Das ESC-Casting ist großartige Kunst

Heute ist das Finale von „Wer singt für Österreich?“ Unser Autor hat sich ein paar Gedanken zu der Show gemacht.

Foto via Facebook

Jeder von uns hasst Castingshows, anständige Musikliebhaber hassen Castingshows, Castingshows sind scheiße und Musik kommt ohne sie aus. Nun gibt es diesen Song Contest—wieso gibt’s den eigentlich?—heuer ja in Wien, und der ORF hat Die Große Chance schnellstmöglich umfunktioniert, um unseren ESC Teilnehmer und ein paar Quoten reinzucasten. Mit dabei als Jury sind irgendwelche Cowboys, Nazar und Hanna F. Nach drei Ausgaben ist es heute Zeit für ein Zwischenfazit dieses eigenartigen, neonleuchtenden Spektakels.

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Der Großteil von uns hat bisher bei Castings, Songcontests und Seitenblicke vermutlich die Möglichkeit genutzt, den Sender zu wechseln. Sogar Dokus über Trompetenbauer in High Definition auf Servus TV oder Magnumschnauzer auf ZDF neo zahlen sich mehr aus als diese Ergüsse an Show- und Glamourgeilheit.

So ging’s auch mir. Durch meine regelmäßigen Spätdienste im Zivi und der Neugier, Kommando Elefant auf hässlichen Castingbühnen zu sehen, bewegte ich mich aber dieses Jahr dann doch dazu, den Fernseher einzuschalten. Weil ich ansonsten dem Rolli meiner Wohngruppe die Zähne putzen hätte müssen und er mir wahrscheinlich wieder den Becher auf den Kopf geworfen hätte, hab ich diese Entscheidung sowieso nicht bereut. Als aber dann Kommando Elefant vor Miriam Weichselbraun die Ambivalenz aus Wildheit und Gesellschaft, Elefant und Kommando erklärten, wusste ich, dass ich alles richtig gemacht hab. Am Ende der Show besangen die Bassbrüder von Johann Sebastian Bass mit ihrem „Heart of Gold“ die Bühne und ich musste fast weinen. Nein wirklich, es machte mir ernsthafte Freude, teilweise so gute Livemusik auf diesen Bühnen zu hören—und mit Dawa, Mizgebonez, Kommando Elefant, JSB u.a. gab’s da auch was! Die Jury spielte den Good Cop und alles wirkte sehr versöhnlich.
Große Hoffnung erfüllte also meine Vorstellung von den nächsten drei Sendungen und dem Moment, an dem ich gute Musiker Playback für Österreich gestikulieren sehen werde.

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Ich rechnete in meiner hoffnungsvollen Vorstellung natürlich nicht mit dem, was logisch folgte. Der ganze Castingwahn. Überraschungsauftritte. Cover. Jurygekotze. Nach der zweiten Sendung war ich einfach nur angepisst, wie dumm viele Urteile über Musik nicht sind, hab mir die JSB-Platte durchgehört, zu „Marmelade Skies“ geweint und mich schlafen gelegt. Stinksauer war ich und fühlte mich in meinem Castinghass bestätigt. Ich träumte davon, dass JSB mit ihren Nords das Banjo vom neuen BossHoss-Album einspielten, weil die es selber nicht konnten. Ich versuchte es mit einem alten Traumbuch zu deuten, kam aber nur auf Phallussymbole und Weichselbrauns Stöckel. War kein guter Abend. Aber Leute. Nach der Apokalypse kommt das Heil. Hat mir der chronisch besoffene Pater in meiner Schulzeit ständig zu erklären versucht. Und wie immer hatte der Rotwein recht: Was dann kam, kickte mich richtig.

In der dritten Ausstrahlung gings richtig ab. Produzentenlegenden, die Bassbrüder, die ich inzwischen liebe, mit einem #1 Hit und die Makemakes in LA—so viel geballtes, glitzerndes Österreich hab ich selten im Abendprogramm auf einmal gesehn. Die Grenze zwischen Schmeh und Ernst war dünner als bei Josef Hader, nur irgendwie unabsichtlich, was das Ganze noch viel großartiger machte. Weichselbraun und Patrick Pulsinger, Zebo Adam und Hoss Power. Lasst euch diese Mischung von Professionalität und flachen Glamour auf der Zunge zergehen. Harte Kontraste in dieser Sendung. Und gut gemeint konzipierte Stories: Folkshilfe lassen sich von einer amerikanischen Hitparadenwriterin die Quetschnbeats zur deepen Teeniehymne umschreiben, der Akkordeonist setzt sich dafür sogar ein Brooklyn-Kapperl auf—die laut Jury „Crazy Motherfuckers“ Makemakes fliegen nach L.A., wo sie zu Route 66-Schildern posen um sich von einem Typen, der mit Madonna, Bruno Mars & Pink gearbeitet hat und sich für jede Ex eine Gitarre kauft, produzieren zu lassen. („Weeeeelcome in L AAA, hehehe“, erbricht sich der Glatzkopf an seiner Haustüre.) Die nette Wienerin Celina Ann singt Balladen, die sie mit einem Hamburger Emo auf Speed geschrieben hat und das etwas zu süße Girly Zoe singt „Chansons“ und Pophits von ihrem Papi. („Und Papi, was schreiben wir für Lieder?“ „Wir schreiben schöne Lieder, Mädchen.“ hach.) Dawa bleiben der Musik und sich selbst treu und sind damit sympathisch.

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Also alles feinste Sahne: Ungewollt pointiert und richtig trashig. Spätestens nach den Makemakes in LA war ich begeistert von dieser Sendung, die einen Teil von Österreich und seine oft so eigenartige Vorstellung der Musikwelt wiedermal so abgefuckt auf den Punkt brachte. Die Hoffnungen, die man sich anfangs machte, wurden nicht bestätigt. Dafür bekam man bunt zu sehen, dass Castingkultur zu nichts führt. Glückwünsch an die Musiker, ihrem Können und ihrem Zuwachs an Bekanntheit—aber lasst euch nicht zu flachen Schubladenpop machen, wie es die Sendung vorhat. Das Drumherum ist so oberflächlich, dass es schon wieder ironisch inszeniert wirkt. Zum Glück aber gibt's das Trio, das diese Stereotypie so gut versteht wie kaum ein anderer der Beteiligten und mit seinem stillen Witz so über diesem Bewerb steht: Johann Sebastian Bass feierten sich selbst und nur sich selbst und die Musik, gaben feinsten Pop, Barockbräute, Tonnen von Schminke, es glitzerte und trashte nur so dahin, war tanzbar und groovte wie Sau. Zebo Adam hatte trotz Jury Recht, Absolutio ist ein Hit.
Gut, dass man doch kühlen Kopf bewahren und die Show auf Distanz halten kann. Auch wenns einem durch Jurykommentare schwer gemacht wird („Und ja, gesanglich kannst auch noch ein bisschen üben“, sagte der abgeschleckte Cowboy nebenbei.)

Kultig—der dropgeilen Jury explodierte es zu wenig.

Lasst uns also gespannt sein auf die letzte Folge. Vielleicht singt Zoe ja Kreisler, die Makemakes finden in San Francisco ihre Bestimmung und Folkshilfe featured 1D. Man weiß nie.

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