FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Die Musik, die du ertragen musst, wenn du mit einer Russin zusammen bist

Es führt kein Weg dran vorbei. Hier siehst du typisch russische Pop-Klischees.

Foto via Flickr | Guilleaume Speurt | CC BY-SA 2.0

Wenn du glaubst, dass Helene Fischer scheiße ist, hast du vielleicht noch keine russischen Pop-Klassiker gehört. Ich hingegen hörte sie sehr oft—viel zu oft. Dadurch, dass ich über sechs Jahre mit einer Russin zusammen war, blieb mir dieser Kulturschock leider nicht ganz erspart. Eines habe ich sofort gemerkt: Russen lieben Musik. Am meisten lieben sie die Mischung aus Musik und Alkohol—das wird auch dir bekannt vorkommen. Je kitschiger, desto besser. Nächte lang durfte ich auf Familienfesten mit einer Wodka-Fahne zu den beliebten Russen-Schlagern mitsingen. Irgendwann ist dann jeder so dicht, dass nur noch Männer mit Männern tanzen und sich gegenseitig schmusen. Das ist dann auch der Punkt, bei dem man gleichzeitig in die Familie aufgenommen wird und die russische Sprachbarriere keine Rolle mehr spielt.

Die meisten Songs sind eindeutig in den 90ern hängen geblieben. Fette Disco-Beats mit typischen Synthesizer-Melodien, Auto-Tune und natürlich ausschließlich russischer Gesang. Auf der anderen Seite regiert der Schmalz—Lieder über gebrochene Herzen stehen ebenfalls ganz oben. Ironischer Weise sind die Videoproduktionen heutzutage auf dem neuesten Stand, was diese Mischung aus Neu und Alt noch stranger macht, als sie es ohnehin schon ist. Ich dachte, dass die meisten zu diesen Songs tanzen würden, weil sie gearde beim Feiern waren und Alkohol im Spiel war. Tatsächlich war es aber auch so, dass wir untertags (und komplett nüchtern) mit der Familie zusammensaßen und uns russische Shows reinzogen, bei denen Pop-Stars ihre neuen Nummern (meist playback) runterleierten. Spätestens da muss man sich eingestehen, dass das alles kein Spaß ist. Da mir nichts anderes übrig blieb und es einfach kein Entkommen gab, bin ich bezüglich russischer Musik auf folgende Erkenntnisse gestoßen, die ich nun feierlich mit euch teile.

Anzeige

„AY AY AY“ ist die Hymne Russlands

An dem Song kommt niemand vorbei. Er kommt immer dann, wenn der Zenit des Alkoholspiegels erreicht wurde. Das war auch der erste Song, den ich halbwegs nachsingen konnte. „Ay ay ay“ is nichts anderes als ein notgeiles Seufzen, mit dem der Sänger einem Mädchen nachgafft, das jedem Typen den Kopf verdreht.

Scheiß auf Weihnachten. It’s all about Neujahr.

Weihnachten ist nicht wirklich ein big Deal in Russland. Dafür war Silvester immer der Zeitpunkt, an dem wir meistens auf die Wodka-Flaschen verzichtet und eher zum feierlichen Sekt gegriffen haben. Anders als in Österreich stürzt man sich nicht mit einer Sauforgie ins neue Jahr, sondern verbringt diese Zeit traditionell mit der Familie. Bei den Feierlichkeiten bin ich auf ein Video gestoßen, das mir bis heute nicht aus dem Kopf ging. Ein Song, der das neue Jahr feiert und nicht lustiger sein könnte. Das Beste an der Sache ist, dass dieser Song von einigen Leuten auf Youtube parodiert wurde. Genial. Das Video ist Gold wert.

Nikolai Baskov macht jede Pensionistin feucht

Dieser Typ ist so ziemlich das schrecklichste Gesicht, das ich im russischen Fernsehen erdulden musste. Zahllose Songs eroberten die Charts, die wohl die peinlichsten Videos hatten, die man sich in der Preisklasse vorstellen kann. Der Typ ist quasi die russische Antwort auf Hansi Hinterseer und eine Sexbombe für alle Pensionistinnen. Die älteren Groupies holte er sich zusätzlich von seinem Opern-Background und bestrafte die Musikwelt aber lieber mit Popsongs.

Anzeige

Boney M is the shit

Boney M war einer der wenigen Bands, deren Musik in der UDSSR nicht verboten wurde. Ihre Nummern wurden in den sowjetischen Diskos gespielt und strahlten eine mit dem Westen verbundene Freiheit aus. Dieser Fakt verhalf der Band zu einem lebenslangen Erfolg in Russland. Als Sänger Bobby Farrell 2010 starb, tourte der Rest der Band trotzdem quer durchs Land und performte weiterhin Boney M-Hits. Farrell wurde von Peter Jarrette ersetzt. Heute findet man die Band vor allem auf privaten Partys und Unternehmensveranstaltungen.

Natali sang den ersten Song, den ich fast OK fand

Wenn dieser cheesy 90ies-Beat nicht wäre, fände ich den Song sogar OK. Das Video kann ich gleich als Beispiel für meinen nächsten Punkt nehmen: Wenn du in Russland nicht hübsch bist, dann kannst du Russland vergessen. Wobei, wenn man eine Tonne Make Up verwendet, dann kriegt man schon irgendwie eines dieser Barbie-Gesichter hin. Mir ist klar, dass die Popwelt seit Ewigkeiten mehr Geld mit Schönheitsnormen als mit Musik macht, aber in der russischen Pop-Szene kommt es mir fast noch extremer vor.

Die Mode bleibt mir bis heute ein Rätsel

Kann es sein, dass Russland so wahnsinnig groß ist, dass die Mode zwischen einzelner Regionen Jahrzehnte auseinander liegt? Ich sah bis vor Kurzem noch Pop-Sänger, die auf den klassischen Vokuhila-Haarschnitt schwören (vorne kurz, hinten lang) und sich mit reichlich Bling Bling zeigen, was die westliche Welt im Idealfall mit reiner Ironie handhabt. Von der Jogginghose bis zum Pelzmantel ist alles dabei.

Wenn ich mir die russischen Charts ansehe, finde ich noch immer genügend Songs mit billigen Trance/Techno-Beats, die mich damals schon wahnsinnig machten. Vielleicht liegt es daran, dass die Musik fast ausschließlich im Osten produziert wird und wahrscheinlich immer dieselben Köpfe dahinterstecken. So kommt es mir zumindest vor. Ich denke, dass ich auf einen Fortschritt hoffe, der dieser Musik vielleicht das Kennzeichen rauben würde und der vermutlich genau wegen dieses Merkmals nie passieren wird.

Ich muss mich damit abfinden, dass russischer Pop und ich nie zusammenfinden werden. Aber zum Glück gibt es ja viel mehr als das: Gerade weil diese Szene von Stereotypen geprägt ist und man sogar auf politische Ideologien stößt, trifft man gleichzeitig auf Bands wie Pussy Riot, die sich dagegen wehren. t.A.T.u. verzichtete als die größte russische Band aller Zeiten auf den typischen Pop-Sound und schaffte es mit englischen Songs international berühmt zu werden. Abgesehen von meinen Pop-Beobachtungen, gibt es reichlich traditionelle, russische Musik, die mir ziemlich gut gefällt. Es war wirklich cool die Sprache zu lernen und eine neue Kultur zu entdecken— die russische Popmusik blieb mir leider nicht erspart.

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.