FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Diese Frau hat „Du warst der geilste Fehler meines Lebens“ geschrieben

Ein Gespräch über banalen Blödsinn, Tantiemen und guten und schlechten Schlager.

Alle Fotos: privat

Wir schauen zurück auf den Abend des 29. März 2015. Destiny’s Child feiern kurzzeitig Reunion bei den Stellar Awards und preisen Jesus, während im Wiener Volkstheater die Verleihung des wichtigsten österreichischen Musikpreises, dem Amadeus, über die Bühne geht. Tagträumer werden Band des Jahres, aus der Bühne schießende Schauspielerinnen sollen von einem offensichtlichen Mangel an Frauen ablenken und Gabalier macht mal wieder einen Gabalier.

Die Summe dieser Teile hat letztendlich vom einzig wahren Skandal des Abends abgelenkt—„Du warst der geilste Fehler meines Lebens“ vom gleichnamigen Nockalm Quintett-Album verliert in der Songwriting-Kategorie.

Anzeige

Es wäre jetzt natürlich leicht, das mit derselben ironischen Distanz zu betrachten, mit der wir auch das Dschungelcamp betrachten. Wir machen es uns halt gern einfach. Tatsache ist jedoch, dass Schlager in einer weitgehend toten Musikindustrie der wohl einzige Markt ist, in dem wirklich noch CDs verkauft werden—und davon nicht wenig. Helene Fischers aktuelles Album ist das meist- und am schnellsten verkaufte Album in Österreich aller Zeiten. ALLER ZEITEN. Während ich das hier schreibe, ist Farbenspiel in seiner verdammten 89. (!) Chartwoche und sitzt immer noch gemütlich auf Platz 4. Man muss das Genre nicht gerade feiern, um diese absurd hohen Zahlen zumindest zu respektieren.

Es verhält sich ungefähr so wie mit Country in den USA. Country ist tief in der amerikanischen Bevölkerung verwurzelt und lebt ähnlich wie Schlager vor allem durch die arg loyalen Fans. Bei einem Crossover in Richtung Pop—so wie Helene Fischer das gemacht hat, und Taylor Swift auf der anderen Seite—nimmt man die ohnehin schon hohe Anzahl an treuen Fans mit und spricht zeitgleich ein noch viel weiteres Publikum an. „Modernisierung“ und „salonfähig machen“ sind Begriffe, die in dem Zusammenhang gerne fallen.

Schlager ist also nicht nur lukrativ, sondern am Ende des Tages eben auch Musik, und die schreibt sich nicht von allein. Aber wie schwer kann das eigentlich sein? Ein paar Metaphern, reichlich Kitsch und Klischee, irgendwas über Liebe oder Herzschmerz und, naja, „ganz große Gefühle“—im Grunde genommen fast so wie Pop-Lyrics, nur eben auf Deutsch. Wenn das wirklich so einfach wäre, wie es sich vielleicht anhört, würde ich mein Leben lang nur noch für Helene texten. Einfach so.

Anzeige

Eine Zeile wie „Du warst der geilste Fehler meines Lebens“ entspricht im Schlagerbereich jetzt nicht gerade der Norm—dort redet man sogar gerne mal vom „G-Wort“. Alleine für die Eier, diesen Song so zu schreiben, hätte es einen Special Courage-Amadeus gebraucht. Bekommen hätte ihn eine Frau, die schon jahrelang im Biz mit dabei ist und seitdem so ziemlich alles geholt hat, was zu holen ist. Dagmar Obernosterer ist so was wie die Grande Dame der Schlagertexte in Österreich. Neben ihrer Autoren-Tätigkeit ist sie auch noch Lehrerin, Moderatorin und manchmal sogar selbst Schlager-Star—da hat sie sogar eine subtile Gay-Hymne am Start: „Liebe macht uns alle gleich“. Dagmar ist also quasi wie Madonna. #iconic #lovewins

Weil wir uns mit Schlager nicht auskennen, aber gerne würden, haben wir mit ihr gesprochen.

Noisey: Dagmar, wie ist „Du warst der geilste Fehler meines Lebens“ entstanden?
Dagmar: Ich saß so in der Schule mit meiner Klasse und habe mir mal wieder den Kopf darüber zerbrochen, warum meinen Schüler immer „He olta geil“ sagen müssen—zu allem und jedem. Dann haben wir etwas gelesen, das in keinster Weise auch nur irgendwie geil war, und trotzdem haben die das mit „geil“ kommentiert. Da habe ich gemerkt—auch wenn etwas ein Fehler war, kann es trotzdem geil gewesen sein. Abgesehen davon hätte „Du warst der größte Fehler meines Lebens“ niemanden interessiert.

Viele Leute glauben ja, Schlager sei so plump und einfach, dass es im Grunde genommen jeder machen könnte. „Wie schwer kann das schon sein“—wie schwer ist es wirklich?
Sehr schwer. Natürlich denken viele, es wäre einfach, aber es gibt Gesetze, die eingehalten werden müssen. Viel hängt von den Melodien ab, die müssen richtige Gassenhauer sein. Heutzutage muss es auch noch sehr modern produziert sein—meine Schüler sagen zu mir, sie wollen „Atemlos“ singen. Ich frage dann, seit wann sie auf Schlager stehen. Dann sagen sie „Das ist kein Schlager“.

Anzeige

Aber ist das denn noch Schlager? Es ist schon sehr poppig.
Natürlich ist es Schlager. Hast du schon mal auf die Melodie gehört? Die Produktion lenkt vielleicht davon ab, aber es ist Schlager pur. Was den Text angeht—wenn jemand behauptet, Schlager wäre plump, dann frage ich mich immer, ob die kein Englisch können. „My heart goes boom“? Das ist mindestens genau so plump.

Wie lange braucht man für so einen Schlagertext?
Das ist komplett unterschiedlich. Manchmal schreibe ich Ewigkeiten an einem Text, manchmal ist er sofort fertig. Das muss aber nicht heißen, dass alles, was schnell gehen muss, schlecht ist—manchmal ist Zeitdruck gut.

Kann man von den Tantiemen überhaupt leben?
Nein, heutzutage nicht mehr. Es klingt vielleicht blöd, aber es liegt am Internet. Leben kann man davon nicht. Wenn man nicht gerade bei Riesenproduktionen wie Helene mitmischt, braucht man nebenher noch einen anderen Beruf.

Aber ist Schlager nicht gerade der Markt, in dem noch richtig CDs verkauft werden?
Ja, im Vergleich zu anderen Genres steht Schlager eh noch gut da, trotzdem sind Kreativköpfe sozusagen die Deppen der Nation. Den kleinen Betrag, den du verdienst, musst du immer teilen und am Ende bleibt nicht viel übrig. Ich verstehe auch, wenn einem das den Spaß an der Freud nimmt—aber ich denke nicht so. Ich texte ja nicht, weil ich muss, sondern weil es mir Spaß macht. Eigentlich läge es an der Politik, da was zu ändern. Aber man verärgert halt lieber ein paar Urheber als die Masse der Wähler. Ich gehöre aber nicht zu den Jammerern. Ich hatte ja das Glück, immer wieder Erfolge feiern zu dürfen.

Anzeige

Was glaubst du sind die schlimmsten Vorurteile gegenüber Schlager?
Die meisten sind eh berechtigt. Es wird einfach viel banaler Blödsinn geschrieben. Das ist genau so deppert, wie wenn im Fernsehen zwei Hunde miteinander verheiratet werden. Bei uns kritisiert man halt die Trachtengwandl’n. Die wenigsten wissen aber, dass in der Schlagerszene unglaublich hart und diszipliniert gearbeitet wird. Vom Aussehen bis zum Gesang—das ist beinhart. Da gibt es stundenlange Diskussionen darüber, ob der Ring aufträgt oder nicht und welche Farbe das Kleid haben soll. Und das ist nur die Bühnenarbeit—Tonstudio ist mindestens genau so anstrengend, vor allem wenn man im Schlager rausstechen will. Die heile Welt, die wir vermitteln, in der leben wir nicht wirklich. Aber das ist absolut menschlich. Die Vorurteile kann ich jedoch nachempfinden.

Was macht dann einen guten Schlager aus?
Man muss mitsingen können, ohne den Song je gehört zu haben. Jeder Mensch hat Sehnsüchte—nach Liebe, Heimat, nach dieser heilen Welt. Diese Sehnsüchte müssen transportiert werden. Nicht meine eigenen—was Dagmar Obernosterer persönlich empfindet, interessiert keine Sau. Schlager kann aber auch melancholisch sein. Die Jazz Gitti hat zum Beispiel einen Song namens „Kränk di net“. Das war auch ein guter Schlager.

Ist das nicht irgendwie sehr kitschig? Oder ist Kitsch gut?
Wer sagt denn, was Kitsch ist? Wenn die Allgemeinheit diesen „Kitsch“ kauft, dann muss Kitsch wohl gut sein, ja.

Anzeige

OK. Was macht schlechten Schlager aus?
08/15-Texte, wenn die Melodie gegen die Wortmelodie geht, oder wenn Grammatik völlig verformt wird, nur damit es sich reimt. Das kann dann aber trotzdem erfolgreich werden. Dieser „Schnappi“-Song war auch keine Glanzleistung, weder musikalisch noch textlich. Aber die Menschen fanden es gut. Nach der Perfektion, die Helene Fischer rüberbringt, könnte sowas vielleicht auch wieder funktionieren. Aber man weiß nie wirklich, was gut ankommen könnte. Es ist unberechenbar. Ich war gerade groß als Schlager allgemein sehr verachtet war. Ich war damals mit Leuten unterwegs, die gegen Schlager schimpften aber trotzdem jeden Text konnten. Ist ja auch verständlich—wenn ich unterwegs bin, singe ich ja auch nicht die Unvollendete von Schubert. Musik wird immer so gern bewertet und gegeneinander aufgestellt, dabei ist das gar nicht nötig.

Oft hören Musiker ja privat nicht die Musik, die sie selbst machen.
Ich höre am liebsten klassische Instrumentalmusik. Aber auch den Pixner. Oder Zucchero.

Spielen Drogen in der Schlagerszene irgendeine Rolle?
Ich gehe da so blauäugig und blond durch die Welt—wahrscheinlich kommt es schon vor, ich hätte es aber nie bemerkt. Es gab mal einen Fall, da wurde angeblich Koks im Musikantenstadl gefunden. Aber selbst wenn jemand was nehmen würde, mir würde es nicht auffallen.

Kennst du Ilse Benkös Wahlkampfsong?
Nein.

Er geht so: „I kreiz de Benkö on, blaue Lady".
Muss ich mir anhören.

Unbedingt. Würdest du auch einen Wahlkampfsong für jemanden schreiben?
Nein—entweder für alle, oder für keinen. Für alle wäre mir aber zu anstrengend, also entscheide ich mich für keinen, haha.

**

Folgt Noisey bei Twitter und Facebook.