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Bushido ist der Bad Guy, an dem sich die Gesellschaft aufgeilen kann

Selten hat ein deutscher Rapper so ein Medienecho ausgelöst wie Bushido mit der Stern-Coverstory über seine Mafiaverbindung. Aber warum eigentlich?

Okay, okay. Die vom Stern veröffentlichte Generalvollmacht, laut der Arafat Abou-Chaker ohne Einschränkung und auch über Bushidos Tod hinaus eigenmächtig über dessen Eigentum verfügen kann, ist einigermaßen brisant. Sie ist brisant, weil eine solche Vollmacht extrem außergewöhnlich ist und sie ist brisant, weil Arafat Teil eines in Berlin berüchtigten Verbrecherclans ist.

Aber rechtfertigt das die Aufregung? Lasst uns das Thema mal in aller Ruhe betrachten.

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Punkt 1: Bushido hat Arafat Abou-Chaker eine Generalvollmacht über seinen gesamten Besitz ausgestellt.

Das ist außergewöhnlich, ja. Aber es ist keineswegs illegal. Es ist Bushidos Recht und seine freie Entscheidung, eine solche Vollmacht zu unterschreiben. Arafat Abou-Chaker ist Bushidos bester Freund. Dieser Fakt wurde von den beiden nie verheimlicht—im Gegenteil, Arafat und Bushido treten gemeinsam öffentlich in Erscheinung, die Freundschaft wird ausgiebig in Bushidos Biografie behandelt, in der Verfilmung wird Arafat von Moritz Bleibtreu gespielt.

Punkt 2: Apropos „freie Entscheidung“.

Spätestens seit Der Pate wissen wir, dass es in Mafiakreisen solche und solche „freie Entscheidungen“ gibt. Vielleicht wurde Bushido ja ein „Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte“, wer weiß. Niemand weiß. Und deshalb sollte man sich mit solchen Spekulationen zurückhalten, vor allem in der Öffentlichkeit. Was auch immer Bushido dazu bewegt hat, seinem besten Freund diese Vollmacht auszustellen—einzig und allein seine Sache.

Punkt 3: Bushido ist ein Gangsterrapper und hat das immer und immer wieder betont.

„Die wollen doch nur spielen“, „Hunde, die bellen, beißen nicht“, „Es gibt in Deutschland keine echten Gangsterrapper“—solche Aussagen haben wir, seitdem Street- und Gangsterrap den lustigen Neunziger-Jahre-Deutschrap aus Hamburg und Stuttgart abgelöst haben, bis zum Erbrechen in deutschen Medien serviert bekommen. Gleichzeitig fordern immer alle höchste Authentizität und Rapper erzählen, wie sie damals am Hauptbahnhof Koks vertickt haben, um ihre Street-Kenntnisse unter Beweis zu stellen.

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Bushido—ehemals perfekt integrierter Schulsprecher eines deutschen Gymnasiums—ist dagegen inzwischner ein wunderbar realer Gangster: Verfahren wegen Steuerhinterziehung am Hals, diverse Male wegen Verleumdung, Beleidigung oder (versuchter) Körperverletzung vor Gericht und eng verbandelt mit besagtem libanesisch-palästinensischen Abou-Chaker-Clan, der laut Stern so ziemlich „alle Disziplinen organisierter Kriminalität“ beherrscht. Geheim ist das allerdings keineswegs. Über die Freundschaft zu den Abou-Chakers hat Bushido in Interviews erzählt, in Buch und Film berichtet und mehrfach gerappt, zum Beispiel in seinem Hit „Sonnenbank Flavour“, der es immerhin auf Platz 15 der Single-Charts schaffte. Oder im Disstrack „S.I.D.O.“, einem Duo mit Kay One: „Ich komm mit den Abou-Chakers Ali, Ari, Nasser, Yasser, Momo, Veysel, wer ist krasser.“

Punkt 4: Der Integrations-Bambi für Bushido. Dieses Thema nervt seit dem Moment, in dem Bushido dieses kleine Goldreh in der Hand hielt. Das Ding war im Grunde genau so eine Fehlvergabe wie der Friedensnobelpreis an Obama—Bushido wurde nicht ausgezeichnet, weil er so ein Wahnsinnsvorbild für alle ist, sondern weil die Verantwortlichen hofften, dass er es nach der Vergabe werden würde. Aber mal ehrlich: Warum sollte Bushido darauf auch nur irgendeinen Scheiß geben?

Punkt 5: Bushido und die Politik. Hans-Peter Friedrich ist ein Idiot, der sich von Bushido etwas Glanz, Jugendlichkeit und Coolness abholen wollte. Bushido hat sich im Grunde über den Innenminister lustig gemacht und der hat es nicht gemerkt. Hätte jeder so gemacht. Ach ja, Serkan Töre ist auch ein Idiot, das zeigt schon die Parteizugehörigkeit.

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Serkan Tören von der FDP… Wer zum Geier soll das sein?

— Bushido (@Bushido78) 18. April 2013

Fazit

Bushido hat sich Respekt verdient, durch seine Musik, durch seine Person, sein Auftreten, seine Ausstrahlung—der beste Rapper war er nie, aber er ist in der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit zum Gangsterrapper Nummer eins geworden. Musikalisch ist er zehn Jahre nach dem Mega-Erfolg von Vom Bordstein zum Skyline längst bedeutungslos geworden und es scheint, als wäre ihm das ziemlich egal. Es ist ein offenes Geheimnis, dass er seine Texte nicht selbst schreibt, sein Label Ersguterjunge hat er längst vor den Baum gesetzt, indem er alle gesignten Künstler vergrault hat.

Bushidos heutige Rolle ist nicht die eines Musikers, sondern die einer Person des öffentlichen Lebens. Gleichzeitig genießt er den Ruf des Gangsters, kokettiert mit seiner Mafia-Verbindung, vergleicht sich mit Al Capone—und der Satz im aktuellen Stern, Bushido sei „Frank Sinatra in Jogginghosen“ dürfte bei ihm eine ordentliche Erektion ausgelöst haben. Genau so sieht sich Bushido und so will er gesehen werden: Ein Establishment-Gangster, ein Gangster des 20er-Jahre-Amerikas—die Gesellschaft braucht einen Bad Guy, an dem sie sich moralisch aufgeilen kann. Bushido will dieser Bad Guy sein.

Dass er dafür zweifelhafte Wege beschreitet und gefährliche Verbindungen eingeht, ist ohne Zweifel. Aber bisher ist nicht bekannt, welche Rolle er bei illegalen Aktivitäten seiner Abou-Chakers spielt, ob er überhaupt eine spielt.

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Man kann das Thema natürlich trotzdem in den Medien behandeln, wenn man meint, dass es das Wert ist, von uns aus auch als Titelstory. Aber, liebe Kollegen, lasst in Zukunft bitte das Rapper in Gangsterrapper raus. Dieser Begriff ist für Musiker bestimmt.

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