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Das neue Rap-Video von HC Strache hat mir den Abend versaut

Ich war gestern bei der Präsentation des neuen HC Strache-Raps, und der peinliche FPÖ-Politiker tat mir fast ein wenig leid.

Es ist Donnerstagabend, knapp zwei Wochen vor der Wien-Wahl, und ich drücke mich in der Bettelalm hinten an der Bar herum. Normalerweise finden hier Partys statt, die Namen wie „Hüttengaudi“ oder „Hüttenparty“ tragen, wo Menschen glauben, es sei adäquat, im ersten Wiener Gemeindebezirk Aprés-Ski zu feiern. Das Lokal ist aber auch traditionell der Ort, an dem die FPÖ ihre Wahlkampf-Songs vorstellt. Man sieht mir—obwohl ich meine Kappe auf Anweisung eines ausgesprochen freundlichen Türstehers ausziehen musste—auf 20 Meter gegen den Wind an, dass ich nicht dazugehöre.

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Es ist klassisches FPÖ-Kaderpublikum, das sich in der Bettelalm versammelt hat. Die Modernisierungsverlierer vom Viktor-Adler-Markt sind hier ein gutes Stück weit weg. Eher ordentlich gekleidete und frisierte BWL-Studenten und ältere Männer mit Glatze, die so ausschauen, als würden sie ihr mittelständisches Unternehmen eher ruppig führen.

Seit 2005 nimmt der FPÖ-Bundesobmann vor jeder Wahl, bei der er prominent platziert ist, im Vorfeld einen „Strache-Rap“ auf, also einen holprigen Sprechgesang, bei dem das politische System nicht so gut wegkommt, Österreich dafür aber umso mehr. Heuer hat Strache etwas Neues gewagt und „rappt“ eigentlich nicht mehr selbst, sondern überlässt das MC Blue—einem hyperaktiven, jungen Spaßmacher mit Kappe und Sonnenbrille, der in einer gerechten Welt entweder hinter dem DJ-Pult einer Karaoke-Bar oder vor der Kamera bei VIVA arbeiten würde.

Es ist mittlerweile knapp 22:00 Uhr, aus den Boxen dröhnt „Bomba“, als Unruhe aufkommt. Strache und seine Entourage bahnen sich ihren Weg durch über die Tanzfläche zum DJ-Pult. Die gesamte Prominenz ist dort: Kickl, Gudenus, Steger. Sie werden begleitet von bulligen Leibwächtern und attraktiven, jungen Mädchen, die FPÖ-Goodies verteilen. Strache trägt Lederjacke, lacht jovial und begrüßt jeden per Handschlag, der nicht bei drei auf den Bäumen ist.

Wenn man Strache nur von Wahlplakaten und aus Sommergesprächen kennt, ist man verwundert, wie alt er eigentlich in Wirklichkeit ausschaut. Das liest sich viel fieser, als es gemeint ist. Strache ist Mitte 40 und (wahl)kämpft seit mittlerweile 10 Jahren gegen die vermeintlichen Ungerechtigkeiten dieser Welt. Immer im Ausnahmezustand, immer persönlich irgendwelche „Wellen“, „Tsunamis“ oder „Invasoren“ zurückhaltend. Das sieht man ihm mittlerweile halt auch an. Der Kontrast zwischen dem strahlenden Ritter ohne Furcht und Satzbau, den man von den Plakaten kennt, und dem real existierenden FPÖ-Chef mit den verquollenen Augen im Endspurt des Wahlkampfs ist beträchtlich.

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Wie einst Jörg Haider lebt auch Strache zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von seinem jugendlichen Image, das ihn im Linzer A1 wie auch bei Schwiegermüttern gut ankommen lässt. Aber der Wahlkampf der FPÖ verengt sich auch stets ziemlich darauf. Was macht das mit einem Menschen, de facto nicht wirklich altern zu dürfen? Nicht sagen zu können, wie lächerlich die Vorstellung ist, ab einem bestimmten Alter noch auf Wahlkampf-Veranstaltungen in Diskotheken den Anschein erwecken zu müssen, man sei ein Teil des Publikums? Strache spielt den Strahlemann auf Bundesebene jetzt seit 2004. Damals war er 35 Jahre alt, mittlerweile ist er 46.

Er schlägt an dem Abend in der Bettelalm mit Menschen ein, die in dem Jahr geboren wurden, in dem er Bezirksstadtrat wurde. Nicht falsch verstehen: Natürlich versucht auch jemand wie Michael Häupl, junge Menschen anzusprechen. Aber er tut es wenigstens als das, was er ist: ein 66-jähriger Berufspolitiker und Oberbürgermeister von Wien. Nicht wie dein cooler Politiker-Kumpel, den du auch mal in der Passage fragen könntest, ob er dein Wingman sein will.

In der Bettelalm hat sich Strache mittlerweile gemeinsam mit MC Blue zum DJ-Pult durchgekämpft. Er nimmt das Mikro in die Hand und erzählt, wie wichtig es sei, sich nicht zu ernst zu nehmen und mit solchen Aktionen auch die jungen Wähler anzusprechen. Er treffe auf seinen Wahlveranstaltungen schon Siebenjährige, die seine Raps auswendig kennen würden. Die Freiheit der Kunst wolle man nicht den politischen Mitbewerbern überlassen, und er freue sich darüber hinaus auch schon wieder darauf, dasss sich diese über den Rap das Maul zerreißen werden.

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Der DJ legt jetzt „Good Men(sch)“, den neuen Rap, auf. MC Blue hampelt ein bisschen auf der Bühne herum, ein paar Leute bewegen sich, aber so richtig will der Funke nicht überspringen. Die Menschen machen lieber Selfies mit Gudenus. Strache lacht ausgiebig. Der DJ schmalzt sich sofort im Anschluss durch „I Am From Austria“, wozu ein paar Mutige/ Dumme ihre Feuerzeuge herausholen. Strache wünscht den Anwesenden noch einen schönen Abend („Feierts schön!“) und verlässt schnurstracks den Raum. Dadurch verpasst er, wie sich die Tanzfläche bei „Atemlos“ schlagartig füllt. Der DJ ersetzt per Mikro das „Wo-ho!“ tatsächlich einige Male durch „H-C“, was den FPÖ-Nationalratsabgeordneten gefällt, die noch auf der Tanzfläche mitwippen.

Es ist mittlerweile knapp 1:30 Uhr. Ich liege auf der Couch und habe mir Straches Video mehrfach hintereinander angesehen. Es ist genauso lächerlich wie die davor, aber eigentlich—bis auf den Teil, wo Strache in einen Dialog mit dem Opa aus dem „Texas Chainsaw Massacre“-Remake tritt—wenig spektakulär. Es werden sich in den nächsten Tagen unzählige Menschen darüber aufregen. Das kann Strache zwar völlig egal sein, passiert aber völlig zu Recht.

Es gibt Gründe, warum sich einem bei Straches Raps der Magen deutlich mehr umdreht als bei anderen peinlichen Wahlssongs. Es gibt eben noch mal einen entscheidenden Unterschied zwischen Dingen wie zwischen „Mein Herz schlägt Linz“ und dem, was Strache macht. Anders als Pop oder Schlager, war Rap immer politisch,.

Rap—oder genauer gesagt HipHop—wurde von marginalisierten Menschen an marginalisierten Orten erschaffen. Es ging dabei explizit immer auch um Selbstermächtigung, um das Schaffen einer Gegenkultur. Ja, natürlich reden wir hier nicht über die Bronx der 70er-Jahre, sondern über eine globalisierte (Netz-)Welt im Jahr 2015, in der eine solche Idee oft nur noch als Zitat des Zitats des Zitats existiert. Aber trotzdem schwingt in einem Rap einer zumindest rechtspopulistischen Partei eine gehörige Portion Ungeheuerlichkeit mit. Eine Ausdrucksform von Marginalisierten wird hier zum Aufschrei der vermeintlich Marginalisierten. Ein Vehikel, um sich nach oben zu arbeiten, wird zum Instrument, um nach unten zu treten. Das ist auf vielen Ebenen falsch.

Während ich mir Strache gerade anschaue, wie er für ein Facebook-Video einen grinsenden Hampelmann high-fiven muss, der sein Sohn sein könnte, merke ich, dass das meine persönliche Hölle wäre. Die Vorstellung, mit Mitte 40 noch mit 20-jährigen in Clubs bemühte Gespräche „auf Augenhöhe“ führen zu müssen, hat letztlich doch einiges von Bill Murray in Groundhog Day. Ich kann nicht sagen, wie es Strache damit geht. Vielleicht ist er glücklich. Und selbst wenn nicht—er ist für zu viele Widerlichkeiten verantwortlich, als dass er mir leidtun könnte.

Du erkennst Jonas auch auf Twitter auf 20 Meter gegen den Wind: @L4ndvogt